Protestbewegung in Martinique: Aufstand gegen das »teure Leben«

Anwalt Max Bellemare über die Protestbewegung in Martinique und ihren Anführer Rodrigue Petitot

  • Interview: Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.
Rodrigue Petitot (Mitte) bei einer Demonstration gegen die hohen Lebensmittelpreise
Rodrigue Petitot (Mitte) bei einer Demonstration gegen die hohen Lebensmittelpreise

Im französischen Überseedépartement Martinique treiben die hohen Lebensmittelpreise die Menschen auf die Straßen. Seit einigen Monaten ruft die Protestbewegung RPPRAC (Rassemblement pour la Protection des Peuples et des Ressources Afro Caribéens – Bewegung zum Schutz der afrokaribischen Völker und seiner Ressourcen) zu Demonstrationen auf. Zuweilen kommt es zu Straßenschlachten. Der Kopf der Bewegung, Rodrigue Petitot, ist derweil im Gefängnis. Sie sind sein Anwalt, wie ist die Situation Ihres Klienten?

Er ist in Untersuchungshaft und wartet auf die Gerichtsverhandlung, die am 21. Januar stattfinden soll. Das Gericht befürchtet, dass er sich der Kontrolle der Sicherheitsorgane entziehen und weitere Gesetzesverletzungen begehen könnte. Wir aber denken, dass er lediglich Gebrauch von seinen Grundrechten gemacht hat, dem Recht auf freie Rede. Doch er stört damit viele, denn er sagt die Wahrheit, sagt, dass das Leben auf Martinique sehr teuer ist, dass die Preise zu hoch sind, dass eine Monopolsituation herrscht und dass man das Problem lösen könnte, indem man die Unternehmen zwingt, die Gewinnmargen zu senken, damit die Preise sinken.

Interview

Max Bellemare arbeitet als Anwalt für Zivil- und Strafrecht in der Hauptstadt Fort-de-France des französischen Über­see­départements Martinique. Oft verteidigt er Arbeitnehmer, die gegen ihre Entlassung klagen. Aktuell ist er einer der drei Ver­tei­di­ger von Rodrigue Petitot, Kopf der Bewegung zum Schutz des afrokaribischen Volkes und seiner Ressourcen.

Der Vorwurf gegen Ihren Klienten lautet Bedrohung eines Vertreters der Staatsgewalt. Was genau ist da geschehen?

Ihm wird vorgeworfen, dass er sich gemeinsam mit anderen gewaltsam Zugang zur Residenz des Präfekten verschafft haben soll, wo sich Jean-François Carenco, Frankreichs Minister für die überseeischen Gebiete aufhielt. Wir gehen aber davon aus, dass sie eingeladen waren. Wir sind auch überrascht, dass mit einer derartigen Vehemenz reagiert wurde. Die Probleme gibt es nämlich schon länger. Bereits 2009 kam der damalige Präsident Sarkozy nach Martinique, um sich die verschiedenen Seiten anzuhören. Jetzt verweigert der Minister schon ein Treffen, das die Vertreter der Bewegung RPPRAC gefordert haben.

Es gab bereits einen Runden Tisch, um über niedrigere Preise zu verhandeln. Wie waren da die Ergebnisse?

Ja, es kamen die Vertreter von den großen Handelsketten, die Abgeordneten, der Präfekt und auch Vertreter der Bewegung zusammen. Das Ergebnis wurde von der RPPRAC jedoch nicht akzeptiert und nicht unterschrieben, denn es wurden nur 3000 einzelne Artikel aufgenommen. Das reicht aber nicht. Es müssten 30 000 oder 40 000 sein.

Wie hoch ist überhaupt der Preisunterschied im Vergleich zu – vermeiden wir mal das teure Paris – Lyon, Brest oder Nantes?

Die Unterschiede sind groß, manchmal betragen sie sogar das Drei- oder Vierfache. Auch der Staat erkennt das ja an. Jeder Funktionär, der hierher auf die Insel kommt, erhält zum Ausgleich für das »teure Leben« eine Zusatzzahlung von 40 Prozent, und das eben, weil man davon ausgeht, dass das Leben hier um 30 bis 40 Prozent teurer ist. Das Gros der Bevölkerung erhält diese Prämie aber nicht.

Betrachten Sie Rodrigue Petitot als einen politischen Gefangenen?

Ja, wir als Anwälte sehen das als politische Gefangennahme. Denn hier reagiert das Strafrecht auf ein politisches Problem. Wir halten das für exzessiv. Ja, es gab die Aufforderung, die Rathäuser zu attackieren. Dabei ging es aber nicht um Attacken mit einer Kalaschnikow, sondern um eine Veränderung in der Politik. Es gäbe auch andere juristische Wege. Man könnte Hausarrest gegen Herrn Petitot verhängen, inklusive der Kontrolle durch eine elektronische Fußfessel.

Was raten Sie Rodrigue Petitot politisch? Sollte er eine Partei gründen und an den nächsten Wahlen teilnehmen?

Ja, genau das sollte er tun. Die Veränderung einer Gesellschaft erreicht man durch Revolutionen oder durch Wahlen. Revolution bedeutet Blutvergießen. Besser ist es also, über Wahlen und Demonstrationen eine Verbesserung zu erzielen.

Wie groß ist die Bewegung momentan?

Das ist schwer einzuschätzen. Geht man von den Demonstrationen aus, sind es 2000 bis 3000 Menschen. Wenn ich danach gehe, wie viele Menschen mich auf der Straße in Fort-de-France (Hauptstadt, 75 000 Einwohner, d. Red.) ansprechen, damit ich Botschaften an Herrn Petitot übermittle, dann sind es viel mehr. Sie kommen aus allen sozialen Schichten, allen Altersgruppen. Was man schon sagen kann: Allein die Zahl der Unterstützer bei den Demonstrationen übertraf die der Wähler einzelner Abgeordneter bei der vergangenen Wahl.

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