Wüsten an der Berliner Mauer und später überall

Zwei Fotoausstellungen von Anne Heinlein zum Wendejubiläum in Potsdam

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 4 Min.
In der Ausstellung bei der Friedrich-Naumann-Stiftung
In der Ausstellung bei der Friedrich-Naumann-Stiftung

Gerade in Potsdam konnte der 35. Jahrestag des Mauerfalls nicht unbeachtet verstreichen. Denn die Stadt grenzt unmittelbar an Westberliner Territorium, weshalb hier bis 1990 ein Abschnitt der Berliner Mauer verlief.

Zwei Ausstellungen zum Thema werden in Potsdam gezeigt, und sie sind vom Titel her durchaus vielversprechend. »Geheimes Land« heißt eine Fotoausstellung im Kunstraum der Schiffbauergasse und »Wüstungen« die im Atrium der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung im Stadtteil Babelsberg. Beide Ausstellungen zeigen Werke der 1977 in Potsdam geborenen Kunstfotografin Anne Heinlein.

Für die Fotos von »Geheimes Land« hat Heinlein laut Begleittext der Ausstellung »die ehemaligen Sperrgebiete erkundet, in den Akten der Staatssicherheit der DDR recherchiert und mit Zeitzeugen gesprochen«. Es gehe darin um »Sperrgebiete, größtenteils genutzt von der NVA und der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte«.

Wer nun dokumentarische Fotos erwartet, ist vielleicht enttäuscht. Ein, zwei Fotos zeigen wohl Panzer und Militär-Laster. Eine Landkarte ist dabei, auf der deutsche Namen von Dörfern mit kyrillischen Buchstaben geschrieben sind, und es gibt Farbfotos von Wänden mit abgeblätterter Farbe oder alter Tapete zu sehen, die Heinlein in inzwischen verrotteten Bauwerken aufgenommen hat. Die Arbeiten seien »eine künstlerische Auseinandersetzung mit DDR-Geschichte, militärischem Drill, Vergangenheit und Aufarbeitung sowie mit dem Schein der Wirklichkeit und verborgenen Wahrheiten«, behauptet die Einladung.

Etwas rätselhaft bleibt diese Erklärung, da die Fotos zumeist nichts anderes zeigen als irgendwelche Waldkanten. Nicht einstellen will sich beim Betrachten die entscheidende Erkenntnis, dass bei allem martialischen Gestus die Jahre der DDR Jahre des Friedens in Deutschland gewesen sind, bevor sich die Bundesrepublik ab den 90er Jahren an Kriegen beteiligte.

Die zweite Fotoausstellung heißt »Wüstungen – geschleifte Orte an der innerdeutschen Grenze«. Ihr Hintergrund ist die Zwangsumsiedlung von Menschen aus dem Grenzgebiet Anfang der 60er Jahre. Betroffen waren Menschen, die als politisch unzuverlässig eingestuft wurden. Wenn diese Aktion Anfang der 60er Jahre tatsächlich den Namen »Ungeziefer« trug, ist das natürlich unentschuldbar. Tatsache ist, dass rund 10 000 Bewohner kurz nach dem Mauerbau überfallartig gezwungen wurden, ihre Häuser im Grenzgebiet zu räumen. Sie wurden mit ihrem Hausrat verladen und abtransportiert an Orte, die ihnen als neuer Wohnort zugewiesen wurden, wo sie Arbeit fanden und ihre Kinder weiter zur Schule gingen. Dass die Betroffenen dies als Willkür und schweres Unrecht empfanden und empfinden mussten, schimmert in Briefen durch, die Bestandteil der Ausstellung sind. Ergänzt werden sie unter anderem durch Bilder von Dörfern, die der »Sicherung der Staatsgrenze« weichen mussten. Sie erinnern an wehmütige Erinnerungen an die einstigen Ostgebiete, die Deutschland infolge des 1939 angezettelten Zweiten Weltkriegs verloren hat.

All dies ist nicht weiter neu und auch nicht sonderlich originell, aber eine Bemerkung der Künstlerin Heinlein selbst ist interessant oder besser bezeichnend. Mit den Fotos habe sie im Westen Deutschlands großen Erfolg, sagte sie im FDP-Atrium. In Ostdeutschland bestehe offenbar wenig Interesse. Auf eine Anfrage in Magdeburg habe sie nicht einmal eine Antwort bekommen.

Das lädt zur Deutung ein. Denn Wüstungen und Verwüstungen hat es in Ostdeutschland nach 1990 nicht wenige gegeben. Es wurden Betriebe stillgelegt und Wohnungen abgerissen. Die Natur eroberte sich Terrain zurück. So sahen die von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) vollmundig versprochenen »blühenden Landschaften« aus. Zwei Millionen Ostdeutsche waren gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, die ihnen keine Arbeit und keine Zukunftsaussichten mehr bot.

Auf den Vorschlag, sich diesen »Wüstungen« einmal zuzuwenden, reagierte Künstlerin Heinlein zurückhaltend bis ablehnend. Dabei würde sich ihr in Brandenburg ein reiches Betätigungsfeld bieten: Premnitz, Wittstock, Neuruppin, Kyritz, Eberswalde, Elsterwerda, Lauchhammer, Forst, Guben. Man könnte hier in einer Fotoausstellung sehr schön mit dem Vorher-nachher-Schema arbeiten: DDR-Kinder, die spielten, lachten, glücklich waren in Neubaugebieten von Schwedt und Eisenhüttenstadt – auf Flächen, die danach Brachen und Wüsteneien waren, in die der Wolf zurückgekehrt ist. Mit Sicherheit würde eine solche Fotoausstellung in Ostdeutschland Interesse wecken. Aber würden sich dafür Geldgeber finden? Vermutlich nicht im Westen, der seine Sicht auf die Geschichte darin nicht bestätigt finden könnte.

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