- Wirtschaft und Umwelt
- Flut-Katastrophe 2004
»Ist das der Weltuntergang?«
Die noch immer schmerzhaften Erinnerungen eines Bewohners von Banda Aceh an den Tsunami
Djafaruddin steht vor einer Moschee in Banda Aceh und kämpft mit den Tränen. Das Grauen vom zweiten Weihnachtstag 2004 habe er eigentlich gut verarbeitet, sagt der 69-jährige Indonesier, der nach der Tsunami-Katastrophe im Indischen Ozean in seiner verwüsteten Heimatstadt bei der Bergung von Leichen geholfen hatte. Doch die Erinnerung an die vielen Kinder, die damals um ihre toten Eltern weinten, holt ihn 20 Jahre später doch wieder ein.
»Es ist einfach unvorstellbar, dass so etwas passieren konnte«, sagt Djafaruddin, der wie viele Menschen in Indonesien nur einen Namen hat. Die allermeisten Toten waren seinerzeit in der Provinz Aceh im Norden Sumatras zu beklagen, wo die Flutwellen besonders hoch waren. Djafaruddin, der bei der Verkehrsbehörde in der Provinzhauptstadt Banda Aceh arbeitete, war an dem verhängnisvollen Sonntagmorgen zu Hause. Sein Haus, fünf Kilometer von der Küste entfernt, war nicht in Gefahr. Djafaruddin forderte seine Familie auf, zu Hause zu bleiben, und stieg kurzentschlossen in seinen schwarzen Pritschenwagen, um anderswo zu helfen.
Die Schreckensbilder in der Innenstadt überwältigten ihn im ersten Moment: »Als ich überall die Leichen gesehen habe, habe ich geschrien und geweint«, berichtet Djafaruddin. »Ich dachte: ›Ist das der Weltuntergang?‹« Doch er zögerte nicht lange und packte mit an: Mit seinem Auto, mit dem er sonst Verkehrsschilder und andere Gerätschaften transportierte, brachte er mindestens 40 Tote zum nahegelegenen Militärkrankenhaus.
»Hier haben Leichen gelegen, inmitten von Treibgut«, erinnert er sich bei einem Stopp an der Baiturrahman-Moschee. »Überall waren weinende Väter und Mütter, die nach ihren Frauen, ihren Männern und ihren Kindern suchten.« Immer wieder fuhr er zum Krankenhaus und wieder zurück, bis er am Abend völlig erschöpft und mit Blut und Schlamm verschmiert Schluss machte.
Die Erlebnisse ließen Djafaruddin jahrelang nicht los. Erst mit der Zeit habe er sich von dem Trauma gelöst, sagt er. »Es ist lange her.« Doch die Erinnerung an die Waisenkinder, die Djafaruddin und seine Familie damals kurzzeitig aufnahmen, bringt ihn immer noch zum Weinen. »Es war so traurig. Nachts haben sie geschrien und nach ihren Eltern gerufen«, berichtet er unter Tränen. Später wurden die Kleinen auf Notunterkünfte verteilt.
In Banda Aceh erinnert heute nichts mehr an die Katastrophe von damals. Zerstörte Häuser wurden wieder aufgebaut, durch die geschäftigen Straßen laufen Touristen. Die Bewohner hätten gelernt, mit dem Schmerz und der Trauer um die Toten zu leben, sagt Djafaruddin. »Wir lassen sie gehen. Ich glaube, alle Menschen in Aceh denken so.« Doch immer, wenn Djafaruddin an der Baiturrahman-Moschee vorbeikommt, spricht er noch heute ein Gebet für die Tsunami-Opfer. AFP/nd
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.