Freie Träger in Sachsen zittern

Nur vorläufige Haushaltsführung: Ungewissheit bedroht Projektlandschaft

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.
Streben einen Haushalt für Sommer 2025 an: die Protagonisten der CDU-SPD-Koalition um Ministerpräsident Michael Kretschmer (vorn)
Streben einen Haushalt für Sommer 2025 an: die Protagonisten der CDU-SPD-Koalition um Ministerpräsident Michael Kretschmer (vorn)

Drei Wochen vor dem Ende des Jahres hat Sachsen zwar ein gewähltes Parlament und mit CDU und SPD zwei Parteien, die gewillt sind, trotz fehlender Mehrheit eine Regierung zu bilden. Nächste Woche versucht CDU-Amtsinhaber Michael Kretschmer, sich im Landtag als Ministerpräsident wiederwählen zu lassen. Selbst wenn das gelingt, wird es aber noch Monate dauern, bis es einen vom Parlament beschlossenen Landeshaushalt für 2025 gibt. Daher geht der Freistaat mit einer sogenannten vorläufigen Haushaltsführung in das neue Jahr, was bei freien Trägern im Kultur- und Jugendbereich, bei sozialen und Demokratieprojekten zu existenziellen Sorgen führt. »Nach derzeitigem Stand können wir bis Juli arbeiten«, sagt etwa Michael Nattke, Geschäftsführer des Kulturbüros Sachsen, »dann ist Schluss.«

Das in Artikel 98 der Landesverfassung geregelte Verfahren sieht vor, dass vorübergehend nur Ausgaben getätigt werden, um »gesetzlich bestehende Einrichtungen zu erhalten«, Rechtsverpflichtungen zu erfüllen, Bauten fortsetzen oder Beihilfen gewähren zu können. Allerdings fließen diese nicht in voller Höhe. Laut einer Verwaltungsvorschrift, die am Dienstag im Kabinett beschlossen wurde, werden »sonstige Ausgaben«, zu denen auch die »freiwilligen Zuwendungen« für Kommunen oder freie Träger gehören, nur in Höhe von 30 Prozent gewährt. CDU-Finanzminister Hartmut Vorjohann verwies auf sinkende Steuereinnahmen, merkte aber auch an, dass man dem neuen Landtag die Entscheidung über die Verwendung des Geldes nicht vorwegnehmen dürfe.

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In der weiter amtierenden alten Landesregierung hatte das Verfahren für Streit gesorgt. Die beiden Minister der Grünen verweigerten die Zustimmung. Man stelle sich »gegen die Kahlschlag-Politik von CDU und SPD«, erklärte die grüne Fraktionschefin Franziska Schubert und warf ihnen vor, »auf Kosten der Kommunen und der Menschen in diesem Land sparen« zu wollen. SPD-Fraktionschef Dirk Panter dagegen erklärte, die Träger und Vereine hätten nun immerhin »soweit möglich Sicherheit für ihre wichtige gesellschaftliche Arbeit«. Er räumte ein, deren Situation sei schwierig: »Wir können nur um Verständnis werben.«

Viele Träger haben angesichts der ungewissen Lage Mitarbeiter gekündigt oder auslaufende Verträge nicht erneuert. Michael Nattke vom Kulturbüro erklärt, wie sich die im Kabinett beschlossene Regelung konkret auswirke, sei bislang offen: »Wir hoffen auf Klarheit noch vor Weihnachten, damit unsere Mitarbeiter wissen, wie es nach dem Jahreswechsel weitergeht.« Der Verein, der im Bereich der Demokratiebildung aktiv ist, könne einige Monate von Bundesmitteln und dem absehbar deutlich niedrigeren Landeszuschuss überdauern; zudem würden Rücklagen aufgelöst. Länger als bis zum Sommer reicht das nicht.

Im designierten Regierungsbündnis hofft man, bis dahin einen beschlossenen Haushalt zu haben, erklärte CDU-Fraktionschef Christian Hartmann kürzlich. Im März soll das Kabinett einen Entwurf vorlegen. Schon um diesen dürfte es ein hartes Ringen geben; Kretschmer verwies kürzlich auf Milliardenlöcher und einen »Konsolidierungsbedarf« von rund zehn Prozent des Etats. Danach muss dieser im Landtag beschlossen werden, wo CDU und SPD zehn Stimmen zur Mehrheit fehlen. Die Linke, die sechs Abgeordnete stellt, kann sich zwar prinzipiell eine Unterstützung vorstellen, macht aber unter anderem zur Bedingung, dass es »keine Kürzungen im sozialen und im kulturellen Bereich« gibt. Wie eine Einigung im Parlament binnen eines Vierteljahres gelingen soll, »dafür fehlt mir die Fantasie«, sagt Nattke, der anmerkt, zwischen Etatbeschluss und dem Verschicken von Zuwendungsbescheiden an die Träger vergingen meist weitere acht Wochen: »Wir brauchen aber bis zum Sommer Gewissheit.«

Das Netzwerk Tolerantes Sachsen, in dem rund 150 Initiativen und Vereine zusammenarbeiten, warnt angesichts dieses Szenarios bereits vor einem »drastischen Kahlschlag« bei zivilgesellschaftlichen Projekten. Selbst wenn der Landtag im Laufe des Jahres beschließen sollte, sich »nicht aus der Demokratieförderung zu verabschieden, werden bis dahin bereits viele wertvolle Projekte zahlungsunfähig, Fachkräfte verloren und wichtige Netzwerke unwiederbringlich zerstört sein«, warnte Sprecherin Andrea Hübler. Für viele Träger würden die Zuwendungen faktisch um 85 Prozent reduziert. Das Netzwerk fordert, bestehende Förderrichtlinien für Demokratie-, Gleichstellungs- und Integrationsarbeit zu verstetigen und finanziell abzusichern, »um angesichts rechtsextremer Bedrohungen langfristig handlungsfähig zu bleiben«.

Die jetzigen Aussichten sind für die Vereine nicht gut. Allerdings könnte es auch noch düsterer kommen. Scheitert die Wahl eines Regierungschefs in der kommenden Woche und gelingt danach auch bis 3. Februar nicht, muss sich laut Verfassung der Landtag auflösen, und es gibt Neuwahlen. Wann in dem Fall ein Landesetat beschossen würde, steht in den Sternen.

»Der Freistaat will auf Kosten der Kommunen und der Menschen in diesem Land sparen.«

Franziska Schubert Fraktionschefin Grüne
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