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Mainz 05: Die heimliche Mannschaft des Jahres
Warum der selbst ernannte Karnevalsverein Mainz 05 eine der Erfolgsgeschichten in 2024 ist
Als kürzlich im feudalen Kurhaus von Baden-Baden Deutschlands Sportler des Jahres gekürt wurden, war Bayer Leverkusen endlich mal wieder Zweiter, diesmal in der Kategorie »Mannschaft des Jahres«. Sportdirektor Simon Rolfes hat das am vergangenen Sonntag natürlich mit Fassung getragen, weil er ja die Leistung der bei Olympia mit Gold dekorierten 3×3-Basketballerinnen vollumfänglich anerkannte. Schlimmer wäre es gewesen, wenn ein Bundesliga-Gefährte diesen Preis bekommen hätte. Ein Anwärter wäre ja auch der FSV Mainz 05 gewesen, mindestens mal die heimliche »Mannschaft des Jahres«.
Zu Jahresbeginn noch dem Untergang geweiht, schnuppern die Rheinhessen vor dem Kehraus an den Europapokalplätzen. Gelingt beim sichtlich geschlauchten Nachbarn Eintracht Frankfurt (Samstag 15.30 Uhr) der letzte Coup, wären die Nullfünfer bis auf zwei mickrige Zähler am großen Nachbarn aus der Bankenstadt dran. Gemessen an den wirtschaftlichen Möglichkeiten eine Sensation: Frankfurt hat zuletzt 363 Millionen Euro Umsatz ausgewiesen, bei Mainz waren es 122 Millionen Euro.
»Die Eintracht ist eine ganz andere Welt«, sagte Mainz-Vorstand Christian Heidel gerade der »Frankfurter Rundschau«. Frankfurt sei auch keine Überraschungsmannschaft. »Wenn man sich den Kader anschaut, war mir klar, dass die Eintracht ganz oben mitspielt.« Dass Mainz indes so gut dasteht, habe man »nicht ganz so erwartet«, gab der 61-Jährige zu.
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»From Zero to Hero«, wie die deutsche Sängerin Sarah Connor mal geträllert hat: Denn als im Februar die blasse Notlösung Jan Siewert nach einer Niederlage beim VfB Stuttgart gehen musste, hatten die Nullfünfer gerade ein einziges von 21 Spielen im Oberhaus gewonnen. Der Rückstand aufs rettende Ufer betrug neun Punkte.
Heidel, »en echter Meenzer Bub«, wie sie in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt sagen, folgte gewissermaßen einer guten Tradition, als er in den närrischen Tagen den Trainer tauschte. 2001 war bekanntlich Jürgen Klopp an Rosenmontag befördert worden, 2015 hatte auf dem jecken Höhepunkt Martin Schmidt übernommen. Diesmal zauberte der Macher für den selbst ernannten Karnevalsverein wieder eine Überraschung aus dem Hut: Bo Henriksen, der beim FC Zürich bemerkenswerte Arbeit geleistet, den aber niemand auf dem Zettel hatte, kam an den Bruchweg – als dritter Däne nach Kasper Hjulmand und Bo Svensson.
Ein positiv Verrückter, wie die Bundesliga bald feststellen sollte. Wie der Einpeitscher die Fans lange vor Anpfiff mit geballten Fäusten und wehender Mähne in Stimmung versetzt, ist längst Legende. Der 49-Jährige sollte in der Rückrunde nur noch zwei Spiele verlieren – in München und in Leverkusen. Dann gingen im Sommer mit Brajan Gruda, Leandro Barreiro und Sepp van den Berg drei Leistungsträger. Vor allem der Wechsel des Eigengewächses Gruda zu Brighton & Hove Albion tat weh, aber bei mehr als 30 Millionen Euro Ablöse konnte ein auf Transfererlöse angewiesener Mittelstandsverein nicht Nein sagen.
»Danach musste man davon ausgehen, dass es etwas dauern würde, bis wir wieder in die Spur kommen«, so Heidel. Als schon erste Stimmen aufkamen, der Motivationskünstler Henriksen könnte sich abgenutzt haben, passierte das Gegenteil: Alle Mainzer, Coach inklusive, trotzten dem Gerede. Henriksen hat nun nach 27 verantworteten Begegnungen einen besseren Punkteschnitt (1,67) zu verbuchen als Thomas Tuchel (1,41), Bo Svensson (1,3) und Ikone Klopp (1,13). Sein Ensemble ist im Herbst unter dem Radar erstarkt.
Angeführt von Mittelfeldspieler Nadiem Amiri, kämpferisch und spielerisch herausragend und mit ganzem Herzen dabei, hat die Mannschaft auf vielen Ebenen zugelegt. Das Team kann wie beim verdienten Heimsieg gegen den FC Bayern (2:1) tief stehen und hoch pressen; den Gegner in gefühlt 1000 Zweikämpfe verwickeln und trotzdem ordentlich mit dem Ball umgehen.
Viele Altgediente haben sich neu erfunden: Torwart Robin Zentner macht mit 30 Jahren kaum noch Fehler, Identifikationsfigur Stefan Bell ist mit 33 wieder Stammspieler und Ruhepol in der Mainzer Abwehr, und der nun wegen einer Oberschenkelverletzung lange fehlende Jonathan Burkhardt gibt mit 18 Treffern den besten deutschen Torschützen in diesem Kalenderjahr.
Dass ein Neuzugang wie der Japaner Kaishu Sano und der nach einer Leihe vom Karlsruher SC zurückgekehrte Paul Nebel ein bisschen brauchten, um sich als bereichernder Faktor zu entpuppen, wirkt im Rückblick nur verständlich. In der Summe kommt vieles zusammen, was die Mainzer Momentaufnahme erklärt. Dabei hat der Klub nur ein Problem: Es dauert immer verdammt lange, bis Fußball-Deutschland wirklich registriert, was dieser Standort alles Gutes tut.
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