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Brandenburger BSW will Raketenabwehr abwehren
Landtagsfraktionschef Niels-Olaf Lüders verweist auf Antrag Sahra Wagenknechts im Bundestag
»Fakt ist: Arrow 3 ist eine Verteidigungswaffe. Aber Fakt ist auch: Arrow 3 ist sinnlos und teuer. Und Fakt ist: Auf Landesebene können wir dieses Raketenabwehrsystem nicht verhindern.« Das betont Brandenburgs BSW-Fraktionschef Niels-Olaf Lüders im Gespräch mit »nd«. Er hat einen triftigen Grund dafür.
»BSW in Brandenburg öffnet Hintertür zur Aufrüstung« – für diese Schlagzeile hatte am 4. November der Bundestagsabgeordnete Christian Görke (Linke) gesorgt. Es war der Tag, an dem die SPD und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ihre Koalitionsverhandlungen starteten. Görke verwies auf das Bekenntnis der beiden Parteien zur Bundeswehr und zum Fliegerhorst Holzdorf, auf dem das Raketenabwehrsystem Arrow 3 stationiert werden soll. Görke kam seither immer wieder auf dieses Thema zurück. Er brachte damit sogar die Regierungsbildung in Gefahr. Denn der BSW-Landtagsabgeordnete Sven Hornauf reagierte mit der Ansage, er könne Dietmar Woidke (SPD) nicht zum Ministerpräsidenten wählen, solange dieser an dem Waffensystem festhalte. Am 11. Dezember ist Woidke im ersten Wahlgang tatsächlich durchgefallen, im zweiten dann aber als Ministerpräsident bestätigt worden.
Niels-Olaf Lüders war an den Koalitionshandlungen beteiligt. Da jedoch Stillschweigen vereinbart war, habe er damals nicht auf die Vorwürfe von Christian Görke reagieren können, sagt er. Nun möchte Lüders einiges klarstellen.
Das im Koalitionsvertrag enthaltene Bekenntnis zur Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr ist so überraschend nicht. Im BSW-Parteiprogramm steht das so drin. »Das, was notwendig ist, um eine Verteidigungsfähigkeit zu erreichen, muss da sein«, erläutert Lüders. Oder anders formuliert: »Die Soldaten müssen anständig ausgerüstet sein, um die verfassungsgemäße Aufgabe der Landesverteidigung erfüllen zu können.« Das schließe aber Abrüstung nicht aus. »Die vergleichsweise kostengünstigste und vernünftigste Verteidigungspolitik ist aber, sich international für einen Ausgleich der Interessen einzusetzen«, sagt der BSW-Fraktionschef.
Was sich gegenwärtig abspiele, gehe doch über die reine Verteidigungsfähigkeit weit hinaus. »Im Moment haben wir es mit Kriegspropaganda und einer gewünschten Kriegstüchtigkeit zu tun. Das ist furchtbar. Das wollen wir nicht.«
Bei Arrow 3 allerdings liegen die Dinge nicht so einfach. Schon als die BSW-Bundesvorsitzende Sahra Wagenknecht den ausgehandelten Koalitionsvertrag lobte und einem Landesparteitag am 6. Dezember die Zustimmung empfahl, äußerte sie sich kritisch zur Tauglichkeit dieses Raketenabwehrsystems. Es sei sehr teuer und gar nicht in der Lage, tieffliegende russische Raketen und Marschflugkörper abzufangen. Das Geld wäre anders besser angelegt, für Bildung beispielsweise.
Nun haben Sahra Wagenknecht und die neun anderen BSW-Abgeordneten im Bundestag beantragt, die Beschaffung des Waffensystems zu stoppen. Die frei werden Mittel – nach jetzigem Stand stolze 3,85 Milliarden Euro – sollen nach ihrem Willen auch nicht in andere Rüstungsprojekte gesteckt, sondern in den zivilen Sektor investiert werden. Die Nato-Staaten sollen mit Russland lieber verhandeln, um gekündigte Verträge zur Abrüstung und zur Beschränkung bei atomaren und konventionellen Waffen »unverzüglich zu reaktivieren«.
