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Deutsche Demut nach der EM-Auslosung
Trotz machbarer Aufgaben in der EM-Gruppenphase bremsen die deutschen Fußballerinnen vorerst die Erwartungen
Nia Künzer war im Sommer 2023 fassungslos, als sie noch als Fernsehexpertin der ARD aus einem NDR-Studio in Hamburg die Gruppenspiele der deutschen Fußballerinnen bei der WM in Australien und Neuseeland begleitete. Fast zwei Jahrzehnte nach ihrem Golden Goal waren die DFB-Frauen eigentlich nach Down Under gereist, um nach dem dritten Stern zu greifen, reisten aber bereits nach der Vorrunde wieder heim. Gescheitert nach teils desaströsen Darbietungen gegen Marokko, Kolumbien und Südkorea, obwohl es doch überall geheißen hatte, leichter hätte es in der Vorrunde nicht kommen können.
Auch zur Europameisterschaft 2025 in der Schweiz hat das deutsche Nationalteam das Losglück nicht gänzlich verlassen, doch Überschwang war im Swiss Tech Convention Center in Lausanne nicht zu vernehmen. Logisch, der erstmals qualifizierte Auftaktgegner Polen für das Spiel am 4. Juli in St. Gallen ist ein Außenseiter, aber über Dänemark, den zweiten Kontrahenten am 8. Juli in Basel, und den WM-Dritten Schweden als letzten Gruppengegner am 12. Juli in Zürich müsse man »ja nicht viel sagen, zwei erfolgreiche Frauenfußball-Nationen«, meinte Künzer in ihrer Funktion als DFB-Sportdirektorin nach der Auslosung am Montagabend. Und dann schob die 44-Jährige nach: »Wir gehen an jedes Spiel mit Demut und Respekt.« Die richtige Haltung.
Gegen Polen geriet das deutsche Team in der EM-Qualifikation (4:1, 3:1) zuletzt jeweils früh in Rückstand. Auf Dänemark mit seiner Starstürmerin Pernille Harder vom FC Bayern München traf Deutschland in der Olympia-Qualifikation im vergangenen Jahr (0:2, 3:0) mit wechselndem Erfolg. Prägend gestaltet sich die Verbindung zum Dauerbrenner Schweden, der über Generationen als deutscher Lieblingsgegner galt, ehe diese Serie mit einer 1:2-Niederlage im Viertelfinale bei der Weltmeisterschaft 2019 riss.
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Im Viertelfinale drohen Frankreich und England
Übersteht das DFB-Team die Gruppenphase, könnte bereits im EM-Viertelfinale ein absoluter Hochkaräter wie Frankreich, England oder die Niederlande warten. Alle drei Teams treffen in der Hammergruppe D aufeinander. Weswegen Bundestrainer Christian Wück konstatierte: »Es hätte auch schlimmer kommen können, wenn ich auf die Gruppe D schaue.« Dennoch müsse man »höllisch aufpassen«. Der 51-Jährige weiß, dass Deutschland als achtfacher Europameister immer zu den Turnierfavoriten gehört – Umbruch hin oder her.
Bevor der Bundestrainer solche Ziele hinausposaunt, müsse intern aber erst die Überzeugung wachsen. Eines könne er sagen: »Wir haben genug individuelle Qualität im Team.« In den ersten vier Länderspielen unter seiner Regie gab es bei Siegen gegen England und die Schweiz sowie den Niederlagen gegen Australien und Italien die volle Schwankungsbreite. Daher werde im neuen Jahr in der Nations League gegen die Niederlande, Österreich und Schottland deutlich weniger experimentiert.
»Wir wollen den Kern einspielen und der Mannschaft Sicherheit geben.« Danach soll mit einem EM-Auftaktsieg gegen die Polinnen, bei denen mit Tanja Pawollek die Kapitänin von Eintracht Frankfurt und mit Ewa Pajor die ehemalige Torjägerin vom VfL Wolfsburg Schlüsselrollen einnehmen, ein erster Rückenwind entstehen. Wück weiß: »Das erste Spiel wird immens wichtig sein, um Selbstvertrauen zu bekommen.«
DFB hofft auf viele deutsche Fans in der Schweiz
Helfen soll in den grenznahen Spielorten die Rückendeckung von den Rängen. DFB-Präsident Bernd Neuendorf setzt darauf, »dass aufgrund der Nähe viele Fans unsere Mannschaft vor Ort unterstützen«. Die Eintrittspreise sind in der Gruppenphase bei 25 und 40 Schweizer Franken moderat, dazu berechtigt jedes Ticket zur kostenlosen Zugfahrt. Die Uefa setzt dieselben Standards bei Unterbringung, VAR-Einsatz oder TV-Produktion wie bei der EM 2024 in Deutschland an. Nur beim Preisgeld klafft weiterhin eine große Lücke. 331 Millionen Euro waren es bei den Männern, immerhin 41 Millionen Euro sind es jetzt bei den Frauen – nach 16 Millionen Euro bei der EM 2022 in England. 30 bis 40 Prozent, das schreibt die Uefa neuerdings vor, müssen an die Spielerinnen fließen.
Uefa-Direktorin Nadine Keßler verspricht »das größte Sportevent, das die Schweiz jemals hatte«. Insgesamt rund 700 000 Zuschauer in die acht Stadien strömen und mehr als 500 Millionen Menschen am Fernseher zuschauen. Die zeitweise parallel ausgespielte Klub-WM der Männer in den USA wird nicht als Konkurrenz betrachtet. Die frühere Weltfußballerin Keßler erklärte, sie sei wegen fünf, sechs Überschneidungen nicht besorgt: »Volle Exklusivität zu bekommen, ist heute nicht so einfach.« Künzer ergänzte: »Es ist schwierig, Wochen im Jahr zu finden, wo gar keine sportliche Großveranstaltung parallel läuft. Ich glaube, der Frauenfußball und die Attraktivität der Euro sprechen für sich.«
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