- Politik
- Ukraine-Krieg
AKW Saporischschja: »Man spielt nicht nur auf ein Tor«
Moskau und Kiew halten mit gegenseitigen Angriffen auf Energieeinrichtung die nukleare Gefahr hoch
Vor der für den 12. Dezember angesetzten Dringlichkeitssitzung des Gouverneursrates der Internationalen Atomenergie-Organisation IAEA warnt Greenpeace Ukraine erneut vor den zunehmenden Gefahren des Krieges in unmittelbarer Nähe von Europas größtem Atomkraftwerk Saporischschja.
Neue Satellitenbilder, so Greenpeace unter Berufung auf einen Bericht des McKenzie Intelligence Service, zeigten intensive russische Militäraktivitäten am AKW Saporischschja. So fänden sich dort Abschusspositionen russischer Mehrfachraketenwerfersysteme. Außerdem sei auf den Satellitenbildern erkennbar, dass in unmittelbarer Nähe zum AKW Schützengräben und militärische Befestigungen am Kühlteich angelegt würden.
Ukraine sieht Gefahr für nukleare Sicherheit
Diese Mehrfachraketenwerfersysteme bedrohten die Stadt Nikopol am gegenüberliegenden Dnepr-Ufer, möglicherweise sogar die 100 Kilometer entfernte Industriestadt Krywyj Rih, so Greenpeace. Auch die unmittelbare Umgebung des AKW bleibt eine gefährliche Gegend. Am Dienstag soll ein Fahrzeug der IAEA von einer russischen Drohne angegriffen worden sein, schrieb der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in seinen sozialen Medien.
Die ukrainische Regierung hatte die Sitzung des Gouverneursrates einberufen lassen, weil sie durch die zunehmenden gezielten russischen Raketenangriffe auf das ukrainische Stromnetz, insbesondere auf Umspannwerke, eine Gefahr für die nukleare Sicherheit sieht. Russlands Angriffe, so Greenpeace, haben die Risiken eines schweren Strahlungsaustritts, der durch den Zusammenbruch des Netzes ausgelöst werden könnte, auf ein nie dagewesenes Niveau erhöht. Seit September fordert die Umweltorganisation, dass die IAEO ihre Vereinbarung mit Kiew einhält und eine ständige, kontinuierliche Mission an den Umspannwerken einrichtet.
Kiew greift russisches AKW Kursk an
Angriffe auf die Infrastruktur der Atomindustrie sind auch für die Ukraine kein Tabu. Nachdem Ende vergangener Woche in Saporischschja zehn Menschen bei einem russischen Luftangriff ums Leben gekommen und 24 Menschen, darunter auch ein vier Monate altes Mädchen, verletzt worden waren, griff die Ukraine das Gebiet um Kursk und Kurtschatow an.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
So berichtet das russische Portal »Shot« von Explosionen in den beiden Städten. Zeugen vor Ort hätten von einem starken Knall berichtet, nach dem in einigen Wohnhäusern die Fensterscheiben wackelten.
Ukraine antwortet auf russische Schläge
Die Stadt Kurtschatow gehört zur Infrastruktur des russischen AKW Kursk. In unmittelbarer Nähe von Kurtschatow stehen Reaktorblöcke vom Typ RBMK, demselben wie in Tschernobyl. In der 40 000-Einwohner-Stadt leben vor allem die Familien von Mitarbeitern des Atomkraftwerkes Kursk. Daran erinnert Walerij Romanenko, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften und Luftfahrtexperte.
Der Angriff auf Kurtschatow sei eine eindeutige Warnung an die Russen, »die unsere Atomkraftwerke angreifen«, schreibt Romanenko beim renommierten ukrainischen Nachrichtenportal New Voice. Auf die rhetorische Frage, wie es mit dem AKW Kursk weitergehe, hat Wissenschaftler Romanenko auch schon die Antwort parat: »Sie beschießen unsere AKW, wir ihre.« »Die Russen müssen es verstehen: Auf jeden ihrer Schläge folgt eine Antwort. So ist es. Man spielt nicht nur auf ein Tor«, so Romanenko weiter.
Schon im Juli 2022 hatten ukrainische Truppen auf das Territorium des AKW Saporischschja geschossen. Dabei schlugen Geschosse unweit der Sprinkleranlage ein. In einem Video zeigt die ukrainische Armee, wie sie sich »filigran an den Positionen der russischen Okkupanten unweit des AKW abgearbeitet hat«. Die Einschüsse der Ukrainer dürften 500 Meter von den Reaktoren entfernt sein. Im August 2022 zitierte CNN einen hochrangigen Vertreter des US-Militärs mit den Worten: »Wahrscheinlich haben die Ukrainer auch in die Nähe der Anlage geschossen.« Bleibt zu hoffen, dass die IAEA auf ihrer Sitzung am 12. Dezember Angriffe auf die Infrastruktur von AKW grundsätzlich verurteilen wird.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.