Mit diesem Antrag vom 20. Dezember ist das Thema nach Überzeugung von Niels-Olaf Lüders da, wo es hingehört: im Bundestag. Denn der Landtag hat in Verteidigungsfragen wenig bis überhaupt nichts zu melden. Insofern blieb auch die geplante Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland betreffend nicht viel mehr übrig, als in den Koalitionsvertrag mit der SPD hineinzuschreiben, dass Brandenburg eine solche Stationierung kritisch sehe. Dass dies immerhin gelungen ist, halten Lüders und seine Parteifreunde für einen großen Erfolg. Lüders zufolge werden damit jene Kräfte in der SPD gestärkt, die früher schon für Frieden und Verständigung eingetreten sind.
»Fakt ist: Arrow 3 ist eine Verteidigungswaffe. Aber Fakt ist auch: Arrow 3 ist sinnlos und teuer.«
Niels-Olaf Lüders BSW-Fraktionschef
Als russische Truppen 2014 die Krim schon besetzt hatten, aber noch nicht in andere Territorien der Ukraine eingedrungen waren, hatte Ministerpräsident Woidke immer wieder das Säbelrasseln an den russischen Grenzen beklagt. Später hatte sich seine Finanzministerin Katrin Lange (SPD) über die Sanktionen gegen Russland beschwert, weil diese nicht Russland, sondern der brandenburgischen Wirtschaft schadeten. Sie rügte folgerichtig auch das seit Anfang 2023 geltende Importverbot für russisches Erdöl, das die PCK-Raffinerie in Schwedt in Schwierigkeiten brachte. Dergleichen sorgte beim ukrainischen Botschafter und innerhalb der SPD für Verstimmung. Doch Lange blieb sich treu. Inzwischen ist sie Innenministerin.
Vielleicht könne die SPD insgesamt zu einem Sinneswandel bewegt werden, hofft Niels-Olaf Lüders. Man habe unterschiedliche Auffassungen zu außenpolitischen Fragen. Das halte aber nicht davon ab, in Brandenburg gemeinsam Politik zu machen. »Wir gelten zu Recht als pragmatisch, sach- und lösungsorientiert«, sagt Lüders, der bis 2023 der Linken angehörte, über seine neue Partei. Auch halte der Koalitionsvertrag das BSW nicht davon ab, zu sagen, was es denke. Friedenspolitisch habe das BSW durchgesetzt, dass sich Brandenburg im Dezember im Bundesrat bei den Abstimmungen über die Entsendung einer deutschen Brigade nach Litauen und zur Einführung einer Wehrpflicht light enthalten habe. »Das BSW macht hier den entscheidenden Unterschied, dass Brandenburg solche Vorhaben nicht mehr unterstützt«, erklärt Lüders.
Wie in bisher jedem anderen Koalitionsvertrag findet sich jedoch auch in diesem eine Vereinbarung, die ein Abstimmen im Landtag mit wechselnden Mehrheiten verbietet. Anders lasse sich eine Regierungszusammenarbeit auch schwer organisieren, gesteht der BSW-Fraktionschef zu. Er macht aber keinen Hehl daraus, dass seine Partei sich prinzipiell einen anderen Umgang mit Vorschlägen der Opposition wünschen würde.
Zum Koalitionsvertrag ist kritisch angemerkt worden, dass die Bundeswehr jetzt an Schulen werben dürfe, wenn auch nicht während des Unterrichts. Das wurde so verstanden, dass das BSW den Werbeoffizieren den Zugang zu Schülern erleichtert. Tatsächlich durften die Offiziere bisher sogar im Unterricht auftreten, wenn die Schulen sie eingeladen haben, sagt Lüders. Hier sorge der Koalitionsvertrag also für eine Einschränkung. Es werde nun auch verlangt, dass die Schüler eine Gegenposition hören – etwa indem auch ein Pazifist eingeladen wird.
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