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Urlauber unter Generalverdacht
Ein neues Gesetz in Spanien stößt auf Widerstand in der Tourismusbranche
Fast könnte man denken, dass die spanische Regierung versucht, angesichts der massiven Proteste im Land gegen den überbordenden Tourismus zumindest Teile der Erholungssuchenden abzuschrecken. In Großbritannien wird schon ein Spanien-Boykott gefordert, da seit dem 2. Dezember Touristen viele persönliche Daten preisgeben müssen, wenn sie ein Auto mieten, eine Reise buchen oder auf dem Campingplatz oder im Hotel übernachten. Das entsprechende »Königliche Dekret 933/2021« treibt auch Datenschützer und die Tourismusindustrie auf die Barrikaden.
Engländer, Schotten und Waliser fühlen sich schon nicht mehr willkommen. In britischen Medien wird von »Big Brother-Bestimmungen« gesprochen. Viele wollen Spanien in Zukunft meiden. Dass die sozialdemokratische Regierung vor allem jenes Land verschreckt, das mit gut 20 Prozent jährlich mit Abstand die meisten Touristen ins Land schickt, war so sicherlich nicht geplant. Zudem hängt ein großer Teil der Wirtschaftskraft am Tourismus, ein großes Problem für Spanien.
In Hotels müssen ab sofort 42 Angaben gemacht werden, bei Autovermietungen sogar 64. Reichten bisher Name, Geschlecht, Nationalität, und Geburtsdatum, müssen den Sicherheitsbehörden jetzt auch Festnetz- und Mobil-Telefonnummern, E‑Mail‑Adressen und alle Kreditkartendaten ihrer Kunden übermittelt werden, sogar die Iban-Nummer des Bankkontos. Dazu kommt die volle Anschrift. Bei mitreisenden Kindern muss auch das Verwandschaftsverhältnis angegeben und eine Erlaubnis der Eltern vorgelegt werden. Reisebüros müssen erklären, in welchen Hotels ihre Kunden übernachten und welche Fahrzeuge sie über die Agentur gemietet haben. Autovermieter sollen sogar GPS-Daten der Fahrzeuge liefern. Dass vom »gläsernen Touristen« gesprochen wird, ist verständlich, dem Identitätsdiebstahl wird Tür und Tor geöffnet.
Verärgert sind die Touristen also nicht nur, weil sie beim Check-in nun viel Geduld aufbringen müssen, sondern auch weil sie um die Sicherheit ihrer Daten fürchten. Datenschützer halten die Sammelwut, die weit über alles hinausgeht, was man aus anderen EU-Ländern kennt, ebenfalls für bedenklich. Anwalt Luis María Pardo, zugleich Präsident der Partei »Iustitia Europa«, klagt bereits am Nationalen Gerichtshof in Madrid gegen das Dekret. Er erkenne darin eine »eklatante Verletzung der Grundrechte«, einen Verstoß gegen die Verfassung und die Europäische Grundrechtecharta. Beantragt hat er auch die »vorläufige Aussetzung«, da eine Umsetzung »irreparable Schäden« verursache.
Viele sensiblen persönliche Daten werden jetzt nicht nur gesammelt, sondern müssen auch über drei Jahre und zentral auf Servern von »SES Hospedajes« gespeichert werden. Bei Zuwiderhandlung drohen demnach Geldbußen in Höhe von 100 bis 30 000 Euro. Dass das System gleich am ersten Tag kollabierte, lässt unter anderem Datenschützern die Haare zu Berge stehen.
Das hatte die Tourismusindustrie befürchtet, die das Dekret als »unverhältnismäßig« ablehnt. Sie kritisiert vor allem den zusätzlichen bürokratischen Aufwand. Der sei schwer zu bewältigen und würde den Tourismus behindern. Bereits in der Testphase hätten sich Probleme gezeigt. Der Branchenverband Acave spricht auch von einem »chaotischen Verfahren«, da zum Teil auf »drei verschiedenen Plattformen« gearbeitet werden müsse. Denn Katalonien und das Baskenland haben eigene Systeme, doch die Touristen müssen auch im nationalen Register gemeldet werden.
Die Datenschutzorganisation AEPD hält die Datensammelei für überzogen. Sie kritisiert auch, dass auf die Daten ohne »notwendige Legitimation« und ohne »berechtigtem Verdacht« im Rahmen einer Ermittlung zugegriffen werden dürfe, sogar vom Finanzministerium. Der umstrittene Innenminister Fernando Grande-Marlaska rechtfertigt das Vorgehen mit der Bekämpfung von Terrorismus und der organisierten Kriminalität, die im Gesetzesblatt als die »größten Angriffe auf die Sicherheit der Bevölkerung« bezeichnet werden.
Kritiker sehen darin aber nur eine »Ausrede, um in unsere Privatsphäre einzudringen«. Man wolle eine »enorme Menge an Daten« erhalten, die man eigentlich nur in »konkreten Fällen« erheben dürfe, erklärt der Professor und Anwalt für digitale Rechte, Borja Adsuala Vareda. »Der Staat räumt sich selbst das Recht ein, uns in allen Bereichen unseres Lebens zu kontrollieren.« Er fragt sich: »Wer aber überwacht die, die uns überwachen?«
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