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Michael Börgerding: Ins Offene
Der Theatermann und Bremer Intendant Michael Börgerding ist tot
Es war ein Schock, als das Theater Bremen am Montag bekannt gab, dass sein Intendant Michael Börgerding nach kurzer schwerer Krankheit am Sonntag gestorben ist. Seit der Spielzeit 2012/13 leitete Börgerding das Vier-Sparten-Haus, brachte es nach schwierigen Zeiten künstlerisch wie wirtschaftlich wieder auf Kurs und führte das Theater erfolgreich durch die Corona-Pandemie.
Geboren 1960 in Lohne, studierte Michael Börgerding zunächst in Göttingen Germanistik, Soziologie und Philosophie und sammelte am dortigen Jungen Theater seine ersten Erfahrungen als Dramaturg und Regisseur. Es folgten Stationen am Schauspiel Hannover und am Thalia-Theater in Hamburg, dessen Chefdramaturg er war. 2005 übernahm er die Leitung der Theaterakademie Hamburg, 2010 wurde er als Intendant nach Bremen berufen.
Börgerdings Offenheit, seine Neugier und sein Interesse am Theater als Einrichtung für alle Menschen der Stadt fand seither immer wieder vielfältigen Ausdruck. Beispielhaft sei das Festival Auswärtsspiel genannt. Zwei Wochen im Juni 2016 vibrierte Bremen-Blumenthal, ein Stadtteil der von Arbeitslosigkeit, Leerstand und Armut geprägt ist – und gefühlt Welten weit weg liegt von der »Kulturmeile«, an der Bremens Kulturtempel stehen. Die Barrieren zwischen Hochkultur und Pop, zwischen Bildungsbürgertum und Stadtgesellschaft einzureißen, war Michael Börgerding ein Herzensanliegen: So ließ er den Goetheplatz vor dem Theater vor einigen Jahren zum »Common Ground« umgestalten, auf dem im Sommer Konzerte und Theater gespielt werden.
Auch in der eher klassischen Arbeit eines Stadttheaters sorgte er regelmäßig für frischen Wind. Die Zahl der Dramaturginnen und Dramaturgen, die er nach Bremen holte und die schon bald selbst Intendanzen an Häusern wie Zürich und Luzern übernahmen, ist nicht eben klein. Zur nächsten Spielzeit verabschiedet sich auch der Hausregisseur Felix Rothenhäusler, der vor Ort mit formal strengen und durchaus kontroversen Regiearbeiten auf sich aufmerksam gemacht hatte, aus Bremen in Richtung Freiburg. Börgerding holte renommierte Regisseurinnen und Regisseure wie Armin Petras, Andreas Kriegenburg, Herbert Fritsch nach Bremen, gab aber auch Schorsch Kamerun, bekannt geworden als Sänger der Hamburger Punk-Avantgardisten Die Goldenen Zitronen, die Gelegenheit, sich im Musiktheater auszuprobieren.
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Allerdings ging es dabei immer um mehr als um aufregende Regiehandschriften, nämlich um Öffnung in viele Richtungen: Das Hamburger Ohnsorg-Theater fand am Theater Bremen zeitweise ein Zuhause fern der Heimat, Festivals wie das Mittenmang mit behinderten und nicht-behinderten Künstlern und Künstlerinnen, das Out Now für junge Theaterschaffende und Kooperationen mit einer Vielzahl von Einrichtungen in der Stadt prägten das Programm des Hauses.
Auch die Öffnung zur freien Szene war dem leidenschaftlichen Theatermann dabei immer ein Anliegen: Schon zu Beginn seiner Bremer Intendanz engagierte er das grenzüberschreitende europäisch-westafrikanische Performance-Kollektiv Gintersdorfer/Klaßen für zwei Spielzeiten als Artists in Residence. Die Tanzsparte, die in Bremen ihre einstige Bedeutung eingebüßt hatte, leitete Samir Anika, ein weiteres Gewächs aus der freien Szene, seine Compagnie Unusual Symptoms ist mittlerweile gern gesehener Gast auf internationalen Festivals.
Dass das Theater Bremen in den vergangenen etwas mehr als zehn Jahren auch überregional wieder verstärkt wahrgenommen wurde, verdankte es nicht zuletzt einer konsequenten Ausrichtung auf zeitgenössische Ästhetik und Uraufführungen, darunter so prominente wie »Aber sicher!«, Elfriede Jelineks Stück zur Finanzkrise.
Die Nachricht seines Todes wurde in Bremen und weit darüber hinaus mit Bestürzung aufgenommen. Michael Börgerding wurde 64 Jahre alt.
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