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- »AfgActivistCollective« in Berlin
Afghanische Exilanten: »Das ist Gender-Apartheid«
Das Berliner »AfgActivistCollective« spricht mit »nd« über Aktivismus in der Diaspora und die Situation in Afghanistan
Kannst du das AfgActivistCollective kurz vorstellen?
Wir sind eine Gruppe von Migrant*innen erster und zweiter Generation aus Afghanistan, fast alle Frauen, manche geflüchtet, manche evakuiert. Wir waren schon länger in anderen Zusammenhängen aktiv, aber vor circa zwei Jahren haben wir beschlossen, eine eigenständige und unabhängige Gruppe zu gründen.
In Berlin leben sehr viele Menschen aus Afghanistan. Seid ihr als Kollektiv mit anderen Gruppen der afghanischen Community vernetzt?
Die afghanische Community ist sehr gespalten – genauso wie das Land selbst. Und das zeigt sich auch hier in der Diaspora. Der Druck von außen macht die Sache nicht einfacher. Wir als Kollektiv versuchen, Brücken zu bauen und Menschen zusammenzubringen, auch wenn wir unterschiedliche Ansichten haben. Aber das ist echt schwer. Im »Aktivismus« gibt es viele Vereine, die leider eher vom Leid in Afghanistan profitieren wollen, anstatt wirklich zu helfen. Das macht unsere Arbeit noch komplizierter, weil wir uns weigern, uns diesen Dynamiken anzupassen. Uns geht es darum, die Stimmen der Menschen in Afghanistan zu stärken – nicht darum, uns selbst ins Rampenlicht zu stellen.
Was sind denn die Spaltungen in der Community?
Der Konflikt in Afghanistan in den letzten 40 Jahren hat verschiedene Generationen von Geflüchteten mit verschiedenen politischen Erfahrungen nach Deutschland gebracht. Jede Person, die aus Afghanistan kommt, hat jemanden verloren, durch unterschiedliche Konflikte und von unterschiedlichen Fraktionen verursacht. Die Menschen tragen viel Groll mit sich. Hinzu kommt die Vielfalt an ethnischen Gruppen, die die afghanische Community prägen. Die Menschen in den Communities fühlen sich voneinander nicht gesehen.
Zoya ist Teil des »AfgActivistCollective«, einem Kollektiv junger Afghan*innen, das in Berlin aktiv ist und mit Demos, Protestcamps und Performances auf die Verstrickung Deutschlands mit der Situation in Afghanistan aufmerksam macht.
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Und was ist der Druck von außen, der zu Spaltungen führt?
Es gibt kaum Raum, sich zu Afghanistan zu äußern – und der wird oft an Menschen vergeben, die selbst nicht aus Afghanistan kommen. Es gibt sozusagen nur einen freien Stuhl für eine »afghanische Perspektive«. Aber die afghanische Community ist so divers, mit so vielen verschiedenen ethnischen Hintergründen, so vielen verschiedenen Werten. Das Problem ist, dass um diesen begrenzten Platz oft gekämpft wird. Jeder möchte seine eigene Sichtweise vertreten …
Du hast gesagt, dass andere Gruppen vom Leid profitieren. Was bedeutet das?
NGO-Strukturen sind profitorientiert, nicht nur in Bezug auf Afghanistan. In diesem Sinne machen wir als Kollektiv komplett alles ohne irgendwelche Förderung oder bezahlte Stellen. Wir sehen diesen Einfluss als allgemeines Problem, auch wie man sich äußern darf – zum Beispiel zur Solidarisierung mit Palästina.
Also dass man sich anpasst, um Fördermittel zu bekommen?
Ja, genau.
Ihr macht ja sehr viele Demos, Camps oder Performances. Was bezweckt ihr mit euren Aktionen?
Für uns ist es am wichtigsten, die Stimmen aus Afghanistan hörbar zu machen – das Leid im Land sichtbar zu machen, aber auch die entscheidende Frage zu stellen: Wer verursacht dieses Leid? Afghanistan ist reich an Mineralien, Bodenschätzen und Ressourcen, die im kapitalistischen System interessant sind. Dazu kommen die Militärinterventionen. Vor über 20 Jahren hieß es weltweit, die afghanische Frau müsse vor den Taliban-Terroristen gerettet werden. Doch was ist passiert? Zwei Jahrzehnte lang wurden Steuergelder in Waffen und Militärequipment gesteckt, und jetzt sind die Taliban stärker als je zuvor. Wie kann es sein, dass die internationale Gemeinschaft mit denselben Taliban in Katar das Doha-Abkommen unterzeichnet hat? Wir stellen diese Fragen nicht, weil wir alle Antworten haben, sondern weil sie mitgedacht werden müssen. Es reicht nicht, Afghanistan auf das Bild der »armen afghanischen Frau« zu reduzieren und so zu tun, als sei das Leid ein rein afghanisches Problem. So wird es in Deutschland und Europa oft dargestellt, während der Einfluss von Imperialismus und Neokolonialismus unsichtbar bleibt. Dadurch entsteht hier das Gefühl, nicht verantwortlich zu sein, obwohl es in der Realität nicht so ist. Wir arbeiten mit anderen Bewegungen aus dem globalen Süden zusammen und machen Verbindungen deutlich: wie es dazu kommt, dass diese Länder ausgebeutet werden, dass wir kriminalisiert werden, unsere Leute an den Grenzen ertrinken. Indem wir diese Kämpfe zusammenbringen, stellen wir klar, dass das nicht nur unser Problem ist, sondern das Problem von uns allen.
