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Amtshilfe vom Chat-Bot
Leo Fischer durchschaut die Begeisterung der Rechtslibertären für Künstliche Intelligenz
Das sozialdemokratische Jahrhundert neigt sich dem Ende zu. Die unter Mühen erkämpften sozialen Errungenschaften werden von den Rechtslibertären abgewickelt – auf ausdrücklichen Wunsch eines großen Teils der Wahlbevölkerung. In Argentinien schleift Milei die Aufsichtsbehörden, in den Vereinigten Staaten soll ein durchgeknallter Milliardär die Bürokratie zerschlagen. In Deutschland träumt Christian Lindner davon, das Umweltamt zu schließen. Was noch in den Neunzigern als neoliberales Experiment gegen Widerstände aus Bevölkerung und Zivilgesellschaft, als List und Zwang durchgesetzt werden musste, ist jetzt Wahlprogramm.
Möglich wurde das durch eine politische Alltagskultur, in welcher der abschmelzenden, von Abstiegsängsten bedrohten Mittelschicht eingeredet wurde, ihre Interessen seien mit denen von Milliardär*innen identisch. Wo Leute ein Häuschen besitzen oder ein paar Aktien zeichnen, sehen sie das als Dividende einer politischen Allianz mit Megakonzernen. Weiter unten in der Nahrungskette wählen die Leute nach der Bitcoin-Börse, wie im Wettbüro: Nach dem Trump-Sieg stieg der Wert der Kryptowährung, diejenigen, die dem Slogan »vote Trump, buy Bitcoin« gefolgt waren, freuten sich auf ein paar Hunderter auf dem Konto, ohne zu fragen, welchen langfristigen Preis sie dafür zahlen werden.
Leo Fischer ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chef des Satiremagazins »Titanic«. In seiner Kolumne »Die Stimme der Vernunft« unterbreitet er der Öffentlichkeit nützliche Vorschläge. Alle Texte auf: dasnd.de/vernunft
Der Durchmarsch wird aber auch möglich durch das Wegbrechen der Verwaltungsgesellschaft. Das sozialdemokratische Jahrhundert war nicht zuletzt gestützt auf einen brüchigen Frieden zwischen Kapital und einem stark gewerkschaftlich organisierten Verwaltungsapparat. Kontrollbehörden versprachen Demokratie durch Einhegung der größten Exzesse des Kapitalismus. Politiker*innen waren korrumpier- und auswechselbar, Verwaltungshierarchien hingegen halten über mehrere Legislaturen – und verbürgen mancherorts noch eine demokratische Restvernunft, die andere am liebsten wegrationalisieren würden.
Wenn die Journalistendarsteller mit Millionärsgehalt im Springer-Hochhaus gegen die »Eliten« wettern, meinen sie genau das: widerständige Verwaltungen. Daher auch die Begeisterung der Rechtslibertären für Künstliche Intelligenz: Sie verspricht, die Vormacht der Verwaltungen zu durchbrechen. Statt Ansprüche auf dem Rechtsweg durchzusetzen, sollen wir uns Behörden-Chat-Bots anvertrauen und deren halluzinierendes Gequassel als Erfüllung gesetzlicher Ansprüche hinnehmen.
Der Weg der rechtslibertären Revolution verweist genau darauf: Statt Minderheitenschutz und gleichem Recht für alle gibt es »individuelle Lösungen«, die im KI-Algorithmus ausgeheckt werden. Im Zweifel aber stellen die Armeen von Chat-Bots nur eine potenziell endlose Verzögerung dar, eine stetig wachsende Warteschleife zwischen den Staatsbürger*innen und ihren gesetzlich verbrieften Ansprüchen. Aus der Verzögerung und dem automatisierten Abwehren von Ansprüchen entsteht für die Rechtslibertären doppelter Profit: der Profit der Digitalisierung selbst – und die effektive Zerschlagung einer Verwaltung, die ihrem Treiben noch Einhalt gebieten könnte.
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