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Tarifrunde bei der BVG: Verdi will Bahnfahrer mit Geld angeln

Um die Personalsituation zu verbessern, fordert Verdi für die BVG ein dickes Gehaltsplus – bereits ab Donnerstag sind Streiks möglich

Schlechtes Wetter lässt die BVG-Beschäftigten kalt, die geringe Bezahlung und eine dünne Personaldecke gehen aber an die Substanz.
Schlechtes Wetter lässt die BVG-Beschäftigten kalt, die geringe Bezahlung und eine dünne Personaldecke gehen aber an die Substanz.

Seit 2015 fährt Michael von Stubenrauch für die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) durch die Hauptstadt, in der Regel vom Betriebshof Lichtenberg. Von dort werden die Linien M10 und M13 eingesetzt, die von der Warschauer Straße bis zur Turmstraße beziehungsweise bis zum Virchow-Klinikum in Wedding fahren. Aufgrund eines maroden Wasserrohres in der Seetraße, das Berlin am Silvesterabend trockengelegt hatte, fährt hier auf den letzten Stationen nur ein Ersatzverkehr. Von Stubenrauch muss eh alle Linien drauf haben, sagt er »nd«, für den Fall, dass mal abseits seiner Stammstrecken erhöhter Personalbedarf besteht und er einspringen muss.

Personalbedarf besteht bei der BVG allerdings in der betrieblichen Fläche. Die Auswirkungen des Engpasses auf Bebtriebsabläufe und Belegschaft sind ein zentrales Argument der Gewerkschaft Verdi in der anstehenden Tarifrunde bei der BVG. Schon im Oktober hatte sie ihre saftigen Forderungen veröffentlicht. Das mit 16 000 Beschäftigten größte europäische Nahverkehrsunternehmen ist zugleich Berlins viertgrößter Arbeitgeber, rangiert bei der Bezahlung für das Fahrpersonal aber auf dem letzten Platz aller Nahverkehrsunternehmen in Deutschland. Im ersten Beschäftigungsjahr verdiene man in Hamburg 3329 Euro und somit 522 Euro mehr als in Berlin, rechnet Verdi vor. Eine bessere Bezahlung soll die BVG im Wettbewerb um Personal wieder konkurrenzfähig machen. Insofern seien die Forderungen zwar ambitioniert, aber gut begründet, erklärt Verdi-Verhandlungsführer Jeremy Arndt auf einer Pressekonferenz der Gewerkschaft. Auch Bahnfahrer von Stubenrauch und die neue Personalratsvorsitzende Janine Köhler sprechen dort. Die einzelnen Forderungen hätten sich aus einer Befragung aller Beschäftigten ergeben, sagt Arndt. Jährlich würden sie 250 Millionen Euro Mehrkosten bedeuten.

Verdi-Forderungen
  • monatlich 750 Euro mehr Gehalt für alle Beschäftigten
  • 300 Euro Fahrdienst-/Wechselschichtzulage
  • 200 Euro Schichtzulage
  • ein 13. Monatsgehalt
  • 12 Monate Vertragslaufzeit

    Im Zeitraum Dezember 2021 bis Juli 2024 ist der Fahrer*innenstamm immer weiter zusammengeschmolzen, bei der U-Bahn um 6,4 Prozent wie aus einer parlamentarischen Anfrage des Abgeordneten Tino Schopf (SPD) hervorgeht. Der Anteil der Teilzeitbeschäftigten ist im gleichen Zeitraum gestiegen. Seit Langem kann die BVG auf immer weniger Kapazitäten beim Fahrpersonal zurückgreifen. 2024 fielen laut Verdi allein bei der U-Bahn 3,7 Prozent der Fahrten aufgrund von fehlendem Personal aus. Ausfälle, die durch kaputte oder fehlende Fahrzeuge oder Mängel in der Infrastruktur begründet sind, kommen da noch hinzu. Innerhalb des Unternehmens gilt die Parole Stagnation statt Wachstum, wie es BVG-Chef Henrik Falk 2024 in etwas anderen Worten für die folgenden zwei bis drei Jahre formuliert hatte. Vom Sparhaushalt der schwarz-roten Koalition ist die BVG übrigens verschont geblieben.

    Noch vor ein paar Tagen hatte die BVG eigene Zahlen zur jüngsten Entwicklung der Beschäftigtenzahlen veröffentlicht. Demnach seien 2024 rund 2600 Stellen neu besetzt worden. Das seien noch mal mehr als die 2400 Stellen im Jahr 2023. »Durch die erfolgreiche Rekrutierung und die optimierten Abläufe konnte die – vor allem altersbedingt – hohe Fluktuation bei der BVG mehr als ausgeglichen werden«, heißt es in einer Mitteilung der BVG. Gegenüber 2023 habe man einen im operativen Bereich einen Aufwuchs von 210 Mitarbeitenden verzeichnet.

