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Oyoun schließt die Pforten

Das Berliner Kunst- und Kulturzentrum hat am 31. Dezember seine Räume in Neukölln geräumt

Die Betreiber*innen des Oyoun haben das Gebäude in der Lucy-Lameck-Str. geräumt
Die Betreiber*innen des Oyoun haben das Gebäude in der Lucy-Lameck-Str. geräumt

»Wir sind jetzt raus«, sagt Louna Sbou zu »nd«. Sbou ist Direktorin des Kunst- und Kulturzentrums Oyoun in der Neuköllner Lucy-Lameck-Straße, um das seit mehr als einem Jahr eine heftige Debatte um Kunst- und Meinungsfreiheit und die Rolle des Staates bei der Kulturförderung tobt. Mit dem ausgelaufenen Jahr 2024 ist vorerst Schluss mit Veranstaltungen, aber der Konflikt schwelt noch weiter.

Eigentlich habe es einen Deal zwischen den Betreiber*innen des Oyoun und der Senatsverwaltung für Kultur gegeben, berichtet Sbou. Das Oyoun sollte seine Berufung gegen eine Räumungsklage zurücknehmen, im Gegenzug würde der Senat die Kosten des Verfahrens von rund 25 000 Euro tragen. Aber der Deal droht zu platzen. Nach einer Besichtigung im Dezember stellte der Senat neue Bedingungn. Unter anderem soll das Gebäude komplett entrümpelt werden. »Das können wir nicht leisten. Was noch im Gebäude ist, sind Sachen vom vorherigen Betreiber«, sagt Sbou. »Wir haben unsere privaten Sachen rausgeräumt.« Überhaupt habe man seit 2020, als das Oyoun die Räume übernahm, zahlreiche Entrümpelungsaktionen machen müssen, zwölf große Container gefüllt, um die Räume überhaupt bespielbar zu machen, so Sbou. Wie es jetzt genau weitergehen soll, sei nicht klar, sagt Sbou. »Wir wissen immer noch nicht, wann die Schlüsselübergabe stattfinden soll.«

Es ist das unrühmliche Ende einer unrühmlichen Geschichte. Das Jahr 2024 über wurde das Oyoun ohne Förderung des Senats bespielt. Auslöser dafür war, dass das Oyoun dem Verein »Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost« für eine Veranstaltung Anfang November 2023 Räumlichkeiten angeboten hatte. Zum 20-jährigen Bestehen und »im Schatten des 7. Oktober, der anhaltenden Bombenangriffe auf Gaza und der entsetzlichen Zahl ziviler Opfer« wollte der Verein sein Jubiläum nicht feiern, sondern lud zu einer »Trauer- und Hoffnungsfeier« ein. Allerdings war nicht die Veranstaltung selbst das Problem, sondern dass dem linken jüdischen Kollektiv aufgrund von Äußerungen zum Massaker vom 7. Oktober und der Haltung einzelner Mitglieder zur Kampagne BDS, Antisemitismus vorgeworfen wird.

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Weil Oyoun die Veranstaltung trotz Drängen des Senats nicht absagen wollte, wurde im Haus von Kultursenator Joe Chialo (CDU) alles in die Wege geleitet, um dem Zentrum die Fördermittel zu streichen. Wie »nd« recherchierte, wurde zunächst geprüft, ob aufgrund von Aussagen seitens Oyoun im Zusammenhang mit dem Hamas-Terror in Israel »zuwendungsrechtliche Sanktionen« möglich seien. Das Ergebnis war klar: »Die vorliegenden Sachverhaltsinformationen bieten nach rechtlicher Einschätzung aktuell keine Grundlage zum Widerruf oder zur Rücknahme der bereits beschiedenen Zuwendung«, hieß es in dem internen Dokument. Vorwürfe von Antisemitismus konnte die Verwaltung nicht belegen.

