JVA Tegel: Aus dem Innern einer Blackbox

Mangel an Ärzten, Personal und Telefonen: Der Häftling Andreas Krebs berichtet von Missständen in der Teil-Anstalt II in Berlin

In der Justizvollzugsanstalt Tegel gibt es für viele Insassen nur ein Flurtelefon, um mit der Außenwelt in Kontakt zu treten.
In der Justizvollzugsanstalt Tegel gibt es für viele Insassen nur ein Flurtelefon, um mit der Außenwelt in Kontakt zu treten.

Menschen im Gefängnis haben keine Lobby. »Sie können sich nicht informieren, bekommen im Knast nichts mit, können keine Petitionen schreiben und stehen in der Gesellschaft ganz unten«, beschreibt es der Strafverteidiger Jannik Rienhoff im Interview mit »Netzpolitik«. Umso schwerer ist es für Insassen die Öffentlichkeit über Missstände aufzuklären. Andreas Krebs, Gefangener in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel hat dies jüngst getan – in einem Brief an die Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU).

»Als Vertrauensperson der Inhaftierten der Teilanstalt II in der Justizvollzugsanstalt Berlin Tegel und als Ansprechpartner, möchte ich im Namen aller einige Missstände vortragen, Problematiken, welche auch den Vollzugsablauf betreffen und leider von Seiten der höheren Ebene der Anstaltsleitung ignoriert werden«, schreibt Krebs in einem Brief, den er mit anderen Gefangenen am 27. Dezember an die Senatsverwaltung für Justiz geschickt hat. Krebs listet acht Punkte auf, um zu erläutern, warum die Teilanstalt II sowohl für Insassen als auch Beamte ein problematischer Ort ist.

Wer im Gefängnis sitzt, hat ein Recht auf Kontakt zur Außenwelt. In Tegel geht das nur über den Telekommunikationsservice Telio. Weltweit über 300 000 Insassen in 20 Ländern und fast alle Gefängnisse in Deutschland nutzen Technik des Hamburger Unternehmens mit Monopolstellung. Die IT-Expertin Lilith Wittmann hatte in einer Recherche im Sommer 2024 massive Sicherheitslücken bei Telio aufgedeckt: Mehr als eineinhalb Jahre standen Daten von Telefonaten offen im Netz, die Insassen mit der Außenwelt geführt hatten. Was Wittmann darüber hinaus recherchierte: 20 Prozent der Insassen in deutschen Gefängnissen haben keinen Zugang zu einem Telefon, 52 Prozent nur zu einem Flurtelefon.

Genau solch eines nutzte Andreas Krebs, um in Kontakt mit »nd« zu treten. Dafür stand er lange in der Schlange. In letzter Zeit sei es vermehrt zu Auseinandersetzungen unter den Inhaftierten gekommen. Krebs schreibt, dass mit Ausnahme einer Station alle Stationen in der Teilanstalt II mit insgesamt 380 Haftplätzen nur über jeweils ein Telefon auf dem Flur verfügen. »Gerade für Gefangene mit Migrationshintergrund, deren Familien im Ausland wohnen, stellt dies noch ein viel größeres Problem dar, da die meisten keinen Besuch erhalten und auf ein Telefon angewiesen sind«, schreibt Krebs. So werde der illegale Handyhandel nicht enden. »Und natürlich nicht zu vergessen die Personen, welche die Handys mit Zubehör in die Haftanstalt schmuggeln und sich damit eine goldene Nase verdienen«, ergänzt er.

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Im Gefängnis besteht Arbeitspflicht. Wer nicht arbeiten kann, bekommt laut Wittmann monatlich 44,50 Euro Taschengeld. Wer arbeitet, kann laut ihrer Recherche maximal 185,35 Euro im Monat verdienen. Durchschnittlich zahlten Gefangene in Deutschland jeden Monat 36 Euro an Telio, um telefonieren zu können. Alle Inhaftierten hätten seit Monaten »sehr große Schwierigkeiten mit der Zahlstelle in der Justizvollzugsanstalt Tegel«, schreibt Krebs. Aus- und eingehende Zahlungen würden spät gebucht, und »wenn ein Gefangener von seinem Eigengeld eine Buchung auf sein Teliokonto veranlassen möchte, dauert es über einen Monat, bis es veranlasst und auf seinem Teliokonto gutgeschrieben wurde«, heißt es in dem Brief. Daueraufträge würden ebenfalls nicht mehr eingehalten, sodass Betroffene unter anderem in Schwierigkeiten mit Gläubigern kämen.

