Autoindustrie – Abbau oder Umbau?

In Anbetracht der Krise müsste die IG Metall einen bedarfsorientierten Umbau der Mobilität und Arbeitsverkürzungen auf die Tagesordnung setzen

  • Stephan Krull
  • Lesedauer: 7 Min.
Mit Warnstreiks mobilisiert die IG Metall gegen die Schließungspläne bei VW. Da die Anlagen nicht ausgelastet sind, tut der Konzernführung das bisher nicht allzu weh.
Mit Warnstreiks mobilisiert die IG Metall gegen die Schließungspläne bei VW. Da die Anlagen nicht ausgelastet sind, tut der Konzernführung das bisher nicht allzu weh.

Vor drei Tagen war Betriebsversammlung bei VW in Wolfsburg – meine Gedanken wanderten zu einer Ausstellung von vor 12 Jahren: »Learning from Detroit« Nichts bleibt wie es ist. Wird Wolfsburg das neue Detroit, Schwaben das neue Ruhrgebiet?

»Wir können die besten Autos der Welt bauen – das spielt aber keine Rolle, wenn wir damit kein Geld verdienen«, sagte der VW-Boss Oliver Blume vor einigen Tagen. »Der Vorschlag der Mitbestimmung ist ein Startpunkt, reicht aber leider bei weitem noch nicht aus, die Zukunft von Wolfsburg zu verteidigen.« Mit dem »Vorschlag der Mitbestimmung« meint der zehnfache Einkommensmillionär Blume das Angebot von IG Metall und Betriebsrat, Kapazitäten zu reduzieren, Personal gezielt abzubauen, die Löhne zu senken, die Arbeitszeit weiter zu flexibilisieren und so die Kosten um 1,5 Milliarden Euro zu senken. Wer mit dem Teufel frühstückt, braucht einen langen Löffel!

Zehntausende Arbeitsplätze werden abgebaut

Ist das eine normale Rezession, eine inszenierte Krise oder der Weg zur Deindustrialisierung? Die unübersehbare Klimakatastrophe, geopolitische Zuspitzungen, die Kriege in Europa und Nahost, Inflation, Dekarbonisierung und Digitalisierung verdichten sich in einem Krisengemenge zu großer Unübersichtlichkeit. »Die Industriekrise und der langanhaltende Wirtschaftsabschwung hinterlassen am Arbeitsmarkt ihre Spuren«, sagte Enzo Weber, Leiter des Forschungsbereichs »Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen« am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), vor wenigen Tagen bei der Vorstellung eines IAB-Berichts. »Wir verlieren jeden Monat in Deutschland 10.000 Arbeitsplätze in der Industrie, die Produktion liegt mittlerweile 15 Prozent unter dem Vor-Corona-Nieveau. … Während die eher klassische Industrie Jobs abbaut, werden viel zu wenig Jobs in den neuen Bereichen aufgebaut, insgesamt ist die Jobbilanz in der Industrie tiefrot. Wir brauchen einen Schub nach vorn: Deindustrialisierung ist nicht unausweichlich.«

Allein in der Auto- und Zulieferindustrie sind in den letzten fünf Jahren 75 000 der insgesamt etwa 800 000 Arbeitsplätze gestrichen worden. Bei einer Anhörung im Wirtschaftsausschuss des Bundestages erklärte die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie, »ehrlicherweise« müsse man davon ausgehen, dass es auch so weitergehen werde. Die Ankündigungen von Volkswagen, Ford, Bosch, Conti, Schaeffler, ZF, Thyssen-Krupp und vielen anderen kleineren Zulieferfirmen, Werke zu schließen, Zehntausende Arbeiter*innen zu entlassen und Löhne zu senken, scheinen ihre Aussage zu bestätigen. Die Unternehmen wollen selbst geschaffene Überkapazitäten vernichten und auf eine insgesamt sinkende Nachfrage reagieren. Wenn weniger Autos gebaut werden, wird weniger Stahl benötigt, werden weniger Reifen, Kabel und Sitze gebraucht. »Was die Weltwirtschaft angeht, so ist sie verflochten«, wusste schon Kurt Tucholsky.

