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Schande gehört nur den Tätern
Livia Lergenmüller zum Prozess um Gisèle Pelicot als ein Fanal
Es ist ja noch immer so: Wenn eine Frau vergewaltigt wird, bleibt sie oft mit Schuldgefühlen zurück. Lange gehörte es zu den gängigen gerichtlichen Fragen, was die Betroffene zum Tatzeitpunkt getragen habe. Und wenn es nicht die Schuld ist, so ist da sehr oft Scham, der perfide Eindruck, eine vergewaltigte Frau sei »beschmutzt«. Dank Gisèle Pelicot hat sich daran etwas geändert. An der Frau mit dem Pagenkopf kam in den vergangenen Monaten niemand vorbei. Im September begann in Frankreich der Vergewaltigungsprozess gegen ihren Ex-Mann, der über zehn Jahre hinweg seine Frau betäubt, vergewaltigt und anderen Männern im Internet zur Vergewaltigung angeboten hatte, alles auf Video dokumentiert. 50 weitere Männer saßen mit auf der Anklagebank, nun wurden sie alle schuldig gesprochen. 20 Jahre Haft für Dominique Pelicot, die Höchststrafe.
Der Strafprozess sorgte weltweit für Aufmerksamkeit und eine Welle der Solidarität, denn von Beginn an entschied sich Gisèle Pelicot ganz bewusst dafür, diesen öffentlich stattfinden zu lassen. »Die Scham muss die Seite wechseln«, dieser Satz ging um die Welt, wo sie seither für ihren Mut und ihre Entschlossenheit bewundert wird. Pelicot bewies: Die Annahme, sie müsse sich schämen, ist bloß eine Projektion, eine patriarchale Vorstellung. Deshalb ließ sie die Aufnahmen ihrer Vergewaltigungen vor aller Augen abspielen. Was sie zeigen, ist allein die Schande der Täter. Pelicot ermutigt Opfer dazu, laut zu werden. Ohne dies, sagte ihr Anwalt Stéphane Babonneau, käme die Wahrheit nie ans Licht. All jenen von sexualisierter Gewalt betroffenen Frauen, die bisher geschwiegen haben, zeigt Gisèle Pelicot, dass es sich lohnt, zu sprechen. Der Avignon-Prozess setzte dafür ein wichtiges Zeichen.
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