Rechter Aufmarsch in Berlin: Mit freundlicher Unterstützung

In Friedrichshain garantierte die Polizei einem neuen rechten Bündnis einen 1000 Meter-Propaganda-Erfolg

Mit vollem Einsatz: Eine Frau stellt sich dem Aufmarsch von Rechtsextremen entgegen.
Mit vollem Einsatz: Eine Frau stellt sich dem Aufmarsch von Rechtsextremen entgegen.

»Die Nazis, die da laufen wollen, sind verantwortlich für den Brandanschlag auf mich und meine Familie! Deswegen werde ich so lange hier sitzen, bis entweder die Nazis nicht laufen oder ihr mich hier wegtragt!« Das ruft Ferat Koçak der Polizeikette vor ihm entgegen. Der Berliner Abgeordnete (Die Linke), an dessen Haus 2019 ein rechtsextrem motivierter Brandanschlag verübt wurde, hat soeben die Weste ausgezogen, die ihn als parlamentarischen Beobachter kenntlich machte, und sich zu etwa 30 Antifaschist*innen auf die Straße gesetzt. Die hatten kurz zuvor die Polizeiabsperrung an der Neuen Bahnhofstraße Ecke Boxhagener Straße durchbrochen und eine Sitzblockade gebildet. Kein Rechtsextremer soll an diesem Samstag durch Friedrichshain laufen können. Am Ende werden die Polizisten Koçak und die anderen wegtragen.

Hinter der Sitzblockade, auf der anderen Seite der Kreuzung, weht »Nachbarschaft gegen rechts« auf einem Transparent vor Bewohner*innen der Gürtelstraße, zu beiden Enden der Kreuzung brüllen sich hunderte Antifaschist*innen auf der Boxhagener Straße die Seele aus dem Leib. Der Kiez macht unmissverständlich klar: Nazis sollen hier keinen Platz haben. Wenig später werden sich einige Dutzend Springerstiefel über diese Kreuzung bewegen.

Rechtsextremistische Internet-Jugendkultur

Doch über eine Stunde nach dem offiziellen Beginn ihrer Demonstration ist noch unklar, ob die Rechtsextremen laufen dürfen: Etwa 150 Meter südlich der Kreuzung, am Beginn der Neuen Bahnhofstraße, haben die etwa 60 Menschen Aufstellung genommen, gegen die sich die Wut richtet. Sie entrollen ein Transparent vor sich: »Für Recht und Ordnung: Gegen jeden Linksextremismus! Heimat und Brüderlichkeit« ist darauf zu lesen.

Ferhat Sentürk, ein ehemaliges AfD-Mitglied, der in Aachen eine neue rechte Partei gründen will, gilt als Mitorganisator der Demonstration dieses »Aktionsbündnis Berlin«. Gekommen sind außer ihm ein paar Dutzend Seitenscheitel, Lonsdale-Mützen und Bomberjacken, in denen kaum ausgewachsene Schultern stecken. Die meisten Teilnehmenden sind Jugendliche aus dem Umfeld »gewaltaffiner Personen einer neuen rechtsextremistischen Internet-Jugendkultur«, wie die Senatsverwaltung für Inneres sagt. »Deutsche Jugend voran« ist etwa eine solche Gruppe, deren Mitglieder teilweise in Marzahn-Hellersdorf ansässig sind. Sentürk sowie weitere Köpfe des »Aktionsbündnis Berlin«, wie der Eberswalder AfD-Stadtverordnete Maximilian Fritsch, sollen Kontakte zu ihnen haben.

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Es sind Minderjährige bis Mittzwanziger, die sich darin überbieten, das »White Power«-Handzeichen in Pressekameras zu halten und Provokationen in Richtung der Balkone zu schreien, von denen aus »Nazis raus«-Rufe zu hören sind. Währenddessen sagt Sentürk, dass es die Linken seien, von denen in Deutschland Gefahr für Menschen ausgehe, die sich einfach nur für Deutschland einsetzten. Das seien doch die Faschisten. Man kennt sie, die Erzählung von der angeblich linken Meinungsdiktatur. Die Sätze spricht er um etwa 14 Uhr in irgendein Mikrofon, das ihm gerade zuhört.

Da hatten sich rund um die abgesperrte Neue Bahnhofstraße am Bahnhof Ostkreuz längst etwa 2500 Gegendemonstrant*innen versammelt. So lautet die erste Schätzung der Polizei. Am südlichen Ende der Straße schallt laute Musik über den mit Transparenten und Fahnen gefüllten Platz, nördlich skandieren weitere Ansammlungen »Nazis raus!« an der Kreuzung, die Sentürk mit seinen Leuten überqueren soll. Anwohner*innen stehen mit Töpfen und Kochlöffeln bewaffnet am Fenster links und rechts der geplanten Demoroute, so dass ja niemand die Sprechchöre der Ewiggestrigen hört.

