Tiktok-Faschist will in Rumänien regieren

Gericht annulliert Präsidentschaftswahl in Rumänien. Rechter Außenseiter Călin Georgescu galt als Favorit

  • Edmond Jäger
  • Lesedauer: 5 Min.
Plakate im Dorf Mihai Viteazu zeigen unter anderem den rechtsextremen Präsidentschaftskandidaten Călin Georgescu (unten).
Plakate im Dorf Mihai Viteazu zeigen unter anderem den rechtsextremen Präsidentschaftskandidaten Călin Georgescu (unten).

Die rumänische Bevölkerung fragt sich, wie es nun weitergeht. Das oberste Gericht des Landes hat am Freitag kurzfristig die Präsidentschaftswahl annulliert. Sie muss vollständig wiederholt werden. Ursprünglich war für Sonntag die Stichwahl vorgesehen – die Übernahme des Präsidentenamts durch einen Sympathisanten des rumänischen Faschismus war dabei durchaus möglich erschienen. Das Gericht habe die Entscheidung getroffen, »um die Korrektheit und Rechtmäßigkeit des Wahlprozesses sicherzustellen«, heißt es.

Die erste Runde der Präsidentschaftswahl von Ende November hat in Rumänien einen Rechtsrutsch in Gang gesetzt. Der rechtsradikale Außenseiter Călin Georgescu holte mit 22,9 Prozent die meisten Stimmen und auch bei der folgenden Parlamentswahl Anfang Dezember gelang es mehreren rechtsradikalen Parteien, insgesamt 31 Prozent der Stimmen zu ergattern – vor vier Jahren waren es lediglich neun Prozent gewesen. Zudem sind nun drei statt einer rechtsradikalen Partei im Parlament vertreten. Zuletzt kam vor 24 Jahren ein Rechtsradikaler in die Stichwahl. Seitdem spielten rechtsradikale Parteien keine große Rolle mehr, bis vor vier Jahren mit der Allianz für die Vereinigung der Rumänen (AUR) wieder eine entsprechende Partei ins Parlament eingezogen ist.

Tiktok spielt Schlüsselrolle

Der Überraschungskandidat Georgescu hat mittlerweile auch in den Mainstream-Medien die etablierten Politiker verdrängt. In den sozialen Medien ist er längst ein Star. Die Schlüsselrolle spielt dabei die chinesische Videoplattform Tiktok. Hier präsentiert sich Georgescu als eine illustre Persönlichkeit. In kitschig, aber professionell wirkenden Videos sieht man ihn auf einem Pferd reiten oder beim Judo – ein machohafter Stil, der vom russischen Präsidenten Wladimir Putin bekannt ist. Die meisten Videos zeigen einfach krude Statements von Georgescu. Diese zeugen von einem Weltbild, das nationalistisch ist, alle Themen der internationalen radikalen Rechten aufgreift und mit Bezügen zur christlich-orthodoxen Religion vermischt. Darüber hinaus fordert Georgescu eine Abkehr von der Westintegration Rumäniens hin zu einer stärkeren Hinwendung zu Russland. Damit dürfte er Bündnispartner beiderseits des Atlantiks verunsichern.

Die Übernahme des Präsidentenamts durch einen Sympathisanten des rumänischen Faschismus ist durchaus möglich.

Georgescu ist es gelungen, Millionen Follower auf seinen Tiktok-Kanal zu bringen. Schnell wurde von Politikern und Journalisten der Vorwurf erhoben, dass diese Präsenz womöglich von Russland aus gesteuert und finanziert worden sein könnte. Tiktoks Managerin Brie Pegum sagte vor dem Europäischen Parlament aus, das Unternehmen habe sowohl im September als auch nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahl Konten von Tiktok-Nutzern gesperrt, die als Teil von größeren Netzwerken Einfluss auf die rumänischen Wahlen nehmen sollten. Das größte dieser Netzwerke sei mit dem russischen Medium Sputnik verbunden gewesen. Die Nutzungsbestimmungen von Tiktok sehen vor, dass politische Werbung gekennzeichnet sein muss, was hier nicht gegeben war. Seitdem ist auf Tiktok keine Trendwende erkennbar. Gibt man »Rumänien« als Suchbegriff ein, findet man nach wie vor zahlreiche Videos, die Georgescu unterstützen und die liberale Gegenkandidatin Elena Lasconi von der Union zur Rettung Rumäniens (USR) dämonisieren.

Georgescu profitiert von Krise

Doch Georgescu hätte, unabhängig von Tiktok, diesen Erfolg nicht einfahren können ohne die politischen und wirtschaftlichen Probleme im Land. Dabei ist die wirtschaftliche Lage auf den ersten Blick gar nicht so schlecht. Allein zwischen 2017 und 2022 stieg das verfügbare Einkommen in Rumänien um 101 Prozent – so stark wie in keinem anderen EU-Land. Doch seit dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine 2022 nagt die Inflation an Löhnen und Gehältern. Um knapp 30 Prozent stiegen die Preise seitdem. Die große Koalition aus Nationalliberalen und Sozialdemokraten hat den Preissteigerungen mit deutlichen Erhöhungen des Mindestlohns entgegengewirkt. So stieg die Lohnuntergrenze zwischen Jahresbeginn 2022 und Juni 2024 um insgesamt 44 Prozent und damit stärker als die Preise. Den Mindestlohn erhält in Rumänien rund ein Viertel der Beschäftigten.

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Doch anscheinend reichen die Probleme tiefer. Für das linke, akademisch geprägte rumänische Portal Critic Atac hat der Soziologe Norbert Petrovici die sozio-ökonomische Basis der Präsidentschaftskandidaten untersucht. Dabei fand er heraus, dass Georgescus Wähler vor allem aus Regionen des Landes kommen, die nach dem Systemwechsel 1990 eine Deindustrialisierung erfahren haben und denen es auch nicht gelungen ist, Firmen aus dem Westen anzusiedeln. Die Liberale Elena Lasconi hat ihre Hochburgen dagegen vor allem in urbanen Räumen, in denen Niederlassungen ausländischer Firmen häufig anzutreffen sind.

An der Vermutung, dass der Wahl rechter Kandidaten Frustration über die wirtschaftliche Lage zugrunde liegt, scheint hier etwas dran zu sein. Denn auch nach 17 Jahren Mitgliedschaft in der EU wächst der Wohlstand der Bevölkerung nur langsam. Das kann man auch an den rund sechs Millionen Rumänen ablesen, die ausgewandert sind. Auch unter diesen verfangen die Parolen Georgescus. Unter Rumänen in Deutschland konnte er 58 Prozent der Stimmen erringen. Viele Rumänen fühlen sich in der EU als Bürger zweiter Klasse. In Umfragen äußern zwar die meisten, dass sie von der EU profitieren. Doch fast ebenso viele glaube, dass Rumänien keinen Einfluss darauf habe, was die EU mache.

Die Parlamentswahl hat zumindest den demokratischen Parteien eine Mehrheit verschafft. Den ersten Platz haben die Sozialdemokraten des amtierenden Ministerpräsidenten Marcel Ciolacu belegt. Für die Fortsetzung der großen Koalition mit der konservativen Nationalliberalen Partei (PNL) reicht es zwar nicht, doch mit weiteren Koalitionspartnern wie dem Ungarnverband UDMR und der liberalen USR der Präsidentschaftskandidatin Lasconi könnte eine Mehrheit geformt werden. Der amtierende sozialdemokratische Ministerpräsident Ciolacu hat schon verkündet, dass er auf jeden Fall im Amt bleiben möchte – unabhängig, wer Präsident werden wird.

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