Christian Lindner des Jahres: Stefan Raab

2024 lebe hoch! Was war gut, was war schlecht? Das nd-Feuilleton schaut zurück

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Ist der Bart ab oder noch dran? Und wer ist eigentlich der Christian Lindner des Jahres?
Ist der Bart ab oder noch dran? Und wer ist eigentlich der Christian Lindner des Jahres?

Bahareh Ebrahimi

Bester Kinofilm: a) Drama: »All We Imagine as Light« von Payal Kapadia; b) Dokumentarfilm: »Daughters« von Angela Patton und Natalie Rae; c) Tragikomödie: »Ein kleines Stück vom Kuchen« von Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha

Beste Serie: »Achtsam Morden« war nicht die beste Serie des Jahres, aber hat am meisten Spaß gemacht.

Bestes Buch: Das einzige Buch, das mich dieses Jahr inspiriert hat, war »Laufen. Essen. Schlafen.« von der Langstreckenwanderin Christine Thürmer aus dem Jahr 2016: Eine Frau befreit sich vom konventionellen Büroleben in Deutschland und geht in den USA wandern.

Christian Lindner des Jahres: Baschar al-Assad

Dümmstes Wort: »Staatsangehörigkeit«

Schlimmster Sport: Leistungssport

Superpower des Jahres: eine Woche ohne Schlaf auf dem Cannes-Filmfestival

Comeback des Jahres: Regisseur Mohammad Rasoulof. Statt wieder im iranischen Gefängnis zu sitzen, landete er kurz nach seiner Flucht auf dem roten Teppich des Cannes-Filmfestivals ... und vielleicht bald im Dolby-Theater in L.A.

Beste Ausstellung: »Anthony McCall: Split Second« im Guggenheim-Museum in Bilbao

*

Larissa Kunert

Bester Kinofilm: »A Different Man« von Aaron Schimberg – eine überraschende, witzige, zuweilen aber auch beklemmende Reflexion über das Verhältnis von Aussehen, Selbstwahrnehmung und Gesellschaft.

Beste Serie/Sendung: Natürlich, wie jedes Jahr, unsere Kolumnen im nd-Feuilleton.

Christian Lindner des Jahres: Alle Ministerpräsidenten, die sich für den neuen Medienstaatsvertrag ausgesprochen haben. Zahlreichen öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Radiosendern soll damit der Garaus gemacht werden – Privatisierer Lindner wäre stolz.

Bestes Buch: »Café Marx« von Philipp Lenhard. Der Historiker erzählt sehr lebendig die Geschichte der Frankfurter Schule, eine der wichtigsten philosophischen Strömungen des 20. Jahrhunderts. Dank eines nd-Artikels von Gert Lange habe ich in diesem Jahr außerdem den 1910 in Berlin geborenen Exilschriftsteller Ulrich Becher entdeckt. Ich empfehle seine Novelle »Der schwarze Hut« (1957).

Bester Traum/Albtraum: Der Traum, den Fridolin in Arthur Schnitzlers »Traumnovelle« (1926) respektive Bill Harford in Stanley Kubricks filmischer Adaption »Eyes Wide Shut« (1999) hat. Der Film ist für mich ein Klassiker in der Weihnachtszeit.

Dümmstes Wort: Die in der Kunstkritik inflationär verwendete Floskel »Position« sollte endlich verworfen werden. »Werk«, »Ansatz«, »Arbeit«, »Haltung« – alles besser als »Position«.

Schlimmster Sport: Das Fitnessstudio ist zweifellos ein gottverlassener Ort – trotzdem gehe ich immer wieder rein.

Superpower des Jahres: Rotwein, der redselig macht.

Comeback des Jahres: Das sogenannte Dumbphone, das einen lediglich telefonieren und SMS verschicken lässt.

Fehlkauf des Jahres: Ein Seidenkleid, das ich auf einer Hochzeit doch nicht trug; ein Ticket für einen Zug, den ich doch nicht nahm; der Frieden mit meinen Nachbarn, durch Nachgiebigkeit erworben, der doch nicht hielt.

