- Kultur
- Konsumwahn
Besser, billiger, geiler
Happy Shopping oder: Das unmäßige Universum der Geschäfte
Das kommerzielle Wesen beherrscht die Welt. Seine Unterworfenen wandeln wie Monaden, also fensterlose Wesen durch das Universum der Geschäfte. Käufer und Verkäufer sind Vollzugsorgane der Ware. Um diese kreisen ihre Gedanken und ihr Verlangen, das tatsächlich ein erotifiziertes Surrogat substanzieller Lust darstellt.
Der Komparativ des kommerziellen Angebots lautet besser, billiger, geiler! Nicht zufällig ist »echt geil« zu einem oft gebrauchten Schlagwort geworden. Kaufen macht glücklich, das ist geldrichtig. Und für den Verkäufer sogar noch geldrichtiger. Happy Shopping, das liegt den Geldsubjekten im Blut, also in ihrem Waren- und Geldkreislauf.
Wir haben unsere Pflicht am Markt zu erfüllen. Diese Last wird aber weniger als Belästigung, sondern als Belustigung, ja als Spaß wahrgenommen. Zu den Waren haben wir ein libidinöses Verhältnis. Unaufhörlich singt die Ware ihre Lieder und blickt ihre Kundschaft verführerisch an. Sie nennt ihre Zahl und reizt ihre Freier: Komm, nimm mich mit, so günstig kriegst du mich nie wieder! Zweifellos, Waren fungieren erotisch. Wobei erotisch nicht unbedingt ganz treffend ist. Eher ist es eine Peepshow der Produkte. Geld ist das Mittel, sie legal zu erobern. Nichts leichter, als in einen Supermarkt zu gehen, das Wagerl vollzumachen und Bargeld oder Kreditkarte zu zücken. Soweit vorhanden.
Als Entschädigung für das ungelebte Leben will das Subjekt sich belohnen – wer kennt das nicht? Nicht selten verlassen wir die Läden, Geschäfte, Märkte mit Waren, die wir weder kaufen wollten noch gebrauchen können. Den Reizen ist einfach nicht zu widerstehen.
Wenn das Sich-etwas-Gönnen ständig in die Ware flüchtet, sprechen wir von Konsumismus. Solches Belohnen wird wirtschaftlich erwartet und angeheizt. Die Charaktermasken sind dementsprechend aufgezogen. Geld darf nicht ruhen. Was sich als unmittelbare Emotionalität erlebt, ist höchste Rationalität des Waren- und Geldverkehrs.
Unaufhörlich singt die Ware ihre Lieder und blickt ihre Kundschaft verführerisch an.
In seiner letzten praktischen Ausgestaltung ist das nicht einmal mehr Konsum um des Konsums willen, sondern Kauf um des Kaufs willen. Zum Kauf treibt sodann mehr der Kauf als das Gekaufte. Egal was. »Shoppen gehen« ist also mehr als eine Phrase für »besorgen«, es handelt sich dabei tatsächlich um einen Event, der hic et nunc stattfindet, ein Ereignis, das primär auf sich selbst bezogen ist, darüber hinaus seines ursprünglichen Zwecks, des Brauchens und des Gebrauchs, immer mehr verlustig geht.
Kaufen bestimmt die bürgerliche Gesellschaftlichkeit. »Raunz nicht, kauf!«, heißt ein unverschämter wie realer Werbeslogan. Der gilt und wirkt wie ein kategorischer Imperativ: Kauf auch du, was ein anderer kaufen könnte. Handle so, wie jeder handelt, der handeln muss.
Vom Verkauf aus betrachtet, kann es daher gar kein pathologisches Kaufen geben. Der pathologische Käufer handelt rational im Sinne des Kapitals. Zum ökonomischen Problem wird er nicht ob der Menge seiner Einkäufe, sondern dann, wenn er seine Kreditfähigkeit überschätzt und sich übernimmt. Wenn er also das, was er kauft, letztlich nicht mehr zahlen kann.
Pathologische Käufer sind wir alle. Die Offensichtlichkeit einiger sollte den Hintergrund aller nicht verdunkeln. Das Grundproblem ist vielmehr, dass Kaufen generell eine pathologische Form der Vergesellschaftung ist. Kaufen wird also nicht pathologisch aufgrund pathologischer Käufer, sondern die Käufer werden pathologisch ob der Form des Kaufs. Die Form setzt ihre Subjekte. Der Kauf kreiert die Käufer. Die Menschen sind als Charaktermasken Reaktivisten des Warenverkehrs. Kein Kunde ist König, auch viele Kunden nicht. Ist der freie Kunde bloß Vollzugsorgan? – Aber natürlich, was sonst soll er sein.
Gepaart mit der Kaufsucht ist die Verkaufssucht, aus allem Geld zu machen. Auch diese Sucht sucht uns alle heim, letztlich müssen wir andere davon überzeugen, dass sie von uns, ja gerade von uns, etwas haben wollen müssen. Der Verkäufer ist in seiner Mission zwangsweise krankhaft dimensioniert.
Im Kapitalismus geht es nicht um die Befriedigung irgendwelcher Bedürfnisse, sondern um die Weckung bestimmter Kaufgelüste. Um den unverdächtigen Liberalen John Stuart Mill zu zitieren: »Fast jeder gekaufte oder verkaufte Gegenstand kann im Übermaß benutzt werden, und die Verkäufer haben ein Gewinninteresse daran, diese Unmäßigkeit zu ermutigen.« (»Über die Freiheit«, 1859) Verkäufer haben absolut kein Interesse an der Sättigung ihrer Kunden, sondern lediglich am Hunger derselben. Der Hunger nach Waren ist ein Hunger der Waren.
Auf dass man jetzt einmal eine Ruhe geben könnte, dieser Gedanke ist absolut wirtschaftsfeindlich. Das Geschäft giert nach Kunden. Muss gieren. Die Verkäufer sind süchtig nach Käufern, aber die Käufer sind ebenso süchtig, zwar nicht nach Verkäufern, sondern nach dem zu Kaufenden, dem Gekauften und somit Verkauften, die freilich identisch sind. Zunehmend sind sie sogar süchtig nach dem Kauf selbst, auf das Event der Transaktion. Die Ware geht dann im Geschäft unter, es geht in letzter Konsequenz nicht mehr um die Exponate der Form, sondern um die Form, die ledige Form.
Kaufen und Haben sind nicht nur nicht eins, es wird immer schwieriger, sich Waren überhaupt noch als Güter anzueignen, sie werden schneller produziert, flotter zirkuliert, rascher konsumiert. Zeit ist Geld und Geld ist alles. Der Gebrauch serieller Gegenstände hat von kurzer Dauer zu sein; Waren sind generell schnelllebig, kaum erworben, wollen sie schon durch neuere, buntere, modernere ersetzt werden.
Der Komparativ des Kapitals sitzt im Nacken, und der Gang der Geschäfte darf nicht unterbrochen werden. Haltbarkeit ist kaum gegeben, Reparatur ist zu teuer, Modernität verlangt nach beständigem Austausch und Wechsel. Rege statt träge, sagt die Reklame.
Was immer Motive und Gründe sein mögen, prinzipiell geht es um: Kaufen! Kaufen! Kaufen!
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