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CDU in Berlin: Schmale Tische, breite Brust
Die Berliner CDU will die Bundestagswahl gewinnen und nominiert ihre Kandidaten auf der Landesliste
Sehr schmal sind die Tische in dem lang gestreckten Konferenzsaal des Mercure-Hotels MOA in Berlin-Moabit. Gefühlt sehr breit ist die Brust der Hauptstadt-CDUler, die hier am Donnerstagabend Platz nehmen. Sie stellen ihre Landesliste für die Bundestagswahl am 23. Februar auf.
Der Regierende Bürgermeister und CDU-Landesvorsitzende Kai Wegener begrüßt die Anwesenden »bei der stärksten politischen Kraft in der Hauptstadt.« Stärkste Kraft wolle die CDU bei der nächsten Abgeordnetenhauswahl 2026 bleiben. Doch zuvor möchte die Partei im Februar 2025 erst noch einen anderen Sieg einfahren – bundesweit, damit der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz Bundeskanzler werden kann, und auch im Landesmaßstab. Wegner kündigt an: »Wir wollen auch bei der Bundestagswahl die stärkste politische Kraft in Berlin werden.« Bei der Bundestagswahl 2021 hatte die CDU in der Hauptstadt nur 15,9 Prozent erzielt und damit 7,5 Prozentpunkte hinter der SPD und 6,5 Prozentpunkte hinter den Grünen zurückgelegen.
Auf einem auf den kurzen Tischen ausliegenden Blatt Papier wird den Mitgliedern lang und breit erklärt, warum sie im Wahlkampf unbedingt dafür werben müssten, mit der Erststimme die CDU-Direktkandidaten in den zwölf Wahlkreisen der Stadt zu wählen und mit der Zweitstimme für die Partei, die CDU. »Die Zeit von Leihstimmen ist vorbei«, heißt es. »Jede Zweitstimme für eine andere Partei schadet der CDU.« Früher war es bei der CDU hin und wieder üblich, der FDP als möglichem Wunsch-Koalitionspartner ein Stück vom Kuchen zu überlassen. Doch mit dem neuen Wahlrecht kann derlei Großmut in die Hose gehen. In ihren Wahlkreisen knapp siegreiche Kandidaten ziehen anders als früher nicht automatisch ins Parlament ein. In einem ausdrücklich »fiktiv« genannten Rechenbeispiel heißt es: »Die CDU gewinnt in Berlin zehn von zwölf Wahlkreisen, viele davon knapp ...«
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Aber so völlig frei erfunden ist das gar nicht. Die CDU holte 2021 nur drei Berliner Bundestagswahlkreise. Vier gingen an die SPD, drei an die Grünen und zwei an Die Linke. Unabhängig davon, was sich die Parteien selbst vornehmen – die von ihnen ausgegebenen Ziele sind meist sehr ambitioniert und etwas unrealistisch. So könnte der Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi (Linke) einmal mehr in Treptow-Köpenick siegreich sein. Die Grünen dürfen sich wieder Hoffnung auf drei Wahlkreise machen, die AfD hat Chancen in Lichtenberg. Wenn die SPD wie erwartet abschmiert und gar keinen Wahlkreis mehr gewinnt, würden sieben für die CDU übrig bleiben.
Zum Berliner CDU-Spitzenkandidaten wird am Donnerstagabend der Bundestagsabgeordnete Jan-Marco Luczak gewählt – mit 200 Ja- und 12 Nein-Stimmen bei 4 Enthaltungen. Auf Platz zwei der Landesliste folgt ihm seine Fraktionskollegin Ottilie Klein mit 162 Stimmen, bei 57 Nein-Stimmen und 5 Enthaltungen. Klein ist schwanger und wird »mit Babybauch« in den Wahlkampf ziehen und für dieses und jenes streiten, wie sie sagt.