Der US-Arbeitsmarktforscher Ian Greer von der Humboldt-Universität erklärte unlängst in einem Interview mit der SZ: »Unternehmen wie die amerikanischen Elektroauto-Spezialisten Tesla und Rivian und viele chinesische Hersteller bauen ihre Produktion aus. Und die traditionellen Automobilhersteller haben ebenfalls expandiert. Es wird Unternehmen geben, die scheitern und Werke schließen müssen. Noch wissen wir aber nicht, welche das sein werden … Die Hersteller nutzen die Unsicherheit, um von den Beschäftigten Zugeständnisse zu verlangen – und so zuerst die Renditen für die Aktionäre zu sichern. Aber so ist Kapitalismus.«

Trotz Krisenklage macht VW weiter hohe Profite

Zum Beispiel Volkswagen: Der Jammer besteht darin, dass der angepeilte Profit von 6,5 Prozent nicht erreicht wird, dass für 2023 »nur« 4,5 Mrd. Euro an die Aktionäre ausgeschüttet wurden und dass die Gewinnrücklagen von 147 Milliarden Euro nicht gewinnbringend im Inland anzulegen sind. »Die am Mittwoch, 30.10. vorgelegten Quartalszahlen der Volkswagen AG bieten keine Argumente, um einen harten Sparkurs mit Tarifeinschnitten zu rechtfertigen«, urteilt das in der internationalen Anlegerwelt bestens bekannte US-Analysehaus Bernstein.Die Gewerkschaft reagiert widersprüchlich. Im 11-Punkte-Zukunftsplan schreibt die IG Metall: »Unternehmen und Politik müssen die Mobilitätswende massiv beschleunigen. Schluss mit den Debatten um Ausstiegsdaten und Grenzwerte! Mobilität bedeutet für uns die bestmögliche Kombination von Auto, Bus, Bahn und anderen Verkehrsmitteln – in der Stadt wie auf dem Land. Von zentraler Bedeutung: deutlich höhere Investitionen in den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und in das Schienennetz.« Vor dem Warnstreik bei Volkswagen am 3.12. gab es solidarische Unterstützung für die VW-Arbeiter*innen durch aktive Metaller*innen der krisengebeutelten Betriebe wie Bosch und Thyssen-Krupp. Letztere waren mit einem Bus aus Duisburg angereist, um ihre Solidarität zu bekunden. »Es geht um mehr als den aktuellen Konflikt bei Volkswagen. Es geht um die Industrie in Deutschland und Europa, es geht um unsere Zukunft«, sagte Christian Matzedda, der Zweite Bevollmächtigte der Wolfsburger IG Metall. Und Carsten Büchling, Betriebsratsvorsitzender bei VW in Kassel, fügte hinzu: »Wenn wir mehr Einfluss hätten auf strategische Entscheidungen, könnten solche Zuspitzungen vermieden werden. Die Beschäftigten müssen zu Miteigentümern der Betriebe werden.«

Nötig wären eine strategische Industriepolitik, ein sozial-ökologisches Umbauprogramm auf Basis einer bedarfsorientierten Investitionsplanung und kräftige Investitionen in die Infrastruktur.

Doch die Vorsitzende des Gesamtbetriebsrates Daniela Cavallo äußerte sich anders: »Wir verschließen uns keinem Personalabbau und keinem Outsourcing.« Sehr zurückhaltend war auch die Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner: »Entscheidend ist, ob es eine Strategie nach vorne gibt. Und die zu entwickeln ist eine Führungsaufgabe.«

Das leisten aber weder die Unternehmen noch die Regierung. Zu fragen ist: Wo bleibt der Mitbestimmungsanspruch, der Gestaltungswille und der alternative Plan der weltgrößten Gewerkschaft mit viel Organisationskraft in diesen Unternehmen?

