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Ukrainische Armee: Fahnenflucht statt Häuserkampf
In der Ukraine häuft sich die Kritik an der Aufstellung neuer Brigaden im Ausland
Kiew. In der Ukraine werfen unabhängige Militärexperten der politischen und militärischen Führung Fehler bei der Aufstellung neuer Truppenteile vor. Der Journalist Jurij Butussow schilderte auf dem Portal »Zensor.net« den Fall der neuen 155. mechanisierten Brigade, eines Prestigeprojekts der Kooperation mit Frankreich. Noch bevor die Brigade an die Front kam, seien 1700 ihrer Soldaten desertiert – darunter angeblich 50 schon während der Ausbildung in Frankreich.
In der Aufstellungsphase seit März 2024 seien zudem 2500 Soldaten der Brigade erst zugeteilt, dann aber wieder in andere Einheiten abkommandiert worden. Die Brigadeführung habe in Frankreich kaum mit ihren Soldaten üben können. Als die Einheit dann mit nominell 5800 Mann in der Ostukraine bei der Stadt Pokrowsk eingesetzt wurde, fehlten ihr Drohnen und Drohnenabwehr. Die Folge seien hohe Verluste gewesen, schrieb Butussow. Er warf Präsident Wolodymyr Selenskyj, Verteidigungsminister Rustem Umjerow und Oberbefehlshaber Olexander Syrskyj die mangelhafte Organisation vor.
Freiwillige besorgen die Drohnen
Das Militär äußerte sich nicht zu den Vorwürfen. Andere Aktivisten wie Serhij Sternenko, der Drohnen für die Armee organisiert, griffen die Vorgänge bei der 155. Brigade auf. »Wir haben vor kurzem damit begonnen, ihnen zu helfen, weil die Brigade vom Staat keine Ausrüstung für die elektronische Kriegsführung oder Drohnen erhalten hat«, schrieb er im sozialen Netzwerk X.
Auch er kritisierte die Unentschiedenheit zwischen der Auffüllung bestehender Truppen und der Aufstellung neuer Einheiten: »Warum wurde eine neue Brigade geschaffen, obwohl es einen kritischen Mangel an bestehenden Brigaden gab, nur um sie dann aufzuteilen und die Leute zu den alten Brigaden zu schicken?«
Für das Oberkommando in Kiew sind neue Truppen mit westlichen Waffen und teils auch im Westen ausgebildet zentral zur Verstärkung der ausgezehrten Armee nach fast drei Jahren Krieg. Aber auch offizielle Stellen klagten in den vergangenen Monaten, dass die westlichen Staaten die versprochene Ausrüstung oft nur langsam lieferten.
Ukraine leidet an eigenen Fehlern
Ukrainische Experten führen das stetige Vordringen der russischen Armee im Donbass 2024 mit massiven Geländegewinnen nicht nur auf deren Überlegenheit zurück. Sie sehen auch Führungsversagen, taktische Fehler und mangelnde Koordination in der ukrainischen Armee. Die militärnahen Journalisten und Blogger in der Ukraine zeichnen oft ein Gegenbild zu den offiziellen Lageberichten des Militärs – ähnlich ist es auf russischer Seite.
Neu sind die Probleme mit der Ausbildung ukrainischer Soldaten im Ausland nicht. In Großbritannien, das seit Ende 2022 nach eigenen Angaben bereits knapp 51 000 Ukrainer vorbereitet hat, gab und gibt es immer wieder Beschwerden über das geringe taktische Niveau und die mangelnden Sprachkenntnisse der Ukrainer, die die Ausbildung erheblich erschweren würden.
US-amerikanische und britische Zeitungen berichteten zudem mehrfach vom Unvermögen ukrainischer Kommandeure, die im Ausland ausgebildeten Soldaten an der Front richtig einzusetzen. Männer seien demnach mit dem Versprechen in die Armee gelockt worden, als Drohnenoperator oder Funker relativ sicher hinter der Front eingesetzt zu werden. Nach der Schulung in Großbritannien sollen sie aber direkt in die Schützengräben geschickt worden sein, in denen viele nur wenige Wochen überlebten. dpa/nd
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