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Islamisten rücken in Nordsyrien vor
Demokratische Kräfte Syriens ziehen sich aus Manbidsch zurück
Die Kämpfe in Syrien halten auch nach der Einnahme der Hauptstadt durch die dschihadistische Haiat Tahrir Al-Scham (HTS) und ihre Verbündeten weiter an. Neben dem Vorrücken der israelischen Armee im Süden des Landes wird auch im Norden des Landes weitergekämpft. Am Dienstagmorgen nahmen dort Milizen der islamistischen Syrischen Nationalen Armee (SNA) die Stadt Manbidsch westlich des Euphrat ein. Die Stadt und ihr Umland waren in den letzten Tagen heftig umkämpft gewesen. Die Demokratischen Kräfte Syriens (SDF), hatten eigenen Angaben zufolge zuvor mehrere Angriffsversuche abwehren können. Seit Montag hatte es aber auch Kämpfe in der Stadt gegeben, nachdem es mehreren Gruppen der SNA gelungen war, in die Stadt vorzudringen. Auch die türkische Luftwaffe hatte die Offensive mit Drohnenangriffen und Luftschlägen unterstützt. Dabei wurde unter anderem auch der Sitz der Stadtverwaltung getroffen.
Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in London berichtete, dass es nach den Kämpfen zu Menschenrechtsverletzungen durch die einrückenden Truppen kam. Demnach sollen diese verwundete Kämpfer der SDF in einem Krankenhaus in der Stadt hingerichtet haben. Die Beobachtungsstelle spricht dabei von »Dutzenden« Exekutionen. In der Stadt sei es auch zu Plünderungen gegen die kurdische Bevölkerung in der multiethnischen Stadt gekommen. In der Umgebung der Stadt seien bei »Racheaktionen« drei Dorfbewohnerinnen getötet worden.
Offensive könnte sich ausweiten
Nach der Eroberung der Stadt konzentrierten sich die Kämpfe vor allem um die eine strategisch wichtige Brücke über den Euphrat. Dort hielten die Gefechte bis zum Abend an. Auch entlang des Tishrin-Damms weiter südlich kam es zu Gefechten. Zeitgleich nahmen auch die Artillerieangriffe der SNA auf Gebiete westlich der Stadt Kobanê auf der anderen Flussseite zu. In Kobanê selbst kam es zu Angriffen der türkischen Luftwaffe. Die Demokratische Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES), zu der auch die SDF gehören, warnte vor einem Angriff der Türkei auf die Stadt. In der Vergangenheit hatte der türkische Präsident Erdoğan immer wieder angekündigt, einen 30 Kilometer tiefen Steifen entlang der Grenze auf syrischem Gebiet besetzen zu wollen. Auch am Dienstag wiederholte er diese Drohung. Er hoffe, dass »terroristische Organisationen« in Syrien in Kürze zerschlagen würden. Die Stadt Kobanê war 2015 zu weltweiter Bekanntheit gekommen, als der sogenannte Islamische Staat über mehrere Monate versucht hatte, die Stadt einzunehmen, aber letztlich an den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) gescheitert war. Die Schlacht gilt als Wendepunkt im Kampf gegen den IS.
Schon seit 2016 hat die Türkei in mehreren Offensiven Gebiete in Nordsyrien in Zusammenarbeit mit den islamistischen Milizen der SNA angegriffen und besetzt. Darunter 2018 die Region Afrin und 2019 auf die Städte Ain Issa und Ras al-Ain. Die Türkei begründet die Angriffe mit der Präsenz der SDF, die sie als Ableger der kurdischen Arbeiterpartei PKK bezeichnet. Die Offensiven und die anhaltende Präsenz türkischer Truppen auf syrischem Staatsgebiet waren für das Assad-Regime ein Grund, einer Normalisierung der Beziehungen zwischen den Ländern nicht zuzustimmen.
Selbstverwaltung fordert landesweite Waffenruhe
Die Selbstverwaltung hatte am Montag zu einer landesweiten Waffenruhe in ganz Syrien unter der Schirmherrschaft der UN aufgerufen. Es müssten die Bedingungen für einen konstruktiven Dialog zwischen den verschiedenen Akteuren in Syrien geschaffen werden. Bislang blieb dieser Aufruf allerdings ohne Reaktion vonseiten anderer Akteure im Land.
Auch andere Regionen der Selbstverwaltung waren in der Nacht von Luftangriffen betroffen gewesen. Wie bei den israelischen Angriffen in ganz Syrien handelte es sich hierbei wohl um Angriffe auf das Arsenal der syrischen Armee, das dort zurückgelassen worden war. Allerdings ist unklar, ob die Angriffe wie anderswo durch Israel oder durch die türkische Luftwaffe durchgeführt wurden.
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