Bundesweit Tausende Taser-Einsätze

Behörden sehen bei zehn Todesfällen keinen Zusammenhang, ermittelt wird aber noch zu Ibrahim Barry

Polizisten demonstrieren den Einsatz eines Tasers. In vielen Fällen funktioniert die Waffe aber nicht.
Polizisten demonstrieren den Einsatz eines Tasers. In vielen Fällen funktioniert die Waffe aber nicht.

In Deutschland nutzt die Polizei seit der Jahrtausendwende sogenannte »Distanzelektroimpulsgeräte«. In Baden-Württemberg, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt sind ausschließlich Spezialeinheiten damit ausgestattet. In den anderen Bundesländern werden die als Taser bezeichneten Geräte schrittweise auch im Streifendienst eingeführt. Damit normalisiert sich eine vergleichsweise neue Waffe, die von der Polizei gern als nicht-tödliche Alternative zur Pistole bezeichnet wird.

Wo sie bereits im Polizeialltag vorhanden sind, werden Taser auch immer öfter eingesetzt, wie eine dpa-Umfrage für das Jahr 2024 jüngst ergab. Allerdings werden dort nur Zahlen ohne das vierte Quartal verzeichnet. Genauere Daten erhielt das »nd« über Informationsfreiheitsanfragen für 2023 aus den Bundesländern. Daraus geht hervor: In über zwei Dritteln aller Fälle genügte die Androhung von Schüssen.

In Nordrhein-Westfalen, dem bevölkerungsreichsten Bundesland, wurden Taser in 1348 Fällen gezogen, davon waren 1087 reine Androhungen. In Rheinland-Pfalz kam es zu 393 Einsätzen, davon 335 Androhungen. Im Saarland gab es 31 Taser-Einsätze, wobei 15 Mal der bloße Anblick genügte. Bayern meldete für 2023 insgesamt 102 Einsätze, auch dabei reichte meist die Drohung. Die Polizei in Brandenburg zog ihre Taser 2023 in 252 Fällen.

Taser schießen mit hohem Gasdruck zwei Elektroden ab, die an Drähten befestigt sind und sich wenige Millimeter unter die Haut bohren. Ihre Reichweite gibt der US-Hersteller Axon mit sieben Metern an. Sofern beide Pfeile treffen, ruft ein Stromimpuls von bis zu 50 000 Volt eine Muskelverkrampfung bei dem Opfer hervor. Im »Kontaktmodus« wird der Taser ohne Abschuss der Pfeile direkt an den Körper der Zielperson gehalten. Für die bloße Einschüchterung sorgt ein Lichtbogen zwischen den Elektroden des Tasers sowie ein Laser, mit dem auf die Person gezielt wird.

Zuerst hatte 2018 Rheinland-Pfalz Taser im Polizeivollzug eingeführt, es folgten Hessen, Nordrhein-Westfalen, das Saarland und Brandenburg und bald Schleswig Holstein. In Bremen bleiben sie weiter Spezialkräften vorbehalten, nach einem Pilotprojekt soll aber auch die reguläre Polizei ausgerüstet werden – in Bremerhaven ist dies schon umgesetzt. In Bayern steht die Waffe allen »geschlossenen Einheiten« zur Verfügung, die Ausweitung auf den Streifendienst wird seit Jahren diskutiert. In Hamburg und Berlin steht dies nach einem mehrjährigen Test bevor. In der Hauptstadt erprobt zudem die Bundespolizei den Taser-Einsatz an derzeit vier Direktionen.

Die zahlenmäßig meisten Taser gibt es derzeit wohl in Nordrhein-Westfalen. Nach Abschluss eines Pilotprojekts und einer Koalitionsvereinbarung von CDU und Grünen wurden ab 2022 mindestens 1360 Geräte beschafft, die Gesamtkosten betragen inklusive Training 8,5 Millionen Euro.

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Nicht jeder Beschuss mit den Taser-Pfeilen führt zur Lähmung des Opfers. Rheinland-Pfalz gibt für 2023 an, dass von den 393 Einsätzen 55 nicht erfolgreich waren und nennt als Gründe »Fehlfunktion/ Fehlschuss/ Kleidung/ Sonstiges«.

Ohne Risiko ist die Waffe auch aus Polizeisicht nicht; bei Älteren, Schwangeren und Menschen mit gesundheitlichen Problemen kann sie tödlich sein und soll deshalb nicht eingesetzt werden. Allerdings erweist sich die Regel als nutzlos, denn Vorerkrankungen der Betroffenen sind der Polizei in den allermeisten Fällen vor dem Einsatz nicht bekannt.

Ein im November im Düsseldorfer Landtag vorgestelltes Gutachten für den Taser-Einsatz bilanziert, gesundheitliche Folgeschäden seien »insgesamt selten und meist weniger schwer als zum Beispiel nach dem Einsatz von Schusswaffen, können aber vorkommen«. Meistens geht der Beschuss tatsächlich nur mit Blessuren einher, verzeichnet werden etwa oberflächliche Hautverletzungen durch die Elektroden. Verletzungen erfolgen aber auch durch einen Sturz nach der Lähmung.

Die Bundesländer sind gehalten, diese Zahlen jährlich an die Deutsche Polizeihochschule zu schicken. Rheinland-Pfalz nennt dazu für das Jahr 2023 bei 393 Einsätzen 162 »oberflächliche Hautverletzung durch Pfeile/ Elektroden«, 27 durch »Sturz« und drei durch »Strom«. Die Polizei in Nordrhein-Westfalen verzeichnet in jedem elften Fall eine Verletzung durch »Sturzfolgen«.

Ohne Risiko ist die Waffe auch aus Polizeisicht nicht; bei Älteren, Schwangeren und Menschen mit gesundheitlichen Problemen kann sie tödliche Folgen haben.

Seit 2018 hat die Zeitschrift CILIP/Bürgerrechte und Polizei zehn Tote nach Taser-Beschuss registriert, davon je einen in Bayern und Niedersachsen, zwei in Hessen, drei in Rheinland-Pfalz und drei in Nordrhein-Westfalen. Die meisten Vorfälle ereigneten sich in Wohnhäusern, häufig bei Personen in psychischen Ausnahmezuständen oder unter Drogeneinfluss. Anders als die Zählung durch die CILIP wird die Todesursache von den Behörden aber in keinem der Fälle offiziell den »Distanzelektroimpulsgeräten« zugeschrieben. Die Opfer starben demnach an Herz- oder Kreislaufstillstand oder Organversagen.

Noch nicht abgeschlossen sind die Todesermittlungen zu Ibrahima Barry, der vor einem Jahr in Mülheim nach einem Polizeieinsatz in seiner Flüchtlingsunterkunft im Krankenhaus starb. Ein Polizist hatte zwei Pfeilschüsse abgegeben, angeblich weil sich Barry »erheblich gewehrt« habe. Laut der »WAZ« ist die Staatsanwaltschaft auch hier der Ansicht, dass das Opfer nicht am Taser starb. Ein erstes toxikologisches Gutachten soll jedoch ergeben haben, dass Barry beim Tasern unter akutem Kokain-Einfluss stand. Auch habe er eine COPD-Erkrankung sowie eine rechtsseitig muskelkräftige Belastung des Herzens gehabt. Laut Ermittlungsbehörde soll eine Notärztin Barrys Zustand nach dem Einsatz »zunächst als stabil eingeschätzt« haben. Im Rettungswagen, der den Guineer in eine psychiatrische Einrichtung bringen sollte, sei es zum Herzstillstand gekommen.

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