Nicht nur der Zugang zur Außenwelt und zur Zahlstelle sei für die Gefangenen in der Teilanstalt II mangelhaft. »Die Duschen, auf den jeweiligen Stationen, gerade im B-Flügel, sind extrem unhygienisch und werden nicht regelmäßig sauber gemacht.« Der Speiseplan »liest sich zwar schön«, wie Krebs sagt. Das Essen sei jedoch ungenießbar, weshalb Gefangene mit dem wenigen Geld, das ihnen zur Verfügung steht, teure Lebensmittel kauften und selbst kochen. »Da fängt die Moral an«, sagt Krebs über die Bedeutung des Essens im Knast. Es könnte als Referenz auf Bertolt Brechts berühmtes Zitat gemeint sei: »Erst kommt das Fressen, dann die Moral.«

Andreas Krebs versucht seine Moral aufrechtzuerhalten. Doch er hat Nierenkrebs und erlitt am 15. November einen Schlaganfall. An dem Tag wurde er ohnmächtig in seiner Zelle gefunden. Drei Monate habe er sich krankgemeldet, ohne dass ein Arzt ihn besucht hätte – dies sei kein Einzelfall. »Die Arztgeschäftsstelle interessiert es nicht, ob der Gefangene wirklich krank ist, oder nicht arbeiten möchte«, schreibt Krebs.

Über die Situation in der Anstalt spreche er nicht nur mit den Gefangenen, sondern auch mit den Beamten. Dabei hätten diese Überlastung beklagt. »Teils haben Gefangene gar keinen Ansprechpartner«, sagt Krebs. Er bezeichnet die Teilanstalt in diesem Zusammenhang als »Pulverfass«. Die Leitung sei nur noch bemüht, »dass die Lunte kein Feuer fängt«. Beamte, die um guten Umgang mit den Gefangenen bemüht seien und sogar zum Teil guten Kontakt zu den Inhaftierten hätten, »können nur noch ohnmächtig zusehen, wie die Insassen sich selbst überlassen sind«, schreibt er.

Seit November sei die Situation in der Teilanstalt schlimmer geworden, sagt Krebs. Die Beamten müssten noch mehr Arbeit stemmen. »Fast täglich ist zu beobachten, dass ein Beamter für zwei oder sogar drei Stationen zuständig ist«, heißt es im Brief. Die verschlechterten Bedingungen vor Ort führt Krebs auf die Kürzungspolitik der schwarz-roten Koalition zurück.

Tatsächlich plant der Senat bei den Stellen in der JVA Tegel laut aktuellem Haushaltsplan nicht zu kürzen. Doch die JVA Tegel macht immer wieder negative Schlagzeilen mit Dutzenden unbesetzten Stellen, hohen Krankheitsraten und überlastetem Personal. Gebäude seien marode, heißt es in Medienberichten. Für die JVA Tegel stehen die massivsten Kürzungen laut Entwurf im Bereich der Berufsförderungsmaßnahmen an. Wer als Koch, Elektroniker, Maler, Gebäudereiniger oder Kraftfahrzeugmechatroniker ausgebildet wird, wird es künftig schwerer haben: 220 000 von 402 100 Euro sollen demnach für Grundbildungskurse, Umschulung und Beförderungsmaßnahmen in der JVA Tegel 2025 gespart werden. Bei Projekten mit Gefangenen will die Senatsverwaltung 40 Prozent einsparen.

»Die Anstalt ist ein Pulverfass, die Leitung nur bemüht, dass die Lunte kein Feuer fängt.«

Andreas Krebs
Gefangener in der JVA Tegel

Der justizpolitische Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Sebastian Schlüsselburg, sagt »nd«, dass die geplanten Kürzungen in den Haftanstalten das ohnehin schon überarbeitete Personal belasten. Außerdem würde dies die Integration der Gefangenen verschlechtern. »Resozialisierung ist kein Nice-to-have, sondern ein Grundrecht«, sagt Schlüsselburg. Er fordert die Justizsenatorin und den Finanzsenator auf, die Kürzungen nicht durchzuführen. »Stattdessen muss die CDU ihre Blockade zur Anhebung der Grunderwerbsteuer beenden. Würden wir sie um 0,5 Prozent auf das Brandenburger Niveau anheben, würden wir jährlich 100 Millionen Euro mehr einnehmen. Die Kürzungen in der Justiz wären damit hinfällig«, sagt er.

Auf Resozialisierung liege der Fokus in der Teilanstalt II längst nicht mehr, sagt Andreas Krebs. Italienische Gerichte verurteilten ihn wegen Mordes zu 24 Jahren Knast. Er war bereits in mindestens 25 verschiedenen Anstalten, wie er sagt. So schlimm wie in Tegel sei es noch nie gewesen. Um auf die Missstände aufmerksam zu machen, ging er Anfang 2024 bereits in den Hungerstreik. Er will weiterhin auf die Rechte von Gefangenen aufmerksam machen. Doch allein sei es schwer, und viele Insassen trauten sich nicht. »Hier drinnen herrschen eigene Gesetze«, sagt Krebs. Doch die Menschen draußen müssten wissen, wofür sie Steuern zahlten und was im Gefängnis passiere.

Eine Anfrage zu Krebs Schreiben und der Personalsituation in der JVA Tegel beantwortete die Justizverwaltung innerhalb von drei Tagen nicht.

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