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Rätselhafte Objekte: Der Banksy der Namib-Wüste
In Namibia tauchen seit einiger Zeit immer mehr Steinskulpturen in der Wüste auf. Die Kunstwerke haben es bis auf die Biennale in Venedig geschafft
An einem Ort in der Wüste Namib, der auf kaum einer Landkarte namentlich verzeichnet ist, steht ein Gerippe aus Stein und Stahl. Es symbolisiert einen Mann, der ins Nirgendwo zu rennen scheint. Die Steine sind braun wie die Erde, die sie umgibt, das Metall verwittert. Am Fuß der Figur hängt eine Metallplakette mit der Nummer 5. Daneben die Aufschrift: »Enough of this lounging about. I need to get moving.« Zu Deutsch: Genug des Herumlungerns. Ich muss in Bewegung kommen.
Nur wenige Autos kommen an dem einsamen Ort im Nordwesten Namibias vorbei, oft stundenlang gar keines. In der Mondlandschaft nördlich des Hoarusib-Trockenflusses gibt es weder Büsche noch Bäume, die meiste Zeit des Jahres noch nicht einmal Gras. Aber es gibt hier Kunst, denn wer von Namibias Hauptstadt Windhoek in den Nordwesten reist, der kommt quasi in ein Freilicht-Museum, ein ziemlich großes sogar.
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Die einsame Figur thront auf einer Anhöhe. Der Blick über den Skelettküsten-Nationalpark ist überwältigend: An klaren Tagen reicht er fast bis zum Atlantik, nachts funkeln am Himmel millionenfach die Sterne. Die Skulptur fügt sich perfekt in die Landschaft ein. Selbst aus der Nähe ist sie kaum zu sehen. Doch warum schafft jemand Kunst an diesem verlassenen Ort? Wer ist der Künstler? Und was will er uns damit sagen?
Das Kaokoveld ist einer der einsamsten Flecken Namibias. Bei Insidern wird die Region auch »Wilder Westen« genannt. Bekannt ist sie für ihre grandiosen Landschaften, für die sagenumwobenen Wüstenelefanten, die seltenen Wüstenlöwen und die noch selteneren Wüstennashörner. Und neuerdings auch für Kunst. Denn für viele Reisende ist es mittlerweile zu einer Art Schatzsuche geworden, die einsamen Männer in der Wüste zu finden.
Wer von den skurrilen Steinskulpturen spricht, der redet meist von den »lone men«, den einsamen Männern der Namib. Dabei ist nicht einmal klar, ob es sich überhaupt um Männer handelt. Sind vielleicht auch Frauen und Kinder dabei? Die Figuren scheinen kein Geschlecht zu haben. Alle sind etwas kleiner als Menschen. Und alle tun etwas: Sie spazieren oder laufen durch die Wüste, sie sitzen am Lagerfeuer oder hängen an einer Felsklippe. An jeder Figur ist eine Metallplakette befestigt, die eine Nummer und eine Botschaft enthält.
Dem Künstler muss es Spaß machen, Steine in passenden Formen zu suchen – die ganze Landschaft ist voll davon: Arme, Beine, Schädel, Pobacken. Verbunden mit Eisendraht erwachen sie zu Menschen. Das erste Mal gesichtet wurden die Skulpturen 2014. Seitdem sind es immer mehr geworden. Die Nummern variieren zwischen 1 und 48; Kenner schätzen die wirkliche Zahl jedoch nur auf etwas mehr als zwei Dutzend. Auf die Skulpturen des Künstlers, der sich mit Pseudonym RENN nennt, richten sich immer mehr Augen, vor allem Touristenaugen. Es gibt regelrechte Sammler.
An einer Gruppe von drei Steinfiguren südwestlich des Hoarusib-Trockenflusses, die um ein Lagerfeuer sitzen, begegne ich zwei Pärchen aus Sachsen, die ersten Menschen seit Stunden. Mehrmals umkreisen sie die Gruppe, machen Fotos. »Unsere lone men 7, 8 und 9«, sagt einer der beiden Männer. »Nur mit der Nummerierung kommen wir nicht so ganz klar.«
Die Steinskulpturen der Namib sind nicht nur ein Blickfang für die Touristen. 2022 schafften es einige von ihnen sogar auf die Biennale in Venedig. Der erste namibische Pavillon in der Geschichte der Biennale stand unter dem Motto »Eine Brücke zur Wüste«. Zu sehen waren unter anderem eine Ausstellung mit Fotos der Skulpturen in der Wüste, aber auch einige der Kunstwerke selbst.
Es ist nicht einfach, die Kunstwerke in der Namib auszumachen. Aber die Suche gehört zum spezifischen Reiz des Sammelns, und so wird in sozialen Netzwerken, auf Blogs und Webseiten mittlerweile längst wild darüber spekuliert, wie viele Figuren es gibt und wo sie stehen. Zahlen und GPS-Koordinaten machen die Runde. Wo exakt die Steinmänner zu finden sind, ist auch deshalb unklar, weil der Künstler offenbar immer wieder einige verschiebt.
Die Frage aller Fragen aber ist: Wer hat die Wüstenkunst eigentlich erschaffen? Einige glauben es zu wissen: Der Mann vom »House on the Hill«, lautet eine immer wieder gehörte Antwort. Die einfache Unterkunft bei Orupembe ist für die wenigen Menschen, die es in diesen abgelegenen Teil Namibias verschlägt, ein gerne angesteuertes Ziel. In der Nähe wurden auffällig viele der Steinmänner gesichtet, vor einiger Zeit sogar die erste Steinfigur mit einem Gewehr. Ein Verweis auf den Krieg in der Ukraine? Wie der wirkliche Name des Künstlers wird auch das womöglich ein Geheimnis bleiben.
- Anreise: Von Deutschland aus erreicht man Namibia am besten mit Discover Airlines (www.discover-airlines.com). Die Lufthansa-Tochter fliegt je nach Jahreszeit ab etwa 350 Euro pro Strecke von Frankfurt am Main und München nach Windhoek.
- Einreise: Bis 31. März 2025 können Touristen aus Deutschland ohne Visum einreisen und 90 Tage bleiben.
Ab 1. April erhalten sie ein Visum bei der Ankunft für 1600 Namibia-Dollar (etwa 80 Euro). Vorab online beantragt kostet ein Touristenvisum 600 Namibia-Dollar (etwa 32 Euro).
https://eservices.mhaiss.gov.na - Beste Reisezeit:
Namibia ist ein Ganzjahresziel. - Unterkunft:
Ideale Ausgangspunkte für die Suche sind das Sesfontein Guesthouse
(www.sesfontein-guesthouse.com) und das House on the Hill bei Orupembe
(www.houseonthehillnam.com). - Weitere Auskünfte:
Namibia Tourism Board
www.visitnamibia.com.na
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