Diktatoren-Pokémon

In Syrien ist die Assad-Diktaur am Ende, in den USA indes die Demokratie gefährdet. Was das mit Brasilien zu tun hat, erklärt Sheila Mysorekar

Assad, Trump und Bolsonaro – Diktatoren-Pokémon

Beim Sammeln von Diktatoren-Pokémon-Karten kam man dieser Tage gar nicht mehr hinterher: Gerade ist Bashar al-Assad aus Syrien geflohen. Und vorige Woche versuchte der südkoreanische Präsident Yoon Su-yeol, sich selbst zum Diktator zu befördern, wurde jedoch von entschlossenen Parlamentarier*innen und Bürger*innen daran gehindert. In den USA stellt Donald Trump momentan ein Kabinett zusammen, dessen Personal sich vor allem dadurch auszeichnet, Recht und Gesetz zu ignorieren, also alles in Vorbereitung einer gut organisierten Machtergreifung. Das Diktator-Pokémon-Sammelbild mit Trumps Visage ist bereits gedruckt.

International sieht es jedoch für Diktatoren und Autokraten in der Regel nicht so gut aus, übrigens auch nicht für Autokratinnen: In Bangladesch wurde im Juli die Präsidentin Sheikh Hasina nach nur vier Wochen intensiver Studierendenproteste abgesetzt und floh aus dem Land.

In Brasilien steht derweil der ehemalige Präsident und Diktatoren-Anwärter Jair Bolsonaro vor Gericht, der im Januar 2023 nach einer verlorenen Wahl so lange Zweifel an dem Wahlvorgang säte, bis seine aufgehetzten Anhänger das Parlament stürmten. Ganz so wie in den USA am 6.Januar 2021, nur mit dem Unterschied, dass Trump dafür nicht zur Verantwortung gezogen wurde. In Brasilien funktioniert die Demokratie offensichtlich besser als in den USA.

Sheila Mysorekar

Sheila Mysorekar ist Vorsitzende der Neuen Deutschen Organisationen, einem Netzwerk postmigrantischer Organisationen. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Schwarz auf Weiß«. Darin übt sie Medienkritik zu aktuellen Debatten in einer Einwanderungsgesellschaft.

Politische Umbrüche können rasend schnell gehen. Nach 14 Jahren Bürgerkrieg in Syrien setzte die jüngste Offensive der Rebellengruppe HTS eine Kettenreaktion in Gang, an deren Ende das Regime binnen kurzer Zeit in sich zusammenfiel. Noch rapider verlief der Beginn des arabischen Frühlings in Tunesien. Dort begannen die Aufstände Mitte Dezember 2010: Vier Wochen später floh der Autokrat Ben Ali, nach 23 Regierungsjahren. Dieser Erfolg der Protestierenden inspirierte andere arabische Staaten. Überall gingen die Menschen auf die Straße: in Algerien, Ägypten, Libyen – und auch in Syrien.

Die Macht der Straße sollten auch Medienschaffende auf dem Schirm haben. Die Zeitung »Welt« – ebenso wie die FDP – feiert den argentinischen Präsidenten Javier Milei, der es innerhalb eines Jahres geschafft hat, die Zahl der Armen in Argentinien auf unglaubliche 53 Prozent der Bevölkerung hochzutreiben. Sorry, deswegen feiern sie ihn natürlich nicht, sondern weil die argentinischen Staatsausgaben gesunken sind. Das ist auch keine Kunst, wenn Sozialhilfen, Kultur und Bildung zusammengestrichen werden. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Argentinier*innen diesen diktatorialen Präsidenten, der per Dekret regiert, gewaltsam vertreiben werden, so wie im Dezember 2001 der damalige Präsident Fernando De La Rúa nach Massenprotesten floh. Autokraten halten sich nicht ewig.

Genau aus diesem Grund sollten Medien Protestbewegungen genauer beobachten, als sie es meist tun. Damit meine ich nicht nur organisierte oder gewalttätige Protestbewegungen, sondern auch das unterschwellige Brodeln in einer Gesellschaft, Unmut, Unruhe, spontane Solidarisierung an den überraschendsten Ecken.

So zum Beispiel gerade in den USA: Am 4. Dezember wurde der Vorstandsvorsitzende der größten US-amerikanischen Krankenversicherung in New York auf offener Straße erschossen. Die Reaktionen in den sozialen Medien oszillieren zwischen Schadenfreude, Häme und Wut – nicht auf den Täter, sondern auf die privaten Krankenversicherungsunternehmen, die Versicherten oft notwendige Medikamente verweigern und kranke Menschen in den Ruin treiben, symbolisiert durch diesen Vorstandsvorsitzenden. Der Tenor lautet: »geschieht ihm recht, dass er erschossen wurde«. Abertausende Menschen quer durch das gesamte politische Spektrum sehen den Attentäter offenbar als Rächer an diesen gierigen Unternehmen, die sich auf Kosten kranker Menschen bereichern; in den sozialen Medien wird er als ein moderner Robin Hood verklärt, genannt »Robin Hoodie«, nach dem Kapuzensweater, den er bei dem Anschlag trug. Videos mit selbstgedichteten Balladen über die Tat erscheinen auf TikTok, werden gelöscht und tauchen woanders wieder auf, mit Tausenden von Likes. Auch nach der Verhaftung des mutmaßlichen Attentäters reißt dies nicht ab.

Es gärt offensichtlich. Sobald Donald Trump seine zweite Amtszeit antritt, werden sich viele soziale Probleme, zum Beispiel mit überteuerten Krankenversicherungen, noch verschärfen. Den unterschwelligen Groll, der jetzt schon zu spüren ist, sollten Medien nicht ignorieren, sondern analysieren und bereit sein: für die Explosion, die unweigerlich kommen wird. Die Frage ist nur, wann.

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