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Brandenburgs Linke wählt alte Spitze zur neuen
Katharina Slanina und Sebastian Walter bleiben trotz Wahlniederlage die Landesvorsitzenden
Zeuthen ist »eine Insel der Glückseligen«, sagt der junge Bürgermeister Philipp Martens (Linke). In der Gemeindevertretung gebe es die AfD nicht, dafür im Ort genug kommunale Kitas, um alle Kinder zu betreuen, und kommunale Wohnungen mit günstigen Mieten ab 3,30 Euro je Quadratmeter. Doch im Süden des Landkreises Dahme-Spreewald sehe es anders aus. Da hätten Bürgermeister nicht einmal genug Geld, um ein Dorffest auszurichten oder einen Gehweg auszubessern – und wenn der Staat nicht funktioniere, dann wählen Menschen die AfD.
Mit solchen Bemerkungen eröffnet Martens am Samstag den Landesparteitag der brandenburgischen Linken in Schönefeld. Er ist seit neun Monaten Bürgermeister und ein Beweis dafür, dass seine Partei noch Siege einfahren kann. Das Gegenteil ist bei der Landtagswahl am 22. September eingetreten. 2,98 Prozent bedeuteten das schlechteste Ergebnis in der Geschichte der Linken in Ostdeutschland. Erstmals ist die Partei nicht mehr in einem ostdeutschen Landtag vertreten.
Nichtsdestotrotz machen Katharina Slanina und Sebastian Walter als Doppelspitze der Brandenburger Linken weiter. Sie werden im Airporthotel »Holiday Inn« für zwei weitere Jahre gewählt. Slanina erhält von den Delegierten 56 Prozent der Stimmen und Walter 63 Prozent. Das ist ziemlich bescheiden angesichts der Tatsache, dass sie keine Mitbewerber hatten.
Von den vier neuen Stellvertretern sind drei noch sehr jung: die 31-jährige Anna-Frieda Reinke erhält 89 Prozent der Stimmen, der 22-jährige Marek Lipp 74 Prozent und die 25-jährige Yasmin Kirsten 73 Prozent. Dazu kommt mit 61 Prozent noch der 48-jährige Stephan Wende, der erst beim Parteitag entscheidet, sich als Vizevorsitzender zu bewerben. Von den bisherigen Vizevorsitzenden tritt Julia Wiedemann nicht wieder an und Christopher Neumann versucht, auf den Posten des Landesgeschäftsführers zu wechseln. Er kann sich allerdings nicht gegen den Amtsinhaber Stefan Wollenberg durchsetzen, obgleich deutlich wird, dass Wollenberg nicht das Vertrauen der Vorsitzenden Slanina genießt und sich der Vorsitzende Walter für Neumann ausspricht. Stefan Wollenberg wird dennoch mit 56 Prozent der Stimmen bestätigt – auch mit dem von einer Delegierten vorgebrachten Argument, es wäre unklug, kurz vor dem Bundestagswahlkampf auf dieser Position zu tauschen. Neue Schatzmeisterin ist mit 92 Prozent Anika Ziervogel, die erst vor vier Jahren in die Partei eingetreten ist.
Die schwere Niederlage bei der Landtagswahl hat auch finanzielle Auswirkungen. Statt mehr als 67 000 Euro im Jahr wird es für den Landesverband künftig nur noch 22 600 Euro aus der staatlichen Parteienfinanzierung geben. Darüber hinaus ist ein Verlust von 138 000 Euro zu verkraften, weil die Abgaben der zuletzt zehn Landtagsabgeordneten wegfallen. Ungefähr 750 000 Euro habe man in den Landtagswahlkampf gesteckt, erläutert der scheidende Schatzmeister Mario Dannenberg. So eine Summe sei zur Landtagswahl 2029 aus eigener Kraft nicht mehr aufzubringen, bedauert er.
Nach Einschätzung des Landesvorsitzenden Sebastian Walter wird es allerdings nicht bis 2029 dauern, sondern schon früher Neuwahlen geben. »Diese Koalition wird keine fünf Jahren halten«, prophezeit er mit Blick auf das anstehende Regierungsbündnis von SPD und BSW. Zunächst einmal ist am 23. Februar Bundestagswahl. Dazu sagt Walter: »Wir werden im Februar sehen: Mit der Linken in Brandenburg ist wieder zu rechnen, weil wir deutlich über fünf Prozent kommen werden.«
»Es war richtig, dass wir trotz allen Gegenwinds, trotz aller Stürme, gestanden haben und nicht nach rechts gerückt sind.«
Sebastian Walter Landesvorsitzender
Was die vergeigte Landtagswahl betrifft, beharrt Walter: »Es war richtig, dass wir trotz allen Gegenwinds, trotz aller Stürme, gestanden haben und nicht nach rechts gerückt sind.« Dabei hätten es die Genossen leichter haben können, wenn sie zum BSW übergelaufen wären. »Wir müssen ehrlich diese Niederlage analysieren«, findet Walter, der Landtagsfraktionschef und Spitzenkandidat gewesen ist. Selbstkritisch gesteht er, in einer Blase gelebt zu haben. Man sei nicht automatisch relevant, wenn man im Pressespiegel auftauche und im Sender RBB auftrete. Beliebtheitswerte sagten nicht unbedingt etwas darüber aus, wie man in die Gesellschaft hineinwirke. Er persönlich habe zu oft Journalisten und den anderen Fraktionen gefallen wollen. Konflikte habe er nicht austragen wollen, weil Streit ja schade. Die Landespartei sei als Anhängsel der Fraktion gesehen worden. Aber die Ideen – Frieden, Gerechtigkeit, Antifaschismus – die seien nicht falsch. Hoffnung machen 425 Neueintritte seit Jahresbeginn, davon allein 73 in Potsdam und 47 im Landkreis Märkisch-Oderland. »Das erste Mal seit 1990 haben wir am Jahresende mehr Mitglieder als am Jahresanfang«, sagt der Landesvorsitzende Walter.
Heidi Reichinnek versucht dann später, Mut zu machen und Sebastian Walter wieder aufzubauen. Die Vorsitzende der Linken im Bundestag hat im Landtagswahlkampf geholfen. Sie erzählt, in keinem anderen Bundesland sei sie so oft auf den Spitzenkandidaten angesprochen worden. »Hat er gut gemacht.« Doch die zerstrittene Bundespartei habe den Genossen in Brandenburg »den Boden unter den Füßen weggezogen«.
Die neue, im Oktober gewählte Bundesspitze der Linken macht nach Einschätzung der Ex-Landtagsabgeordneten Isabelle Vandré jedoch schon einen super Job. Einen solchen Aufbruch wünscht sie sich auch in Brandenburg. Man müsse die Querelen hinter sich lassen. In den letzten Wochen sei es im Landesverband »zu still geworden«. Für den Bundestagswahlkampf möchte Vandré: »Nicht lang und breit erklären, was alles nicht geht – einfach probieren!«
Artur Pech vom Karl-Liebknecht-Kreis warnt, heute müsste man geheilt sein vom Glauben an eine Politik, »die unübersehbar gescheitert ist«. Er zitiert dazu aus einem im »nd« veröffentlichten Kommentar: »Wenn die Chance zur Umkehr und Neuorientierung nun angesichts der Neuwahl des Bundestags erneut verpasst wird, dann ist es endgültig aus und vorbei.«
Die Landesvorsitzende Slanina verspricht: »Wir werden für unser Ideal eines demokratischen Sozialismus einstehen – ob wir im Landtag vertreten sind oder nicht.«
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