Beste Ausstellung: Vielleicht ist es reaktionär, Alfred Kubin gut zu finden, aber seine Zeichnungen in der Wiener Albertina haben mich gebannt. Schade, dass Kleinformatiges im zeitgenössischen Kunstbetrieb kaum Platz findet.

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Christof Meueler

Bester Kinofilm: »The Holdovers« von Alexander Payne. Die Geprellten und Zurückgelassenen der Bourgeoisie finden nur an Weihnachten im Internat zusammen: ein tiefgehender, berührender Hippietraum in schönster Schnee- und Musiklandschaft.

Beste Serie: »Ripley« auf Netflix. Ein Psychopath zum Gernhaben: zeitlupenhaft gestreckte Verfilmung des ersten »Ripley«-Krimis von Patricia Highsmith in brillanter Schwarz-Weiß-Ästhetik.

Christian Lindner des Jahres: Olaf Scholz, der Christian Lindner aus dem Kabinett schmeißt (gescripted).

Bestes Buch: a) Sachbuch: »Zeit abschaffen« von Simon Nagy; der Kommunismus kann kommen – wenn man sich die Zeit dafür nimmt. b) Roman: »Aber ich kann fliegen« von Jürgen Teipel. Eine bestürzend offenherzige Introspektion der Versuche, durch die Punkbewegung weniger Angst zu haben und anders leben zu wollen.

Dümmster Spruch: »Das ist meine ehrliche Meinung.«

Schlimmster Sport: Wrestling

Superpower des Jahres: Merkels Raute (ooops, she did it again)

Comeback des Jahres: VfL Bochum schafft die Relegation bei Fortuna Düsseldorf 5:6 im Elfmeterschießen.

Fehlkauf des Jahres: Fifa-WM 2030 (drei Kontinente) und 2034 (Saudi-Arabien)

Beste Ausstellung: »Das Glück ist nicht immer lustig« von Rirkrit Tiravanija, im Martin-Gropius-Bau, Berlin. Lang lebe die soziale Plastik!

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Christin Odoj

Bester Kinofilm: Dieses Jahr sind es zwei Filme. In beiden geht es um Gewalt. In dem Dokumentarfilm »Hinter guten Türen« ist sie nicht direkt präsent, sondern nur durch Erzählungen und Ausflüchte. Die Filmemacherin Julia Beerhold befragt ihre Mutter, warum sie und ihr Vater ihr in der Kindheit massive körperliche und psychische Demütigungen angetan haben. Wie mutig, die eigenen Eltern so schonungslos mit ihrer größten Verfehlung zu konfrontieren! Nummer zwei: »Des Teufels Bad« von Veronika Franz und Severin Fiala ist definitiv der schrecklichste Film des Jahres und daher einer der besten.

Beste Serie: »Ripley« (Netflix) ist sehr gut erzählter und über-ästhetisch inszenierter Krimi; »Ein neuer Sommer« (Netflix) ist ein fieses Sittengemälde der amerikanischen Upper-Class.

Christian Lindner des Jahres: Stefan Raab

Bestes Buch: Beide sind schon alt und das eine funktioniert gut im Gegenspiel mit dem anderen: »Die Vegetarierin« von Han Kang ist totsterbenslangweilig. Lesen Sie es nicht, falls es noch auf Ihrer Liste steht. Hingegen ist »Die Zähmung« von Gisela Elsner zwar über 20 Jahre älter, erzählt aber von einer gescheiterten Ehe um Längen skurriler, böser und witziger.

Bester Traum: Ausschlafen an einem Montag.

Dümmstes Wort: »Schuleingangsuntersuchung«

Schlimmster Sport: Hobby Horsing. Niemand hat Lust, erwachsen zu werden, aber das geht zu weit. Wobei, eine Generation, die sich so einen Sport ausdenkt, kann in Zukunft unseren Planeten nicht noch weiter ruinieren.

