Diplomatisches Ringen um Rojava

Nach dem Sturz von Assad geht das Tauziehen um die Zukunft der Region los – am Donnerstag war US-Außenminister Blinken in der Türkei

  • Jakob Helfrich
  • Lesedauer: 4 Min.
US-Außenminister Antony Blinken zu Besuch bei seinem türkischen Amtskollegen Hakan Fidan
US-Außenminister Antony Blinken zu Besuch bei seinem türkischen Amtskollegen Hakan Fidan

Wie weiter in Syrien? Während am Freitag das erste Mal nach über einem halben Jahrhundert ohne einen Assad an der Spitze des Staates zum Freitagsgebet gerufen wurde, ist der weitere Kurs des Landes nach dem Fall des Assad-Regimes noch weitgehend ungeschrieben. Und auch, dass es im Land friedlich weitergeht, ist bei Weitem noch nicht gesetzt.

In der nordsyrischen Region Manbidsch soll nach tagelangen Gefechten, Gesprächen und unklaren Meldungen über Waffenruhen nun endlich am Freitag um 17 Uhr eine Waffenruhe zwischen den Demokratischen Kräften Syriens (SDF) und der Syrischen Nationalen Armee (SNA) in Kraft treten.

Vermittelt wurde dies Berichten zufolge durch die USA, die durch den gemeinsamen Kampf gegen den IS seit Jahren eine enge Verbindung zu den SDF aufgebaut haben. Zugleich haben die USA aber auch zu den islamistischen Milizen der SNA über ihren Nato-Partner Türkei einen direkten Zugang. Die Türkei stützt und nutzt die SNA seit Jahren für ihre eigene Politik in Syrien.

USA forcieren Umdenken der Türkei

Um dieses Verhältnis ging es wohl auch am Donnerstag und Freitag, als US-Außenminister Antony Blinken in der Region weilte und nach einem Abstecher in Jordanien in die Türkei weiterreiste, um über die Situation zu beraten. Beobachter hatten vermutet, dass Blinken beim türkischen Präsidenten Erdoğan darauf hinwirken könnte, die Angriffe auf die kurdischen Gebiete und die Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien einzustellen; neben der Unterstützung für die SNA führt die Türkei in der Region auch regelmäßig groß angelegte Bombardements und Drohnenschläge durch. In den letzten Tagen waren bei Drohnenangriffen wiederholt auch Zivilisten getötet worden. Auch weit entfernt von der Grenze und den Kämpfen in der Großstadt Rakka hatten türkische Drohnen im Stadtzentrum angegriffen.

Was genau bei dem Treffen in Ankara herauskam, ist bislang unklar – Blinken betonte im Nachgang die Notwendigkeit, Zivilist*innen zu schützen, und Erdoğan wiederholte seine Ansage vom Beginn der jüngsten Auseinandersetzungen in Syrien. Man werde nicht zulassen, dass Terrororganisationen – gemeint sind dabei wohl vor allem die kurdischen Verbände und die von ihnen gestützte Selbstverwaltung – von der Situation profitieren. Ankara befürchtet vermutlich, diese könnten in eine politische Lösung in Syrien einbezogen werden und am Ende gestärkt und international legitimiert aus dem Sturz des Assad-Regimes hervorgehen.

Selbstverwaltung betont Gesprächsbereitschaft

Dass die Selbstverwaltung, die schon 2012 in den kurdischen Gebieten entstand, zum Dialog bereit ist, erklärte sie in den letzten Tagen immer wieder. Man sei bereit, mit allen Akteuren im Land zu reden und an einer politischen Lösung für das kriegsgeschundene Land zu arbeiten. Dafür brauche es aber einen landesweiten Waffenstillstand.

Auch der Generalkommandeur der SDF, Maslum Abdi, unterstrich dies gestern erneut in einem Interview mit dem kurdischen Fernsehsender Ronahi TV. Man sei bereits indirekt im Gespräch mit Haiat Tahrir Al-Scham (HTS), die in der vergangenen Woche mit überraschender Schnelligkeit die syrische Armee überrannt und sich zu den neuen Machthabern im Land aufgeschwungen hatte. Diese Absprachen hätten bereits dazu geführt, dass es während des Vormarsches nicht zu Konfrontationen zwischen SDF und HTS gekommen sei. Das einzige Hindernis für einen landesweiten Waffenstillstand stellten die Milizen der SNA dar, so Abdi, auch weil diese ihre Entscheidungen nicht selbst träfen, sondern im Auftrag Ankaras handelten.

Diese Situation versuche auch der IS für sich zu nutzen, fügte er in einem Gespräch mit dem US-Sender Fox hinzu. Die Kräfte der Selbstverwaltung seien so sehr mit dem Kampf gegen die Milizen der SNA beschäftigt, dass sie sich nicht auf den Kampf gegen den IS fokussieren könnten. Dieser könne versuchen, die Situation für sich zu nutzen. Die Selbstverwaltung hält noch immer Zehntausende IS-Unterstützer und deren Familien in Lagern im Nordosten des Landes gefangen. Der IS organisiert sich bis heute äußerst effektiv in diesen Lagern; ein Aufstand in dem größten Lager Al-Hol und ein Angriff der Milizen der SNA wären für die SDF gleichzeitig kaum abzuwehren.

Dass der Region eine unruhige Zeit bevorsteht, zeigte auch der Donnerstag. In Raqqa hatten sich Hunderte Menschen im Zentrum der Stadt versammelt, um das Hissen der neuen syrischen Flagge zu feiern. Ein weiteres Symbol der Selbstverwaltung für die Bereitschaft zu einer gesamtsyrischen Lösung. Doch Unbekannte eröffneten in der Menge unvermittelt das Feuer, 43 Menschen sollen nach Angaben der Selbstverwaltung verletzt worden sein. In der Stadt kam es danach zu chaotischen Szenen und Unruhen.

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