Um die Förderung dennoch streichen zu können, schlug die Senatsveraltung einen anderen Weg ein: Ein neues Betreiberkonzept wurde ausgeschrieben. Das wiederum ermöglichte eine Haushaltssperre für die Förderung und damit deren Widerruf für 2024 und 2025. Von Antisemitismus-Vorwürfen wollte die Verwaltung nichts mehr wissen. »Die Aussage des Oyoun, dass dies aufgrund einer Veranstaltung der ›Jüdischen Stimme‹ passiert, ist nicht zutreffend«, teilte die Verwaltung im Juli 2024 dem RBB mit. Die Förderung sei regulär 2023 ausgelaufen.

Zumindest mit diesem bürokratischen Trick hatte die Kulturverwaltung Erfolg. Ein anderes Projekt, das Senator Chialo in Folge der Auseinandersetzung in die Wege leitete, scheiterte krachend. Der CDU-Politiker führte im Dezember 2023 eine verbindliche »Antidiskriminierungsklausel« für Kulturförderungen ein. Das Ziel: Antisemitismus im Kulturbereich bekämpfen. Wer sich auf eine staatliche Förderung bewerben wollte, sollte diese Klausel unterschreiben und sich dabei die umstrittene Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) zu eigen machen. Nach vehementer Kritik sowohl aus Kulturkreisen als auch von Jurist*innen zog der Kultursenator die Klausel nach kaum einem Monat zurück. Die juristischen Bedenken, ob eine solche Klausel verfassungsgemäß möglich ist, waren zu groß.

»Wir wissen immer noch nicht, wann die Schlüsselübergabe stattfinden soll.«

Louna Sbou Direktorin Oyoun

Über das Jahr 2024 hin hat das Oyoun trotz allem ein abgespecktes Programm gestaltet. »Es gab viele geschlossene Veranstaltungen, aber selbst das wäre nicht möglich gewesen, hätten die Leute aus dem Team nicht die Leidenschaft für das Projekt gehabt«, sagt Sbou. Aber nicht alle Mitarbeiter*innen konnten weitermachen. »Einige haben das Land verlassen beziehungsweise brauchten eine wohlverdiente Auszeit nach den Jahren staatlicher Repression«, berichtet Sbou. Für manche Beschäftigten war ihr Aufenthaltsstatuts an den Arbeitsvertrag mit dem Oyoun gebunden.

Unter den erschwerten Bedingungen gab es trotz allem auch öffentliche Veranstaltungen, etwa das »Unframe Festival« im November. Im Rahmen des »sozialistisch-kulturellen« Wochenendes gab es zahlreiche Vorträge, Workshops, Ausstellungen, Podiumsdiskussion und Filmvorführungen. Auch Veranstaltungen für die Nachbarschaft habe es gegeben, berichtet Sbou.

Darüber hinaus habe man Lobbyarbeit betrieben, sagt Sbou. »Wir haben uns mit Organisationen ausgetauscht und versucht, auch auf Regierungsebene darüber aufzuklären, wie gefährlich diese Entwicklung ist, wenn eine Person nach Gutdünken über die Zukunft von 32 Menschen entscheiden kann.«

Dass sie die Lucy-Lameck-Straße jetzt verlassen haben, bedeutet nicht das Ende der Arbeit von Sbou und ihren Mitstreiter*innen. Man habe immer gewusst, dass man anecke und dass das Oyoun in diesem Gebäude nicht für immer existieren werde, so Sbou. »Dass es jetzt so schnell ging, hatten wir am Anfang aber nicht erwartet.« Man werde aber auf jeden Fall weitermachen. »Unser Slogan war von Anfang an: ›Mehr als ein Haus‹«, sagt Sbou.

Und was passiert in Zukunft mit den leeren Räumen? Die Ausschreibung für das neue Betreiberkonzept hat das Projekt »Tanzzeit« gewonnen, ein »Junges Tanzhaus Berlin« soll dort entstehen. Aber das Projekt ist von den massiven Haushaltskürzungen betroffen, die der Senat kurz vor Weihnachten noch beschlossen hat. Es ist also durchaus möglich, dass in der Lucy-Lameck-Straße erst einmal gar nichts passiert.

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