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Alle Innenminister wollen noch mehr abschieben und zurückweisen
Faeser möchte EU-Asylrechtsverschärfungen zügig umsetzen. Doch den Unions-Innenressortchefs geht all das nicht weit genug
Einen Beschluss zur Asyl- und Migrationspolitik konnten die Teilnehmer der Innenministerkonferenz (IMK) im brandenburgischen Rheinsberg nicht vorlegen. Doch im Grundsatz sind sich alle einig: Es soll noch mehr und schnellere Abschiebungen geben, noch mehr Zurückweisungen an den deutschen Grenzen, und Straftäter wie auch »Gefährder« sollen auch in die von Bürgerkrieg und brutalen Regimes dominierten Länder Syrien und Afghanistan abgeschoben werden. Und Sozialleistungen für abgelehnte und ausreisepflichtige Asylbewerber sollen auf ein Minimum gekürzt werden.
Während Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Freitag bei der Abschlusspressekonferenz die gemeinsamen Ziele und das konstruktive Zusammenwirken dabei hervorhob, bedauerte der amtierende IMK-Vorsitzende, Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU), dass man sich in der »Migrationsfrage nicht einigen« konnte.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) betonte demgegenüber, man habe in den vergangenen Monaten die »irreguläre Migration« bereits stark begrenzen können. Asylgesuche gingen zurück, mehr Abschiebungen seien durchgesetzt worden. Auch seien erstmals wieder Straftäter nach Afghanistan abgeschoben worden. Die Zahl der Abschiebungen allgemein sei in diesem Jahr um 30 Prozent und 2023 um 25 Prozent jeweils gegenüber dem Vorjahr gestiegen, lobte Faeser die Arbeit ihres Hauses und die der Länder.
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»Für mich stehen deutsche Sicherheitsinteressen an erster Stelle«, versicherte die SPD-Politikerin. Die amtierende Bundesregierung habe dafür gesorgt, dass Gewalttäter nach Absitzen einer Haftstrafe in Deutschland abgeschoben werden können, auch nach Afghanistan und Syrien. Dasselbe gelte für »islamistische Gefährder«. Des Weiteren werde man »neue Ausweisungstatbestände schaffen« gegen Personen, die »islamistische« oder andere Formen von »Hetze« verbreiteten.
Die Bemühungen, auch nach Syrien abschieben zu können, würden durch die aktuelle Kriegslage in dem Land zwar erschwert, sie würden aber nicht auf Eis gelegt, versicherte Faeser. Vielmehr werde geprüft, ob es Regionen in Syrien gebe, in die Rückführungen möglich seien.
Hamburgs Innensenator Andy Grote sprang Faeser bei. Als jemand, der schon acht Jahre lang die Sitzungen der IMK besuche, könne er sagen, dass in diesem Zeitraum nie so viel »geschafft« worden sei, wie in den letzten beiden Jahren, so der SPD-Politiker. Wie die Bundesministerin betonte auch Grote, der »entscheidende Paradigmenwechsel« sei die im Frühjahr vom Europaparlament beschlossene Reform des Gemeinsamen Asylsystems der EU (GEAS).
Mit Asylverfahren an den EU-Außengrenzen für alle Personen, für deren Herkunftsländer es eine Anerkennungsquote bei Asylanträgen von unter 20 Prozent gebe, habe man entscheidende Weichen dafür gestellt, dass weniger Menschen nach Deutschland kommen, hatte Faeser zuvor betont. Noch vor der EU-rechtlichen Umsetzungsfrist Mitte 2026 will sie die Regelungen für Außengrenzverfahren an deutschen Flughäfen anwenden. Die Bundesregierung hat dafür zwei Gesetzesänderungen beschlossen. »Das fertige Gesetzespaket liegt im Bundestag auf dem Tisch und muss schnellstmöglich verabschiedet werden«, forderte Grote. Statt »ständig neue rechtswidrige Forderungen zu erheben«, sei hier von der Union »konkretes Handeln gefragt«.
