Cannabis aus der Apotheke

In Uruguay hat der Staat durch die Legalisierung an Kontrolle gewonnen

  • Jürgen Vogt
  • Lesedauer: 6 Min.
Ganz legal: Ein Angestellter in einem Gewächshaus für Marihuana-Pflanzen. Bob Marley ist immer dabei.
Ganz legal: Ein Angestellter in einem Gewächshaus für Marihuana-Pflanzen. Bob Marley ist immer dabei.

In der »Farmacia Silleda« im Osten von Uruguays Hauptstadt Montevideo herrscht geruhsamer Normalbetrieb. »Wenn dienstags die Cannabis-Päckchen geliefert werden, geht es hier ganz anders zu«, sagt Apothekenbesitzerin Cecilia Fernández. Die »Farmacia Silleda« ist eine von fünf Prozent der Apotheken in dem kleinen südamerikanischen Land, die Cannabis verkaufen. Ein offizieller Aufkleber am Schaufenster weist darauf hin.

Als 2017 der Cannabisverkauf begann, wurden Horrorszenarien skizziert: Drogenzombies würden die Apotheken stürmen, Stammkunden in Scharen weglaufen und Banden die Apotheken überfallen. »Wir sind von Anfang an dabei und die Wahrheit ist, es war nie so und nie ist etwas passiert«, sagt Fernández. Im Gegenteil, Cannabiskonsumenten seien Kunden wie alle anderen auch, und selbst der konservativste Stammkunde sei ihnen treu geblieben.

Variante Gamma begeistert die Konsumenten

Jeder registrierte Konsument kann zwei Päckchen pro Woche kaufen, was durch den Abgleich des Fingerabdrucks mittels eines kleinen Scanners gleich neben der Kasse kontrolliert wird. »Die Variante Gamma mit 15 Prozent THC ist der klare Favorit, Alpha und Beta haben einen maximalen THC-Gehalt von neun Prozent«, sagt sie. Bald soll es auch die Variante Ypsilon mit 18 Prozent THC geben. »Die Leute sind ganz erwartungsvoll und fragen schon dauernd nach«, sagt Cecilia Fernández und wendet sich einem Kunden zu.

»Was uns wirklich zu schaffen macht, ist die geringe Menge, die jede Woche geliefert wird«, erklärt die Apothekerin. »Seit es die Variante Gamma gibt, kommen wieder mehr Konsumenten«, sagt sie. Auf dem Tresen liegen jetzt drei Päckchen der verschiedenen Varianten. Jedes Päckchen enthält fünf Gramm und kostet umgerechnet elf Dollar. Mit 2,25 Dollar pro Gramm ist das Cannabis aus der Apotheke zwar teurer als das gepresste Marihuana auf dem illegalen Markt. Aber der Qualitätsunterschied ist enorm.

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Die Busfahrt von Montevideo nach Florida dauerte etwas mehr als eine Stunde. In der 33 000 Einwohner zählenden Kleinstadt lebt Julio Rey, Uruguays wohl bekanntester Vorkämpfer für die Legalisierung von Cannabis. »Dass wir heute offen und frei darüber reden können, ist dem Gesetz zu verdanken«, sagt er. Und es ist ein Erfolg, dass es Cannabisblüten zu kaufen gibt und niemand mehr gezwungen ist, den Mist vom Schwarzmarkt zu rauchen, für den die Pflanze mit Stängeln, Wurzeln, Blättern und Blüten geschreddert und gepresst wird. Als Selbstanbauer darf er sechs weibliche Pflanzen haben, die gleichzeitig blühen dürfen. Das reicht ihm für seinen Eigenbedarf. »Aber wenn ich dir jetzt meinen Joint anbiete und du ihn rauchst, begehen wir beide noch immer eine Straftat«, fügt er hinzu und inhaliert. Dafür wandern noch immer Leute ins Gefängnis. Die Mentalität, Marihuana müsse bekämpft werden, ist auch zehn Jahre später nicht verschwunden und die entsprechenden Strafgesetze nicht geändert.

Werbung für Cannabisclubs ist verboten

In Florida gründete Rey mit Freund*innen vor zehn Jahren mit großen Hoffnungen den Cannabisclub »La Hoja Roja« (Das Rote Blatt). 18 Monate später lösten sie ihn auf. Die Sicherheitsvorkehrungen, die begrenzte Mitgliederzahl, die hohen Fixkosten und vor allem die geringe Bereitschaft, sich zu engagieren, führten zum Ende. Viele hatten kein Interesse am aktiven Mitmachen und wollten nur ihren monatlichen Cannabis-Anteil abholen. »Unter Vereinsleben stelle ich mir etwas anderes vor«, sagt Rey. Und das »Rote Blatt« ist kein Einzelfall. Die meisten Clubs haben heute einen Unternehmer-Eigentümer und professionelle Mitarbeiter, während die Mitglieder meist keine Ahnung vom Anpflanzen, Züchten und Ernten haben. Und bei all den anfallenden Kosten ist die Mitgliedschaft teuer. »Die Clubs sind definitiv nichts für arme Leute«, sagt er.