Konsensbündnis über ideologische Grenzen hinweg

Diese Route wurde von der Berliner Polizei im Vorfeld stark verkürzt und in ihrem Verlauf verändert. Ursprünglich wollten die Rechtsextremisten durch die für die linksautonome Szene symbolhafte Rigaer Straße ziehen – für die Polizei ein zu hohes Sicherheitsrisiko. Den Marsch durch die Gürtelstraße Richtung Lichtenberg bis zur Frankfurter Allee aber erlaubte die Polizei. Eine gezielte Provokation, die die Organisatoren bewusst kalkuliert hatten. Betont lässig posierten sie mit Zigarre und Sonnenbrille für die Presse und die eigene Selfie-Kamera, die Live-Bilder an ihre Follower online sendete. Ein Spiegel eines neuen Selbstbewusstseins, mit dem Rechtsaußen-Gruppierungen in Deutschland und auch in Berlin wieder in Gegenden auftreten, die traditionell nicht ihnen gehören. So auch im liberal bis linksautonom geprägten Friedrichshain, wo ein Aktionsbündnis gegen den Aufmarsch schon seit den Morgenstunden unterwegs ist, um die Blockaden zu organisieren. Ein anlassbezogenes Konsensbündnis aus über einem Dutzend antifaschistischer Organisationen und Gruppierungen hatten sich über alle Streitfragen hinweg zusammengeschlossen, um den Aufmarsch unter Einsatz der eigenen Körper zu verhindern.

Es ist 10.30 Uhr, lange bevor der Aufmarsch beginnen soll, als sich Teile davon am Boxhagener Platz einfinden, um Blockaden zu planen. »Die politische Linke ist im Moment sehr zerrissen«, sagt Betti*, die mit zwei Freund*innen hier ist. »Aber heute sind alle da gegen Faschisten, egal, welche Uneinigkeit besteht.« Sie selbst trägt dabei eine Kufiya, das traditionell arabische Tuch aus Baumwolle, das sie wohl jenem Lager der Linken zurechnet, das sich mit den Palästinenser*innen solidarisiert hat. Bald darauf zerstäuben sich die Gruppen in verschiedene Richtungen, um an unterschiedlichen Orten der geplanten Route Position zu beziehen.

Dann, um etwa 14.20 Uhr, wird die Sitzblockade schließlich aufgelöst. Für die meisten Blockierenden bedeutet das Schmerzgriffe um Mund und Nase, bevor sie von der Straße geräumt werden. Die Rechtsextremen können laufen und setzen sich in Richtung Frankfurter Allee in Bewegung. Sie rufen »Wir kriegen euch alle!« und »Ost! Ost! Ostdeutschland!« Anwohner*innen kommen aus ihren Häusern und laufen die ganze Zeit über neben dem Zug her, der von der Polizei abgeschirmt wird. Es ist ein beständig dröhnender Chor aus »Nazis raus!«- und »Verpisst euch!«-Rufen, von den Balkonen schreien Menschen, schlagen auf Töpfe und werfen Klopapier. Es ist so laut, dass die menschenverachtenden Sprechchöre teilweise nicht mehr zu hören sind.

Immer wieder versuchen Gegendemonstrant*innen, von den Seitenstraßen aus auf die Route zu gelangen, um den Zug zu blockieren, was von der Polizei unter Einsatz von Pfefferspray unterbunden wird. Vereinzelt fliegen Flaschen und Pyrotechnik, auch aus den Reihen der rechten Jugendlichen. Nach etwa 1000 Metern erreicht der rechte Zug die Frankfurter Allee, wo Beamte sich teilweise brutal den Weg freiräumen, um Festgenommene abführen zu können. Die saure Schärfe von Pfefferspray steigt einem überall in die Nase.

Doch hier ist Schluss. Ein Polizeisprecher sagt, dass sich die mittlerweile etwa 3000 Gegendemonstrant*innen alle auf Höhe der Frankfurter Allee befinden. Weiter geht es nicht. Also wird die rechte Gruppe auf eine Grünfläche geführt, wo sie nun warten müssen. Die Kreuzung Frankfurter Allee-Möllendorfstraße ist vollkommen von Antifaschist*innen umstellt.

Schließlich wird die rechte Demonstration aufgelöst und die Gruppe in die U-Bahn geführt, wo sie gegen 16 Uhr unter Polizeischutz mit einem eigenen Zug abfährt. Vor Abfahrt ruft Ferhat Sentürk den Teilnehmenden vom Bahnsteig aus zu: »Diese Veranstaltung war ein voller Erfolg! Von jetzt an hat die Antifa keine ruhige Minute mehr! Wir packen den Teufel bei den Hörnern und ziehen ihm die Zähne raus!« Dass sie überhaupt laufen konnten, war ein Propaganda-Erfolg für das »Aktionsbündnis Berlin«, für den sich die Rechtsextremisten am Ende mit Beifall bei der Polizei bedankten, »für den tollen Job«.

*Richtiger Name der Redaktion bekannt.

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