Den unionsgeführten Ländern gehen die Maßnahmen des Bundes selbstredend nicht weit genug. Sie fordern faktisch pauschale Zurückweisungen an den deutschen Grenzen, mehr Abschiebeflüge, eine Obergrenze bei der Flüchtlingsaufnahme sowie Asylverfahren in Drittstaaten, wie sie von Italien in Albanien angestrebt werden. Die Möglichkeiten für letztere, betonte Faeser, würden weiter geprüft.
Auf den Hinweis, dass pauschale Zurückweisungen gegen die Dublin-Bestimmungen der EU verstoßen, erklärte Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) derweil am Freitag im Deutschlandfunk, an diese Regeln würde sich außer Deutschland ohnehin niemand mehr halten. Also könne auch die Bundesrepublik sie ignorieren, wollte er damit offenbar sagen. Nach Ansicht von Schuster sind 100 000 Asylanträge pro Jahr die Grenze dessen, was Deutschland »verkraften« könne. In den ersten elf Monaten dieses Jahres haben 216 861 Menschen erstmals in Deutschland einen Asylantrag gestellt und damit 28,8 Prozent weniger als im Vergleichszeitraum des Vorjahres.
Die unionsgeführten Länder hatten in einer Beschlussvorlage für die IMK die Situation in dramatischen Farben geschildert. Das gesamte Flüchtlingsaufnahmesystem bei Ländern und Kommunen befinde sich an der Belastungsgrenze und habe diese teilweise bereits überschritten, hieß es darin. In vielen Bereichen wie der Schaffung von Wohnraum, bei Kinderbetreuungsplätzen und der gesundheitlichen Versorgung seien die Grenzen der Leistungsfähigkeit erreicht.
Die Spitzen der Kommunalverbände sind derweil auf einer Linie mit den Forderungen der Unionsminister. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, André Berghegger, forderte unter anderem eine strikte Einschränkung des Familiennachzugs. Eine Zusammenführung von Familien müsse auf Härtefälle beschränkt werden, zudem müssten die Betroffenen zuerst nachweisen, dass sie eine Wohnung haben, sagte er den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND, Freitagsausgaben). Zudem verlangte er die Abweisung von Flüchtlingen aus Drittländern direkt an der Grenze und mehr Abschiebungen durch den Bund statt nur durch die Länder.
Ähnlich äußerte sich der Präsident des Deutschen Landkreistages, Achim Brötel (CDU). Es mangele in den Kommunen an Sprachkursen, Kita- und Schulplätzen sowie in der medizinischen Versorgung, beklagte er. Deshalb müsse alles getan werden, um das Dublin-System der EU wieder in Funktion zu setzen. »Wenn dies nicht zeitnah gelingt, sollte Deutschland die Anwendung der Dublin-Regelungen für sich vorübergehend aussetzen«, so Brötel. Asylsuchende, für deren Antrag Deutschland nach den europäischen Regelungen nicht zuständig sei, müssten bereits an den Grenzen »in den für sie zuständigen EU-Mitgliedstaat zurückgewiesen werden«.
Brötel forderte darüber hinaus, ausreisepflichtige Asylbewerber in zentralen Abschiebeeinrichtungen unterzubringen. Die Länder müssten zudem »die Zahl der Abschiebehaftplätze deutlich erhöhen«.
Die fluchtpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Clara Bünger, verurteilte diese Darstellungen als unbarmherzige Sündenbockpolitik. Dass es in ganz Deutschland an Wohnraum fehle, liege daran, dass zu wenig bezahlbare Unterkünfte geschaffen werden, erklärte sie am Freitag. »Es ist doch absurd, dass derzeit in Großstädten Tausende Wohnungen leer stehen, weil deren Mieten so hoch sind, dass niemand einziehen kann«, so Bünger. Es sei unverantwortlich, Geflüchteten dafür die Schuld zuzuweisen. Bünger fordert eine auskömmliche Finanzierung der Kommunen. Weil die unzureichend sei, fehle es an »Sprachkursen, Kita-Plätzen und medizinischer Versorgung für alle«.
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