Hinweise und Werbung für Cannabisclubs sind verboten, ebenso wie Websites und Social-Media-Auftritte. »Im Umkreis von 150 Metern darf es keine Einrichtung für Minderjährige geben, keine Schule, keinen Kindergarten, keine Sportanlage oder Spielplatz«, sagt Hausbesitzer Gustavo Garrido. »So etwas findet man in Montevideo kaum«, fügt er hinzu. Die meisten der rund 300 Cannabisclubs in Uruguay befinden sich daher am urbanen Rand oder in ländlicher Gegend. Garrido hatte Glück. Nach einem gründlichen Check der Nachbarschaft stand fest: In dem von seiner Tante geerbten Haus kann ein Club eingerichtet werden. Vor drei Jahren legte er mit einigen Partnern los. Sie rissen Wände ein, mauerten Fenster zu, verlegten stärkere Elektrokabel für Heizung, Klimaanlage, Lüftung und Licht und ergriffen Sicherheitsmaßnahmen gegen Einbrüche von außen, wie etwa Elektrodraht.

Von außen verrät nichts, dass das einstöckige Haus einen Cannabisclub beherbergt. Auch der Elektrodraht oben auf den hohen Eisengittern fällt beim Spaziergang durch das Mittelklasseviertel von Montevideo nicht auf. »Das ganze Viertel weiß, dass hier ein Cannabisclub ist«, sagt Gustavo Garrido. Die Klischees von angelockten Dealern oder Drogensüchtigen kamen gar nicht erst auf. »Niemand hat sich jemals beschwert oder verlangt, dass wir gehen sollten«, sagt er. Am Anfang kamen manchmal Nachbarn und fragten, ob sie etwas kaufen können. »Seitdem sich herumgesprochen hat, dass da nichts geht, kommt keiner mehr.« Nichtmitgliedern ist der Zutritt per Gesetz untersagt.

Cannabis-Legalisierung

Uruguay ist das erste Land, das den legalen Anbau, Verkauf und Verbrauch von Cannabis staatlich reguliert hat. Seit April 2014 ist das »Gesetz zur staatlichen Kontrolle und Regulierung von Import, Export, Anbau, Ernte, Produktion, Vermarktung und Vertrieb von Marihuana« in Kraft. Seither können volljährige Konsumenten eine von drei Möglichkeiten wählen: den Kauf in einer Apotheke, den Eigenanbau oder die Mitgliedschaft in einem Verein. Egal welche Möglichkeit gewählt wird, die Registrierung bei der eigens geschaffenen Behörde IRCCA (Instituto de Regulación y Control del Cannabis) ist Pflicht. Konsumenten dürfen bis zu zehn Gramm pro Woche in den eigens dafür zugelassenen Apotheken kaufen. Selbstanbauer dürfen bis zu sechs weibliche Pflanzen für den Eigenkonsum besitzen. Ein Cannabisclub muss mindestens 15 und darf nicht mehr als 45 Mitglieder haben sowie höchstens 99 weibliche Pflanzen anbauen. jvo

»Was den Cannabisanbau angeht, bin ich Autodidakt«, sagt der 45-jährige Techniker, den jeder Club einstellen muss. Dass er Agrartechnik studierte, hatte eher mit seinem Interesse an Pflanzen im Allgemeinen zu tun. Er erwarb einen technischen Abschluss in Hydrokultur und anschließend ein Diplom in medizinischem Cannabis an der Nationalen Universität von Bogotá in Kolumbien. Vor acht Jahren ließ er sich als Selbstanbauer registrieren und wurde durch das Versuch-und-Irrtum-Prinzip zu einem erfahrenen Anbauexperten.

Im fensterlosen Blühraum summt die Lüftung. Von der Decke strahlen LED-Lampen. Die Luft ist geruchslos, fast steril. Spezielle Filter sorgen dafür, dass vor allem nichts nach draußen dringt. Halbhoch verlaufen weiße Rohrreihen, darin sind in kurzen Abständen die Hydrokulturtöpfe eingelassen. Ein über ein Meter hohes Dickicht aus 99 Pflanzen nimmt den Raum ein. An deren Spitzen beginnen die Blüten auszutreiben. »Zwölf Stunden Tag und zwölf Stunden Nacht, mit diesem Rhythmus schaffen wir vier Ernten im Jahr«, sagt er.

Wenn unten geerntet wird, werden oben im Vegetationsraum schon die neuen Pflanzen vorbereitet, erzählt er und geht die Treppe ins erste Stockwerk hinauf. Auch die Jungpflanzen wachsen in Hydrokultur heran, versorgt mit dem für ihr Wachstumsstadium entsprechenden Wasser- und Mineralstoffmix. »Heute gibt es fast nur noch Hybridsorten aus den Cannabisarten Indica und Sativa mit Fantasienamen wie 24K oder OG, das sich Ouuschie spricht«, lacht er. »Auch wenn wir als eingetragener Verein keine Steuern zahlen müssen, geht alles in die Fix- und Lohnkosten.« Wie viel die 45 eingetragenen Mitglieder monatlich für ihren 40-Gramm-Anteil zahlen, will er nicht sagen. »Wenn wir 200 oder 300 Personen in einem Club aufnehmen könnten und jedes Mitglied zwischen 5, 10 oder 20 Gramm Abnahme wählen könnte, wäre das eine erheblicher Fortschritt«, sagt Gustavo Garrido.

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