Superpower des Jahres: Mein Immunsystem. Gen Ende des Jahres kommt es endlich auf Betriebstemperatur und hat drei Kita-Keime hintereinander abgeschmettert.

Comeback des Jahres: Corona. Nach dem dritten Mal wird’s besser.

Fehlkauf des Jahres: Hatte ich schon erwähnt, dass »Die Vegetarierin« kein interessantes Buch ist?

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Karlen Vesper

Bester Kinofilm: »In Liebe, Eure Hilde« von Andreas Dresen. Ein bewegender, einfühlsamer und eindrucksvoller Film, der an zwei Helden des in der Bundesrepublik nach wie vor zu wenig gewürdigten Arbeiterwiderstands gegen die Hitlerdiktatur erinnert.

Christian Lindner des Jahres: Der indische Multimilliardärssohn Anant Ambani, der gleich C.L. drei Tage seine Hochzeit zelebrierte. Aber nicht nur wie Lindner mit langweiliger Semiprominenz aus Politik und Wirtschaft, sondern mit internationalen Stars wie Kim Kardashian. Zudem kam er nicht auf die abgeschmackte Idee, nach dem Ja-Wort durch ein Walfischgebiss zu schreiten.

Bestes Buch: »Freiheit« von Angela Merkel. Allerdings nur, weil es typisch männliche Abwehrreflexe bestens demonstrierte, wenn sich eine selbstbewusste Frau zu Wort meldet. Dass sie die männerdominierte CDU aufmischte und die miefige Bundesrepublik modernisierte, empört Ewiggestrige immer noch.

Schlimmster Albtraum: Dass der Fahnenjunker und Advocatus Diaboli Friedrich Merz Kanzler von Deutschland wird. Ein vielleicht letzter zwingender Grund, das Land der Alldeutschen zu verlassen.

Dümmstes Wort: »kriegstüchtig«

Schlimmster Sport: Frauentragen, seit 1992 im finnischen Sonkajärvi als Weltmeisterschaft: Die Frau vom Gatten geschultert, ihr Gesicht an seinem Gesäß, ihre Beine um seinen Brustkorb verschlungen – das ist nicht nur diskriminierend, sondern auch unästhetisch und schmerzhaft.

Superpower des Jahres: Gisèle Pelicot, die ihren gewalttätigen Ehemann samt seiner skrupellosen Kumpanen anzeigte und tapfer aus der Anonymität trat: »Die Scham muss die Seiten wechseln«.

Fehlkauf des Jahres: Die 60 Transporthubschrauber CH-47 Chinook, die Boris Pistorius bei Boeing in Philadelphia einsackte. Die Shopping-Tour des Verteidigungsministers, der im Mai insgesamt 380 Verträge mit US-Rüstungsfirmen abschloss, verschlingt allein ein Drittel des Bundeswehr-Sondervermögens. Und lässt uns nicht ruhiger schlafen. Im Gegenteil.

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Erik Zielke

Bestes Buch: »Frei. Erwachsenwerden am Ende der Geschichte« von Lea Ypi

Christian Lindner des Jahres: Arbeit müsse sich stets mehr lohnen als der Verzicht auf einen Job, meinte Christian L., Deutschlands frechster Arbeitsloser. Darum: Fabrikate des Automobilherstellers Porsche jetzt in Volkseigentum umwandeln.

Bester Traum: Hauptsache ungestört.

Dümmstes Wort: »Kulturkürzungen«.

Schlimmster Sport: Der morgendliche Übergang von der Horizontalen in die Vertikale.

Superpower des Jahres: Nüchternheit – bedeutet laut Antonio Gramsci »Pessismus des Verstandes« und »Optimismus des Willens«.

Comeback des Jahres: Der Küchentisch.

Fehlkauf des Jahres: Das bunte Warenangebot aus dem Hause Rheinmetall.

Bestes Theaterstück: »Kleiner Mann – was nun?« in der Regie von Frank Castorf am Berliner Ensemble

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