Aussichtlose Fixierung auf alte Industriestrukturen

Die IG Metall müsste in die Offensive gehen, die Bereitschaft zu gemeinsamen Aktionen von Auto- und Stahlarbeiter_innen aufgreifen und wirksame Aktionen organisieren. Es ist absehbar, was nach einer Niederlage der größten und stärksten Gewerkschaft folgen würde: kein Umbau, keine Transformation, sondern Verlagerung und Abbau. Großflächig würden in der Metall- und Elektroindustrie und schließlich in allen anderen Industrie- und Dienstleistungsbereichen Personal entlassen, Einkommen der Arbeiter_innen nach unten »angepasst«, die Arbeitszeit ausgeweitet und weiter flexibilisiert. Zukunftsangst und Widerstand gegen jede weitere Veränderung wären die Folgen. Das ist die Dimension dieser Auseinandersetzung, aus der sich die Verantwortung der Gewerkschaft und der gesellschaftlichen Linken ergibt.

Aber es geht auch nicht um Industrie schlechthin: Es geht um umweltverträgliche und nachhaltige Produkte und um gute Arbeit. Für die Konversion der Autoindustrie braucht es einen gesellschaftlichen Konsens und viel Geld für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs in ländlichen Räumen. Die Androhung von Massenentlassungen und Werksschließungen durch die Arbeitgeber macht deutlich, wie aussichtslos die Fixierung auf die hergebrachte Autoindustrie ist.

Folgen des angekündigten Kahlschlags wären geringere Steuereinnahmen in den Kommunen, worunter als erste geflüchtete und arme Menschen zu leiden hätten. Ganz in diesem Sinne kündigte Wolfsburgs Oberbürgermeister Weilmann bereits an, künftig mehr Menschen abschieben zu wollen. In Köln wiederum ist zu lesen: »Nicht mal für neue öffentliche Toiletten in der Stadt ist Geld da. Um die jährlichen Verluste abzumildern, müssen die Kölnerinnen und Kölner mehr Gebühren bezahlen.«

Um diese Entwicklung zu stoppen, wären eine strategische Industriepolitik, ein sozial-ökologisches Umbauprogramm auf Basis einer bedarfsorientierten Investitionsplanung sowie kräftige Investitionen in die Infrastruktur, den smarten Fahrzeugpark und das Personal des ÖPNV von nöten. Weil die nur am Profit orientierten Unternehmen das nicht tun, müssten gemeinwirtschaftliche Unternehmen aufgebaut werden: gGmbH`s, Genossenschaften oder Stiftungen. Einen richtigen Hinweise lieferte das Transparent von gewerkschaftlichen Vertrauensleuten bei der Warnstreikdemo am 2. Dezember in Wolfsburg: »Lieber Vorstand! Statt Krise und mit Gier – wenn ihr nicht könnt, übernehmen wir!« Ein wichtiges Instrument ist die kollektive Arbeitszeitverkürzung zur Vier-Tage-Woche mit Zeitwohlstand für alle. Alles zusammen wären eine Abkopplung vom Wachstumszwang und ein Ausstieg aus der globalen Konkurrenz

Klare politisch-ökonomische Analyse entsprechend der konkreten Lage, der realen Entwicklung, der Kräfteverhältnisse und der Klassenauseinandersetzungen ist gefragt. Es geht nicht um die radikalste Forderung – aber auf Basis der Konkurrenz und Profitwirtschaft sind die Probleme auf Dauer nicht zu lösen. Vermögensabgaben, Dividendenbegrenzung, Arbeitszeitverkürzung und das Verbot von Entlassungen sind Forderungen, die in gemeinsamen Aktionen erkämpft werden müssen – und ein erster Schritt wären, um die Profitwirtschaft ein wenig einzuhegen.

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