    Jeremy Arndt interpretiert die Situation am Freitagvormittag anders: »Wir hatten im letzten Jahr eine Fluktuation von zehn Prozent, die gerade so kompensiert werden konnte.« Das Ergebnis erneut zu erreichen, könnte 2025 aber schwieriger werden. »Ich habe noch nie so viele Beschäftigte erlebt, die mir vorab mitgeteilt haben: ›Bis zur Tarifrunde arbeite ich noch und nach dem Ergebnis entscheide ich, ob ich im Unternehmen bleibe oder nicht‹.« Die BVG stehe also vor dem Szenario, dass je nach Tarifabschluss in der Folge weiteres Personal verloren gehen könnte und sie »in einer bisher nicht gekannten Größenordnung Nahverkehr nicht mehr auf die Straße bekommt«, sagt Gewerkschafter Arndt. Das setzt nicht nur die BVG, sondern auch die Gewerkschaft selbst unter Druck, einen guten Vertrag abzuschließen. Die Messlatte liegt angesichts des Forderungskatalogs sehr hoch.

    Arndt erklärt sich dies mit der Zeit, die seit dem letzten Tarifabschluss 2021 vergangen sei. Inflation und Preissteigerungen seien in dem Ausmaß damals noch nicht absehbar gewesen. Über die letzten zwei Jahre seien die Löhne der Beschäftigten real gesunken. Entsprechend groß sei heute der Nachholbedarf, sagt Arndt.

    »Wir möchten nicht streiken. Wenn es so weit kommt, dann liegt es am Arbeitgeber.«

    Michael von Stubenrauch
    Straßenbahnfahrer und Mitglied der Verdi-Tarifkommission

    2021 hatte Verdi nicht auf Löhne, sondern auf die Arbeitszeit als Kernthema gesetzt und eine schrittweise Absenkung auf 37,5 Stunden pro Woche bei vollem Lohnausgleich erreicht. Mit Blick auf die ökonomischen Entwicklungen, die dann folgten, war das offenbar ein Fehler. Und die lange Vertragslaufzeit, die die Gewerkschaft zur Unterschrift gebracht hatte, verhinderte, dass man innerhalb der Krisenjahre korrigieren konnte. Mittlerweile ist man es gewöhnt, dass vorab eine Laufzeit von zwölf Monaten ausgerufen wird, am Ende aber 24 Monate oder mehr zur Unterschrift gebracht werden. Längere Laufzeiten relativieren vermeintlich hohe Abschlüsse. Es ist nämlich etwas anderes, ob die angepeilten 750 Euro mehr für ein Jahr verhandelt werden und dann eine neue Tarifrunde mit neuen Forderungen beginnt, oder ob sie für zwei Jahre oder mehr reichen müssen.

    Bahnfahrer von Stubenrauch, der ebenfalls Mitglied der Tarifkommission von Verdi ist, hat auf Rundgängen durch die einzelnen Betriebsabteilungen für die Forderungen der Gewerkschaft und eine Mitgliedschaft geworben. Sein Eindruck: »Eigentlich jeder will wechseln.« Zugleich seien in den letzten zwei Monaten über 1000 Beschäftige Mitglied bei Verdi geworden. Das sei ein Zeichen seiner Kolleg*innen: »Wir wollen das.«

    Bereits am kommenden Mittwoch treffen sich BVG und Verdi zu einer ersten Verhandlungsrunde. Verdi-Verhandlungsführer Arndt hält Streikmaßnahmen im Anschluss der Runde nicht für ausgeschlossen: Etwa, wenn die Arbeitgeber ohne eigenes konkretes Angebot aufkreuzen würden. Allerdings würde man etwaige Maßnahmen mindestens 24 Stunden vorher ankündigen. Bahnfahrer von Stubenrauch entschuldigt sich bei den Fahrgästen schon jetzt für diesen Fall. »Wir möchten nicht streiken. Wenn es so weit kommt, dann liegt es am Arbeitgeber.«

    Ein für Mittwoch geplantes Angebot erwähnt die BVG auf Anfrage von »nd« nicht. Stattdessen erklärt das Unternehmen, »am ersten Verhandlungstag werden, wie bei Tarifverhandlungen üblich, Positionen ausgetauscht, offene Fragen geklärt und die Rahmenbedingungen für die weiteren Verhandlungstermine besprochen«. Man setze auf faire Tarifverhandlungen und konstruktive Gespräche am Verhandlungstisch, mit dem Ziel eines guten Tarifabschlusses für die Mitarbeitenden und das Unternehmen.

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