Bremen: Kirchenasyl wieder unter Druck

Rund 100 Menschen konnten in der Hansestadt die Abschiebung eines jungen Mannes verhindern – vorerst

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 5 Min.
Derzeit leben in Bremen zwölf von Abschiebung bedrohte Menschen im Kirchenasyl.
Derzeit leben in Bremen zwölf von Abschiebung bedrohte Menschen im Kirchenasyl.

Es war bereits das neunte Mal innerhalb eines Jahres, dass Polizisten im Auftrag des jeweiligen Bundeslandes das Kirchenasyl brachen: In Bremen versuchten Beamte am frühen Dienstagmorgen, einen Somalier aus den Räumen der evangelischen Gemeinde zu holen, um ihn nach Finnland abzuschieben. Doch es gelang ihnen nicht, denn rund 100 Menschen stellten sich ihnen entgegen.

Nach einer langjährigen Vereinbarung zwischen Kirchen und Staat dürfen Gemeinden Menschen Schutz gewähren, bei denen die Rechtsmittel ausgeschöpft sind, in deren Fall aber humanitäre Erwägungen für ein Bleiberecht sprechen.

Ayoub I., den die evangelische Zion-Gemeinde in Bremen-Neustadt aufgenommen hatte, war über Russland zunächst nach Finnland eingereist. Doch dort habe er Gewalt durch Behördenvertreter erlebt und wolle nie wieder dorthin zurück, sagt der 25-Jährige.

»Er wäre in Finnland nicht gut aufgehoben«, ist auch Pastor Thomas Lieberum sicher. Seit September lebt der junge Somalier in der Zion-Gemeinde. Menschen in Not wie Ayoub I. zu helfen, gebiete das Evangelium, sagt Lieberum im Gespräch mit »nd«. Die Gemeinde ließ die Glocken ihrer Kirche Alarm läuten, als die Polizei gegen drei Uhr morgens anrückte. Für Lieberum ist der Angriff auf das Kirchenasyl ein Tabubruch. Umso mehr, als seine Gemeinde stets eng mit den Behörden kooperiert habe.

»Erkennt das Bamf die Einwände nicht an, muss der Betroffene das Kirchenasyl verlassen. Geschieht das nicht, stellt die Kirche unseren Rechtsstaat grundsätzlich infrage.«

Ulrich Mäurer
Innensenator von Bremen (SPD)

Das Migrationsamt, das Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) untersteht, hatte die Abschiebung angekündigt. Sie wurde abgebrochen, als sich die Polizei den Vielen gegenüber sah, die sich mit Ayoub I. solidarisiert hatten. Nach Ansicht des Flüchtlingsrats Bremen ist jedoch zu befürchten, dass weitere Abschiebeversuche unternommen werden. Der Verein erinnert an den Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und Linke, in dem eine »humanitäre Migrationspolitik« festgeschrieben ist. Zudem war vereinbart worden, an sensiblen Orten wie Kirchen, Schulen und medizinischen Einrichtungen von Abschiebungen abzusehen.

Senator Mäurer wiederum verweist darauf, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) den Fall des Somaliers auf Antrag der Kirche bereits erneut geprüft habe. Es sei danach bei seiner »Rechtsauffassung geblieben, dass es sich nicht um einen Härtefall handelt und dem Mann in Finnland nichts passieren wird«. Die Kirche halte sich nicht mehr an eine 2015 abgeschlossene Vereinbarung, so Mäurer. Diese besage, dass »der Betroffene das Kirchenasyl verlassen« müsse, wenn das Bamf Einwände nicht anerkenne. Handle sie dem zuwider, stelle sie »unseren Rechtsstaat grundsätzlich infrage«, meint der Senator. »Dass die Kirchengemeinde nach erfolgreicher Verhinderung auch noch mitten in der Nacht die Glocken läutete, ist an Zynismus nicht zu übertreffen«, wetterte er.

Anders als der SPD-Mann äußerten sich Vertreter der anderen Bremer Regierungsparteien. Wer in die Schutzzone Kirchenasyl eindringe, handle »politisch falsch und menschlich unanständig«, betonte Grünen-Fraktionschefin Henrike Müller. Die Grüne Jugend forderte Mäurer sogar zum Rücktritt auf, weil er »jahrzehntelange Absprachen gebrochen« habe.

Die Vorsitzenden der Linksfraktion, Sofia Leonidakis und Nelson Janßen, rügten, der Bruch des Kirchenasyls widerspreche der humanitären Migrationspolitik, der sich die Landesregierung verschrieben habe. Die Bremer Jusos bezeichnen den Abschiebeversuch als »weiteren traurigen Tiefpunkt in der Migrationspolitik«. Bürgermeister Andreas Bovenschulte sei mitverantwortlich. Sein Schweigen zur Sache »spricht Bände«, und Senator Mäurer mache sich zum »Handlanger eines gescheiterten Unrechtsregimes«, erklärte der SPD-Nachwuchs mit Blick auf die Lage in Somalia.

Aktuell gewähren die Kirchen in Bremen nach Angaben der Landeskirche zwölf Menschen Asyl. Insgesamt seien es im laufenden Jahr bisher rund 100 Fälle gewesen. Jedes Schutzbegehren wird demnach vom Verein »Zuflucht« gründlich geprüft, es gebe auch viele Ablehnungen.

»Das Kirchenasyl ist und bleibt ein wichtiger, unverletzlicher Schutzraum in besonderen Härtefällen«, unterstreicht der Leitende Geistliche der Bremischen Evangelischen Kirche, Bernd Kuschnerus. Das Vorgehen der Behörden am Dienstag weiche »deutlich von der bisherigen gemeinsamen Linie von Staat und Kirchen ab«. Man sehe, dass der Senator »politisch unter Druck« stehe, so Kuschnerus. Die Kirche müsse aber weiter die Schicksale Einzelner im Blick haben.

Unterdessen hat die ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft »Asyl in der Kirche« am Mittwoch einen Appell an die im brandenburgischen Rheinsberg tagende Innenministerkonferenz gerichtet. In dem offenen Brief mit dem Titel »Schützen Sie Kirchenasyle vor Räumungen« verweist die BAG darauf, dass eine von ihr initiierte Onlinepetition mit dem Titel »Hande Weg vom Kirchenasyl« bereits mehr als 68 000 Menschen unterzeichnet hätten.

Die Absender verweisen auf die zunehmende Zahl von Fällen, in denen Kirchenasyle zwangsweise beendet wurden oder in denen die Ausländerbehörden dies androhten. »Ermöglichen Sie, dass in Härtefällen weiter die Möglichkeit besteht, Geflüchtete vor schweren Menschenrechtsverletzungen zu schützen«, fordern sie Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und ihre Ressortkolleg*innen der Länder auf.

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