Behälter mit Haltung: Märkisch-Oderlands erster Unverpackt-Laden

In der Stadt Strausberg sorgt ein Geschäft seit zwei Jahren für ein Miteinander ohne Müll

  • Hannah Blumberg
  • Lesedauer: 5 Min.
In ihrem Geschäft in Strausberg bietet Heike Danicke alles an – von Getreide bis zu Weihnachtsschokolade.
In ihrem Geschäft in Strausberg bietet Heike Danicke alles an – von Getreide bis zu Weihnachtsschokolade.

Im Landkreis Märkisch-Oderland, im Osten Brandenburgs, scheint manches aus der Zeit gefallen. Heimatmuseum, Schützengilde, Wahlergebnisse. Doch in der Stadt Strausberg, Endstation der S-Bahnlinie 5, eröffnete im Mai 2022 ein Geschäft, das trotz altmodischen Flairs eher zukunftsweisend als anachronistisch ist. »Ernas Unverpackt Laden« in der Georg-Kurtze-Straße ist der erste Unverpackt-Laden des Landkreises.

In »Ernas Unverpackt Laden« werden fast alle Produkte von Lebensmitteln bis hin zu Drogerieartikeln von den Kund*innen in der gewünschten Menge in mitgebrachte Behälter selbst abgefüllt, um Verpackungsmüll so weit wie möglich zu reduzieren. Das macht im Umfang einen Unterschied von 84 Prozent im Vergleich zum Einzelhandel aus, wie die Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde untersuchte. Zusätzlich zum aktiven Klimaschutz wird Lebensmittelverschwendung vermieden, da man nicht auf die vorgegebenen Packungsgrößen angewiesen ist. »Vor vielen Jahren war diese Art des Einkaufens Alltag«, heißt es auf der Webseite des Geschäfts. Die Inhaberin von Ernas Laden, Heike Danicke, arbeitet dafür, dass dieser Gegenentwurf zu verschwenderischer Industrie wieder Normalität wird.

Das Bedürfnis, sich auf das Nötigste zu reduzieren, entwickelten Heike Danicke und ihre Mitgründerin Maria Röhr während der Pandemie. »Im Homeschooling und Homeoffice haben wir erst mal bemerkt, was für Unmengen an Müll wir produzieren.«, sagt Heike Danicke »nd«. Privat kommt sie mittlerweile auf vier gelbe Säcke pro Jahr, im Laden auf einen pro Monat. Nach einem Seminar zum Konzept »Unverpackt« im Frühjahr 2021 seien die beiden Frauen »Feuer und Flamme« gewesen, sagt Danicke. Eine Befragung von 444 Teilnehmenden im Rahmen einer Marktanalyse hat Danicke und Röhr darin bestätigt, dass es einen Wunsch nach regionalen, verpackungsarmen Produkten gibt.

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Das Geschäft in der Strausberger Innenstadt bauten die beiden Frauen gemeinsam mit Familie und Freund*innen aus. Sie zimmerten selbst Regale aus gespendetem Holz, während neugierige Anwohner*innen an den abgedeckten Schaufenstern vorbeiliefen. Natürlich habe man anfangs viel erklären müssen, mit der Zeit kamen jedoch Stammkunden und Routine. Seit ihre Mitgründerin im Juli dieses Jahres aus dem Projekt ausgestiegen ist, schmeißt Heike Danicke das Geschäft »meistens als One-Woman-Show«, sagt sie.

Den Begriff »Nachhaltigkeit« findet die Strausbergerin, die zur Kommunalwahl im Sommer für die Grünen angetreten war, zu sperrig: »Alle wissen, dass man etwas tun muss. Und wenn sie dann was tun sollen, siegt doch die Routine und die Kunden landen im Supermarkt.« Die günstigen Lebensmittel dort seien eine Illusion, bei der man die Klimafolgekosten nicht mitrechnet, sagt Danicke. Laut Bundesumweltministerium könnten die gesellschaftliche Kosten von Umweltbelastungen bis 2050 zwischen 280 und 900 Milliarden Euro betragen. Kalkuliert werden dabei etwa die umweltbedingten Gesundheits- und Materialschäden, Ernteausfälle oder Schäden an Ökosystemen.

»Die ganzen Schlagwörter wie soziale Gerechtigkeit oder Nachhaltigkeit, die kaufen die Leute hier einfach mit ein«, erzählt Danicke. Das umfasse die gesamte Lieferkette bis hin zu gerechten Löhnen für die Produzenten, auf die sie besonders achtet. Dass ihre Produkte damit nicht nur Biopreisen, sondern auch Biostandards entsprechen, darf sie jedoch noch nicht auf die Schilder schreiben, die die vielen Glasbehälter mit Getreide, Nudeln oder Hülsenfrüchten schmücken. Denn obwohl Danicke die Lebensmittel nur umfüllt, braucht sie für ihren Laden als Verarbeiterin eine eigene Biozertifizierung. Unter anderem dafür läuft derzeit ein Crowdfunding auf der Webseite »Gofundme«.

»Die ganzen Schlagwörter wie soziale Gerechtigkeit oder Nachhaltigkeit, die kaufen die Leute hier einfach mit ein.«

Heike Danicke Inhaberin Ernas Unverpackt Laden Strausberg

Trotz intensiver Planung haben Danicke und Röhr die Eröffnung ihres Ladens nicht beworben, wie die heutige Inhaberin berichtet. Dass es Flyer und Poster braucht, wird jetzt klar – wenngleich diese Müll erzeugen. Als Mitglied des Verbandes der Unverpacktläden, der bei der Suche nach Lieferanten und den ersten Gründungsideen geholfen habe, hört Danicke immer wieder von Schließungen. »Kräfte sind hier ein großes Thema: mental und physisch«, sagt sie und fügt hinzu: »Aber ich sehe es gar nicht ein zu schließen.« Die Kund*innen bereiten zuhause die Behälter vor, Danicke selbst spült nach Ladenschluss, füllt auf und macht nachts auf dem Sofa alles andere, von der Website über Produktrecherche und Einkauf bis hin zur Buchhaltung. »Natürlich wäre es da leichter, einfach eine Verpackung ins Regal zu stellen.«

Die Einnahmen von »Ernas Unverpackt Laden« reichen bisher nur für die Gehälter der zwei Minijobber und Schüleraushilfen, auf die sie angewiesen ist, nicht für Danicke selbst. Sie lebt mit ihren Kindern von Bürgergeld. Die Lösung lautet, neue Kunden zu gewinnen, zum Beispiel auf dem Strausberger Weihnachtsmarkt am dritten Adventwochenende. Die bisherige Kundschaft sei durchmischt, käme sogar aus Regionen, die über den Landkreis hinausgehen. Den Aufwand für den unverpackten Einkauf nehmen sie dabei gerne in Kauf.

Heike Danicke ist stolz auf ihren Mut, den es zur Gründung des Ladens brauchte und auf die Rolle des Geschäfts als sozialen Treffpunkt. »Es ist ein Augengenuss, es ist menschlich warm«, sagt Birgit, eine Stammkundin im Laden. Danicke sagt, hier an der Theke würde gelacht, geweint und gemeinsam Kaffee getrunken. »Meine Kunden stehen im Mittelpunkt. Und natürlich die tollen Produkte. Da lenkt keine Verpackung von ab.«

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