Und findet ihr Gemeinsamkeiten, Partner*innen in der Bewegung?
Wenn zum Beispiel Deutschland im selben Atemzug sagt, dass wieder nach Syrien und Afghanistan abgeschoben wird, obwohl die politische Lage in Afghanistan komplett anders ist als in Syrien, und wenn wir in den Nachrichten im Alltag sehen, wie gegen geflüchtete Männer gehetzt wird, können wir uns mit syrischen Aktivist*innen genau darüber unterhalten. Ein weiteres Beispiel ist: Geflüchtete aus Afghanistan sind eine der größten Gruppen von Geflüchteten in Deutschland. Wir können nicht sagen, dass wir nicht Teil von einem No-Border-Movement sind. Verbindungen sind überall.
Ihr sprecht euch immer wieder vehement gegen eine Normalisierung der Beziehungen mit den Taliban aus. Es gibt aber auch Stimmen, die das befürworten.
In Afghanistan können Mädchen ab der sechsten Klasse nicht zur Schule gehen. Frauen können nicht zur Uni gehen. Sie können in den meisten Arbeitsfeldern nicht arbeiten. Sie sind vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Jede Woche, jeden Monat, wird es strenger und strenger und neue Verbote prägen den Alltag einer Frau. Das ist Gender-Apartheid. Gleichzeitig passieren Vertreibungen von bestimmten ethnischen Gruppen in ländlichen Gegenden. Die Taliban erlauben sich alles, was sie möchten. Es wird immer behauptet, dass wenn man mit den Taliban kommuniziert, die Situation besser wird, aber die Praxis zeigt das Gegenteil. Dennoch passiert die Normalisierung weiterhin, die Kommunikation verstärkt sich, die Taliban sind eingeladen bei der UN, gehen zu COP29 und so weiter.
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Gibt es in Afghanistan eine politische Opposition, an die ihr anknüpft oder die ihr unterstützt?
Nein. Wir sind ein unabhängiges Kollektiv, das von Menschen für Menschen ist. Wir sind nicht verbunden mit irgendwelchen politischen Organisationen. Es kommt oft vor, dass Politiker oder NGOs auf unseren Demos sprechen wollen. Wir sind Menschenrechts- und Frauenrechtsaktivist*innen und denken, dass das getrennt sein muss. Wer den Stimmen aus Afghanistan, denen wir eine Plattform geben, zuhören will, ist willkommen.
Und wie bringt ihr diese Stimmen hierher?
Wir bitten Leute von vor Ort, Statements aufzunehmen und spielen die auf unseren Aktionen ab. Die Taliban sind nicht nur eine Bedrohung für Frauen, sondern eine Bedrohung für unsere Kultur, für unsere Geschichte, eine Bedrohung für alles, was uns mit unserer Kultur und unserem Land verbindet. Frauen können ihre traditionellen Kleider nicht mehr tragen. Ein Instrument, das seit tausenden von Jahren in Afghanistan gespielt wird, wird von den Taliban verbrannt. Wenn die Menschen diese Instrumente nicht spielen dürfen, heißt das, dass das dieses Wissen mit dieser Generation aussterben wird. Wir machen auch viel mit Kunst. Wir machen Performances auf Demos, spielen Musik und tanzen, was in Afghanistan verboten ist. Das ist für uns ein politisches Statement. Es ist wichtig, das weiter am Leben zu halten.
Was sind denn eure Forderungen hier in Deutschland?
Unsere zentrale Forderung ist, dass die Taliban nicht anerkannt werden. Außerdem fordern wir einen klaren Abschiebestopp – Afghanistan ist nicht sicher. Gender-Apartheid muss als Terminologie für die Lage in Afghanistan benutzt werden. Wir fordern Einblick in das Doha-Abkommen und dass Deutschland sein Bundesaufnahmeprogramm tatsächlich umsetzt. Deutschland hat Zehntausende Menschen in Gefahr gebracht und jetzt wird darüber geredet, dass das Programm abgeschafft werden soll. Das ist inakzeptabel.
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