Position Drei wäre der »legitime Platz« für ihn selbst gewesen, erklärt der Bundestagsabgeordnete Mario Czaja. Tatsächlich hätte Czaja der mit Abstand bekannteste Name auf der Liste sein können. Denn nur wenige Spitzenpolitiker sind der Bevölkerung ein Begriff. Czaja allerdings ist beinahe ewig im politischen Geschäft, war von 2011 bis 2016 ein gar nicht mal unbeliebter Sozialsenator, 2022 und 2023 dann Generalsekretär der Bundes-CDU. Den Wahlkreis Marzahn-Hellerdorf nahm er 2021 der Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) ab, die seit 2002 auf den Sieg dort abonniert schien. Diesmal tritt Pau nicht wieder an.
»Wir wollen auch bei der Bundestagswahl die stärkste politische Kraft in Berlin werden.«
Kai Wegner CDU-Landesvorsitzender
Mario Czaja hält es für falsch, wenn kein Ostberliner auf einem aussichtsreichen Listenplatz der CDU steht, wie er deutlich macht. Doch der Landesvorstand hat Adrian Grasse für Platz drei empfohlen. Gegen den will Czaja nicht in eine Kampfabstimmung gehen, den schätzt er sehr. Darum verzichtet Czaja auf einen Listenplatz und versucht, seinen Wahlkreis zu verteidigen. So gibt es an diesem Abend keine Kampfabstimmung. Adrian Grasse sitzt derzeit im Berliner Abgeordnetenhaus. Dort ist er der Wissenschaftsexperte der CDU-Fraktion und rühmt sich, für die Wiedereinführung des aus dem Hochschulgesetz gestrichenen Ordnungsrechts gesorgt zu haben, damit der Antisemitismus bekämpft werden könne.
Unter den vier Frauen und sieben Männern auf der Liste finden sich vier Juristen und eine Jurastudentin sowie mit Berhard Schodrowski der Kommunikationschef des Bundesverbandes der deutschen Entsorgungswirtschaft. Viele ihrer Bewerbungen ähneln sich. Stereotyp wird Aufrüstung versprochen, werden Durchhalteparolen für die Ukraine formuliert, sollen Langzeitarbeitslose geschurigelt und Flüchtlinge an den Grenzen abgewiesen oder aus dem Land ausgewiesen werden. So klar wird das natürlich nicht gesagt.
Das Schikanieren der auf Bürgergeld angewiesenen Menschen beispielsweise wird in die alte Phrase vom Fördern und Fordern gekleidet, mit der vor 20 Jahren die Einführung der Hartz-IV-Reform gerechtfertigt wurde. Ab 2005 folgte auf das bis zu zwei Jahre gezahlte Arbeitslosengeld nicht mehr die bis dahin am einstigen Verdienst orientierte Arbeitslosenhilfe. Stattdessen gab es nur noch das auf ein Existenzminimum zurechtgestutztes Arbeitslosengeld II – im Volksmund Hartz IV genannt. Anfang 2023 ersetzte das etwas auskömmlichere Bürgergeld diese umstrittene Regelung. Eingeführt wurde es von der jetzt geplatzten Koalition aus SPD, Grünen und FDP.
Wenn es nach dem zum Berliner Spitzenkandidaten gemachten CDU-Politiker Luczak geht, soll es bald auch mit dem Bürgergeld vorbei sein. »Das Bürgergeld gehört abgeschafft, ganz klar«, sagt er am Donnerstagabend. Zu den blutigen Kämpfen mit russischen Truppen an der rund 2000 Kilometer entfernten Front meint Luczak: »Das ist unser ureigenstes Interesse, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt.« Es brauche einen starken Bundeskanzler, der dem russischen Präsidenten Wladimir Putin rote Linien aufzeige und nicht vor lauter Besonnenheit zögere. Zur Asylpolitik führt Luczak aus, das C in CDU erinnere an die christlichen Wurzeln der Partei. Die Nächstenliebe gebiete, Fliehenden die Hand zu reichen. Dies heiße aber nicht, naiv zu sein oder blind gegenüber Problemen mit anderen Sprachen, Kulturen und Religionen. Luczak zitiert aus eine Rede des damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck, der im September 2015 angesichts syrischer Flüchtlinge gesagt hatte: »Unser Herz ist weit. Doch unsere Möglichkeiten, sie sind endlich.«
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