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Der »Dieti« in Freiburg wird geräumt
Freiburger Waldbesetzung muss wegen Neubaugebiet weichen
Kreischende Kettensägen, krachende Baumstämme und empörte Rufe von Aktivist*innen: Im winterlichen Südbaden wird seit Samstagmorgen ein seit drei Jahren besetztes Waldstück geräumt, um Infrastruktur für ein Großbauprojekt im benachbarten Stadtteil Dietenbach zu verlegen. Dort will die Breisgaumetropole das größte Wohnungsbauprojekt in ihrer Geschichte mit Wohnraum für 16 000 Menschen realisieren.
Das »Langmattenwäldchen« verbindet das geplante Neubaugebiet Dietenbach, das über 100 Hektar Ackerland umfasst, mit dem bereits in den Nullerjahren fertiggestellten Wohnviertel »Rieselfeld«. Eine 25 Meter breite und 120 Meter lange Schneise soll nun diesen grünen Korridor durchbrechen. Fast fünf Hektar Wald, darunter jahrhundertealte Eschen und Eichen, sollen für den Bau einer Straßenbahntrasse und einer Gasleitung gerodet werden.
Die Idee des neuen Stadtteils »Dietenbach« entstand 2015 wegen der anhaltenden Wohnraumkrise in Freiburg. Seitdem sorgt das Projekt aber für heftige Diskussionen. Ein von Gegner*innen angestoßener Bürgerentscheid wurde 2019 mit 60 Prozent der Stimmen »gegen die Nichtbebauung« entschieden.
Das Aktionsbündnis Hände weg vom Dietenbachwald, ein Zusammenschluss verschiedener Umweltschutzinitiativen, protestiert seitdem gegen die Abholzung. Bürgerinitiativen sammelten tausende Unterschriften und starteten Petitionen, während Wissenschaftler*innen unter anderem das Energiekonzept des als »klimaneutral« geplanten Quartiers kritisierten. Auch die frühere Umwidmung des benachbarten Rieselfelds, das einst als Überschwemmungsgebiet diente, durch das Aufschütten von Hunderttausenden Tonnen Erdreich wirft Fragen zur Nachhaltigkeit auf.
Trotz des Bürgerentscheids bleibt die Versiegelung der letzten Ackerflächen im Gemeindegebiet umstritten. Besonders betroffen sind die Landwirt*innen, die mit Demonstrationen und Klagen gegen das Projekt vorgingen – jedoch bislang ohne Erfolg. 2021 scheiterte eine Normenkontrollklage gegen die Entwicklungssatzung der Gemeinde vor dem Verwaltungsgericht in Mannheim.
Auch Naturschutzverbände wie BUND und Nabu kritisieren das Vorhaben. Sie sehen durch die Rodung bedrohte Tierarten gefährdet. Während der Nabu mit einem Eilantrag gegen erste Rodungen 2023 vor dem Verwaltungsgericht Freiburg Erfolg hatte, schöpften Stadtverwaltung und Regierungspräsidium alle Rechtsmittel aus. Zwar wurde die Beschwerde der Behörden im März 2024 vom Verwaltungsgericht Mannheim abgewiesen, doch das Gericht bestätigte inhaltlich die Position der Behörden.
Das Freiburger Netzwerk Recht auf Stadt thematisiert neben den agrarischen und ökologischen Folgen vor allem die unzureichende soziale Ausrichtung des Projekts: Von den geplanten 50 Prozent geförderten Wohnungen seien nur wenige langfristig erschwinglich, was bezahlbaren Wohnraum auf Dauer zur Ausnahme mache.
Der Konflikt um den »Dieti« hatte sich zuletzt zugespitzt. Laut der »Badischen Zeitung« setzten Unbekannte Anfang Dezember Baumaschinen im Wert von fast einer Million Euro in Brand. Eine vermummte Person entkam laut Polizeiangaben »im Nebel«, die nächtliche Fahndung blieb erfolglos.
Mit einer Allgemeinverfügung hatte die Stadt ein Betretungsverbot für das »Langmattenwäldchen« ab dem 7. Dezember verhängt. Am ersten Tag der anschließenden Räumung wurden vier Waldbesetzer*innen vorübergehend festgenommen. Zwei weitere Personen in unterirdischen Verstecken sorgten für einen Aufschub der Rodungsarbeiten. Ein Umweltschützer, der einbetoniert in einem Erdloch verharrte, wurde schließlich »gerettet«. Aktivist*innen berichteten wiederholt von gefährlichen Situationen: So seien etwa die Wurzeln einer jahrhundertealten Eiche, auf der sich das Baumhaus »Domani« befindet, von Baumaschinen beschädigt worden. Auch diese Eiche soll in diesen Tagen geräumt werden.
Gegen drei mutmaßliche Besetzer*innen der Eiche wird laut lokalen Medien nun nach Paragraf 129 des Strafgesetzbuchs wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt. Die Freiburger Staatsanwaltschaft weiß davon aber nichts und verweist auf die für politische Taten zuständige »Schwerpunktstaatsanwaltschaft« in Karlsruhe. Auch dort werde aber kein Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung geführt, sagte ein Sprecher zu »nd«.
In Karlsruhe wird aber seit Donnerstag gegen drei Beschuldigte wegen Nötigung und Verstoß gegen das Vermummungsverbot ermittelt, so der Sprecher. Einer weiteren Person wird von der Staatsanwaltschaft gefährliche Körperverletzung durch einen Steinwurf sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte bei der Festnahme zur Last gelegt.
Am Wochenende gingen in Freiburg über 100 Menschen gegen die Räumung und die Repression auf die Straße. Gegner*innen des Projekts eint die Sorge um ökologische Resilienz, soziale Durchmischung, bezahlbaren Wohnraum und eine kommunale Ernährungssouveränität – Aspekte, die im Großprojekt Dietenbach weitgehend unberücksichtigt bleiben.
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