Vierschanzentournee: Austrias Hollywood-Finale

Die filmreife Vorstellung der Österreicher beim weltweit größten Skisprung-Event lässt die Konkurrenz grübelnd zurück

  • Lars Becker, Bischofshofen
  • Lesedauer: 4 Min.
Österreichs »drei Musketiere« Jan Hörl (l.), Stefan Kraft (M.) und Daniel Tschofenig standen in Bischofshofen erneut gemeinsam auf dem Podest.
Österreichs »drei Musketiere« Jan Hörl (l.), Stefan Kraft (M.) und Daniel Tschofenig standen in Bischofshofen erneut gemeinsam auf dem Podest.

Deutschlands Skispringer grübelten nach dem unglaublichen Hollywood-Finale der 73. Vierschanzentournee über die Geheimnisse von Österreichs Flugstars. »Auch die anderen Nationen sind am Denken: Wie kommen wir wieder an die Österreicher ran?«, kommentierte Bundestrainer Stefan Horngacher, nachdem der Traum vom ersten deutschen Tourneesieg seit 23 Jahren krachend gescheitert war. »Wir sind nicht allein als Jäger.«

Wie alle anderen sind die Deutschen zurzeit völlig chancenlos gegen die Austria-Adler, obwohl Pius Paschke als Topfavorit und Gesamtweltcup-Spitzenreiter in das weltweit größte Skisprung-Event gegangen war. Beim Tournee-Finale in Bischofshofen kamen fünf der besten Sieben aus Österreich. Elf von zwölf möglichen Podestplätzen bei den vier Springen in Oberstdorf, Garmisch-Partenkirchen, Innsbruck und Bischofshofen für Team Austria sind genauso ein neuer Rekord in der Tournee-Geschichte wie die 1194,4 Punkte von Überraschungssieger Daniel Tschofenig.

Vor allem die Norweger witterten wegen dieser außergewöhnlichen Überlegenheit Betrug durch vermeintliche »Wunderanzüge«. Die Österreicher antworteten mit Blick auf die bei jedem Springen mehrfach stattfindenden Anzugkontrollen mit einem Lächeln und nahmen den Rest der Skisprungwelt auf die Schippe. Beim Springen in Innsbruck wurden plötzlich die Bindungen aller Österreicher nach der Landung verhüllt. Das heizte die Schummel-Spekulationen bei den chancenlosen Konkurrenten weiter an. Doch bisher gab es keine Hinweise auf einen verbotenen Vorteil.

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Dafür reihte sich das Versteckspiel hervorragend in die oscarreif inszenierte Flugshow der Österreicher bei dieser Tournee ein. Zum Aufwärmen vor den Springen spielten die »drei Musketiere« Daniel Tschofenig, Jan Hörl und Stefan Kraft ganz cool gemeinsam an der Tischtennis-Platte. Unmittelbar vor den Flügen klatschte sich das Trio mit einer eigens ausgedachten Choreografie ab. Und nach den Siegen gab es Eierlikör, zusammengebraut von Krafts Ehefrau Marisa – allerdings nicht für Tournee-Champion Tschofenig. »Ich trinke keinen Alkohol«, erklärte der 22-Jährige nach dem Finale. Stattdessen verbrachte er die meiste Zeit auf der Siegesparty mit seiner Freundin, der Skisprung-Weltmeisterin Alexandria Loutitt aus Kanada.

Liebe spielte also auch noch eine Rolle in diesem Tournee-Film. Das Sprung-Finale vor der Feier war dafür eher ein Hitchcock-Thriller. Skiflug-Weltrekordler Stefan Kraft, der vor einem Jahrzehnt den letzten österreichischen Tournee-Sieg gefeiert hatte, musste wegen wechselnder Windverhältnisse als letzter Springer oben auf dem Balken ewig warten. Steif und nicht mehr spritzig genug landete er zu früh und der nur als Dritter ins spannendste Finale aller Zeiten gegangene Tschofenig war plötzlich der gefeierte Gewinner. Mit winzigen 77 Zentimetern Vorsprung sicherte sich der Jungstar die 100 000 Schweizer Franken vor Teamkollege Jan Hörl. Topfavorit Kraft blieb nur Platz drei auf dem österreichischen Siegerpodest.

»Der goldene Adler wollte einfach nicht zu mir kommen. Fair war das nicht, weil ich wegen der schlechten Windbedingungen einen anderen Wettkampf als die anderen gehupft bin«, meinte ein bitter enttäuschter Kraft, fügte aber hinzu: »Für uns als Nation haben wir etwas Besonderes geleistet, das war eine Megashow.«

Genau das ist das wohl wichtigste Erfolgsgeheimnis der Österreicher in dieser spektakulären Sportart, in der so viel im Kopf entschieden wird. In den zehn nervenaufreibenden Tournee-Tagen vor insgesamt 120 000 Fans in den Stadien und Abermillionen am Bildschirm sind »Rampensäue« gefragt. Und keine ängstlichen Flieger wie die Deutschen, die während der gesamten Tournee einen verzagten Eindruck hinterließen. »Natürlich wollten wir mit dem Weltcup-Führenden im Team und guten Vorleistungen endlich die Vierschanzentournee gewinnen. Aber wir sind dann in eine Überspannung reingekommen«, konstatierte Chefcoach Horngacher ernüchtert.

Kein einziger Podestplatz in vier Springen, Rang neun beim Finale für den besten Deutschen Andreas Wellinger hinter fünf Österreichern und Platz sechs für Pius Paschke in der Gesamtwertung mit umgerechnet über 33 Metern Rückstand auf Gesamtsieger Tschofenig: Das deutsche Tournee-Ergebnis glich vor allem mit Blick auf die Ausgangsposition einem Debakel. »Ich habe viel gelernt. Es war eine neue Situation für mich, als Favorit in die Tournee zu gehen. Ich habe teilweise nicht den richtigen Zugang gefunden«, sagte ein enttäuschter Paschke nach dem Finale.

Andreas Wellinger, im vergangenen Jahr noch knapp geschlagen Tournee-Zweiter und diesmal nur auf Platz elf, hofft jetzt auf eine Revanche bei der Ende Februar beginnenden WM im norwegischen Trondheim: »Wir wissen, dass wir besser Skispringen können. Aber wir werden es nicht erzwingen können.« Deshalb muss Deutschland mindestens bis zum nächsten Winter auf den ersten Tournee-Gesamtsieg seit dann 24 Jahren warten.

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