BSW Berlin wählt Fußballmanager zum Spitzenkandidaten

Wagenknecht-Partei stellt Bundestagskandidaten für die Hauptstadt auf

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
In den offenen Abstimmungen werden die meisten Entscheidungen einstimmig getroffen.
In den offenen Abstimmungen werden die meisten Entscheidungen einstimmig getroffen.

Als Geschäftsführer hat Oliver Ruhnert den Fußballverein 1. FC Union Berlin in die erste Bundesliga geführt. Nun soll er in der Hauptstadt das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) als Spitzenkandidat des Landesverbandes in den Bundestag bringen. Bei einem Landesparteitag im Rathaus Mitte wurde Ruhnert am Sonntagnachmittag mit 87,6 Prozent der Stimmen nominiert.

Als jüngstes von fünf Geschwistern ist Ruhnert im Sauerland in sehr einfachen Verhältnissen aufgewachsen, wie er erzählt. Er habe in der Grundschule erlebt, wie trotz gleich guter Leistungen Mitschüler aus besserem Hause eine Empfehlung fürs Gymnasium erhielten und er nur für die Hauptschule. Auf dem zweiten Bildungsweg habe er dann später das Abitur nachgeholt und in Dortmund studiert. Während seiner Ausbildung zum Lehrer für Sport und Geschichte habe er Nachtschichten in Tankstellen geschoben oder Zeitungen ausgetragen, weil das Bafög nicht ausreichte. Es herrsche keine Chancengleichheit und das sei »skandalös«.

So begründet Ruhnert, warum er 2009 erstmals für die Linkspartei kandidierte und in den Stadtrat von Iserlohn einzog. Jetzt ist er zum Bündnis Sahra Wagenknecht gewechselt und erklärt am Sonntag, warum ihm die Kommunalpolitik nicht mehr reicht und er in den Bundestag möchte: Die Städte und Gemeinden könnten nur noch verwalten und nicht mehr gestalten.

Ruhnert steht nicht nur auf Platz eins der BSW-Landesliste. Er wurde am Sonntag zusätzlich zum Direktkandidaten im Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf bestimmt. Es war erwartet und in der Linken befürchtet worden, dass der Fußballmanager in Treptow-Köpenick antritt. Was ihm dort viele Stimmen versprochen und den Sieg des Bundestagsabgeordneten Gregor Gysi (Linke) gefährdet hätte, war aber auch Ruhnerts Grund, gerade nicht in diesem Wahlkreis anzutreten: Denn in Köpenick steht mit dem Stadion an der Alten Försterei die Spielstätte des 1. FC Union. Seinen Arbeitsort und seine Kandidatur, das habe er klar trennen wollen, erklärt Ruhnert dem »nd«. Dass Die Linke seine Kandidatur gegen Gysi gefürchtet habe, sei ihm bewusst, bestätigt er.

Der Brandenburger BSW-Landesvorsitzende Robert Crumbach ist kein Fußballer, aber ein »alter Handballer« und sagt als Gast des Parteitags am Sonntag im Rathaus Mitte: »Wir müssen aufs Feld gehen und ausstrahlen, dass wir gewinnen.«

Auf Listenplatz zwei wird mit 89,6 Prozent die Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen gesetzt, die außerdem direkt im Wahlkreis Berlin-Mitte kandidiert. Sie zeigt sich sicher, dass das BSW bei der Wahl am 23. Februar mit einer starken Fraktion ins Parlament einziehen werde. Sie sagt, sie freue sich heute schon auf die langen Gesichter von CDU-Chef Friedrich Merz, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Ex-Finanzminister Christian Lindner (FDP), »wenn sie sehen, dass sie uns nicht mehr auf die hinteren Plätze verbannen können«. Dağdelen zählt bis auf Linke und BSW alle Parteien im Bundestag auf und erklärt, sie alle seien dafür, Waffen an die »in Teilen rechtsextreme« Regierung Israels zu liefern. »Es muss wenigstens eine Partei im Bundestag geben, die sagt: Schluss mit diesem Wahnsinn!« Die Abgeordnete versichert, die Wagenknecht-Partei würde sich an keiner Regierung beteiligen, die deutsche Soldaten in die Ukraine schickt oder Taurus-Marschflugkörper oder irgendwelche anderen Waffen dorthin liefert.

Sahra Wagenknecht selbst kommt nicht ins Rathaus Mitte. Es wird aber eine Videobotschaft von ihr eingespielt, in der sie warnt: »Wenn es nicht ein ganz starkes BSW im Bundestag gibt, dann fallen alle Hemmschwellen.« Wochenlang kursierten Gerüchte, Wagenknecht werde in Berlin-Lichtenberg für den Bundestag kandidieren. Das stellte sich als falsch heraus. Sie wurde in Nordrhein-Westfalen nominiert, wo sie einst bereits für Die Linke angetreten war.

In Lichtenberg tritt stattdessen Norman Wolf an, BSW-Fraktionschef in der Bezirksverordnetenversammlung. Außerdem erhält er mit 87,6 Prozent den Platz drei auf der Berliner Landesliste. Dem BSW werde vorgeworfen, rechtspopulistisch zu sein, beschwert sich Wolf. Tatsächlich seien aber die Grünen nach rechts gerückt. Deren Parteigründerin »Petra Kelly würde sich im Grabe umdrehen«. Es sei »maximal undemokratisch«, das Wahlverhalten der Ostdeutschen zu kritisieren und politische Konkurrenten am liebsten verbieten zu wollen, schimpft Wolf. 113 Bundestagsabgeordnete verschiedener Parteien haben im November einen Antrag auf ein AfD-Verbotsverfahren vorgelegt. Drauf bezieht sich Wolf. Er sagt auf nd-Nachfrage, statt die AfD zu verbieten, müsste die Politik geändert werden, die dazu geführt hat, dass die AfD gewählt wird.

Listenplatz vier bekommt mit 89,6 Prozent Josephine Thyrêt, Betriebsratschefin bei den landeseigenen Vivantes-Kliniken. Sie ist es, die anstatt von Fußballmanager Ruhnert im Wahlkreis Treptow-Köpenick kandidiert. Weitere Direktkandidaten in den übrigen acht Berliner Bundestagswahlkreisen stellt das BSW nicht auf.

Josephine Thyrêt fordert »Butter statt Kanonen«. Das ist die Umkehrung der berüchtigten Rede von Nazipropagandaminister Joseph Goebbels im Berliner Sportpalast, wo er im Februar 1943 den sogenannten totalen Krieg einläutete. Der Landesvorsitzende Alexander King sagt am Sonntag, bevor sich das BSW zu Jahresbeginn gegründet habe, sei man sich schon wie in George Orwells Roman »1984« vorgekommen: »Krieg hieß Frieden, Frieden hieß Krieg ... Wirtschaftskrise hieß nachhaltige CO2-Bilanz«.

Listenkandidaten des BSW gibt es in der Hauptstadt elf, darunter auf Platz sechs Manaf Hassan. Dessen Familie stammt aus Syrien, ist aber nicht erst während des 2015 ausgebrochenen Bürgerkriegs aus der Heimat geflohen, sondern schon vor 40 Jahren nach Deutschland gekommen. Das berichtet Manaf Hassan auf eine Nachfrage aus dem Saal, woher er komme. Er sei hier geboren, antwortet er.

Ganz am Ende der Landesliste steht auf Platz elf Sara Akdağ, die beim Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten tätig ist. Sie kam 1978 im Iran zur Welt und floh mit ihrer Familie im Jahr 1987.

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