Wahlprogramm der Linken: Besser keine Antworten als falsche?

Die Linke darf sich im Wahlkampf nicht um drängende Themen drücken, meint Michael Ferschke

  • Michael Ferschke
  • Lesedauer: 4 Min.
Wahlkampf – Wahlprogramm der Linken: Besser keine Antworten als falsche?

Die Auswahl der Themen, mit denen die Linke in den Wahlkampf geht, ist nicht zufällig und liegt aufgrund der sozialen Spaltung nahe. Die Umsetzung ihrer Forderungen würde Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen spürbar entlasten. Sie entspringen zudem Befragungen der Partei durch tausende Haustürgespräche im Vorwahlkampf.

Warum sollen jedoch andere als im engeren Sinne soziale Fragen nicht prominent genannt werden? Aufschluss gibt hierzu eine Studie von Carsten Braband für die parteinahe Rosa-Luxemburg-Stiftung zu »Linken Triggerpunkten« unter potenziellen Linke-Wählern. Derzufolge sind einige Forderungen aus dem Grundsatzprogramm der Partei »Verlustpositionen«. Dazu zählen zum Beispiel das Plädoyer nach offenen Grenzen und ein Bleiberecht für alle oder unilaterale Abrüstungsforderungen. Sie können eine potentielle Wählerschaft spalten und gar verschrecken. In der Studie wird aufgrund der emotional aufgeladenen Debatten um solche Triggerpunkte vorgeschlagen, mit einem weniger polarisierenden Profil aufzutreten – etwa mit einem Plädoyer für einen leichteren Arbeitsmarktzugang von Geflüchteten oder in der Außenpolitik für mehr Diplomatie anstelle einer Ablehnung von Waffenlieferungen an die Ukraine.

Es gibt in der Partei eine Tendenz, diese kontroversen Themen im Wahlkampf außen vor zu lassen. Die Linke will mit einer Stimme sprechen anstelle von Vielstimmigkeit und Streit in der Vergangenheit. Die zermürbende Auseinandersetzung mit Sahra Wagenknecht, die jahrelang in Fragen zu Migration, Klima und Genderpolitik gegen den Kurs der Partei polarisiert hatte, wirkt nach. Die Forderungen der Partei zu Mieten, Renten, Inflation oder Mindestlohn sind hingegen unter Mitgliedern und potentieller Wählerschaft nicht strittig. Ob eine Reduktion des Wahlkampfs auf diese Forderungen jedoch auf die Gewinnerspur führt, ist aus drei Gründen zweifelhaft.

Michael Ferschke

Michael Ferschke ist Büroleiter im »nd« und war jahrelang Mitarbeiter von Bundestagsabgeordneten der Linken.

Erstens sind die sozialen Forderungen kein Alleinstellungsmerkmal. So setzt auch die SPD auf die soziale Karte, will die Vermögenssteuer wieder einführen und spricht sich in ihrem Wahlprogramm für einen »höheren Mindestlohn, weniger Mehrwertsteuer auf Lebensmittel sowie wirksamen Regeln für bezahlbares Wohnen« aus. Dass die Linkspartei an diesen sozialen Fragen mehr bewirken kann als die SPD, ist wenig greifbar. Die geringere parlamentarische Durchsetzungsperspektive der Linken als Oppositionspartei kann sie durch Glaubwürdigkeit ausgleichen. Diese muss aber erarbeitet werden. Die österreichische Schwesterpartei KPÖ hat sich die Glaubwürdigkeit im Bereich der Mietenpolitik beispielsweise erst über jahrelange Fokussierung auf das Thema mit unzähligen parlamentarischen und außerparlamentarischen Initiativen in enger Tuchfühlung mit Betroffenen erstritten.

Das ist für die deutschen Genossen in der Kürze der Zeit bis zur Wahl schwerlich machbar – erst recht nicht in der Fläche. Trotz aller Bauchschmerzen mit der SPD: Die Erhöhung des Mindestlohnes etwa könnte eher durch ihre Beteiligung an einer künftigen Bundesregierung durchgesetzt werden als durch die Linke. Zumal ihr Einzug in den Bundestag zum jetzigen Zeitpunkt fragwürdig ist.

Zweitens sieht es danach aus, dass die soziale Frage im Wahlkampf von anderen Themen überlagert wird. Da wäre beispielsweise die Migrationsdebatte, die insbesondere AfD und CDU ins Zentrum ihres Wahlkampfes stellen. Ein Schweigen der Linken dazu oder zu anderen Fragen, die die Rechten vereinnahmt haben (Gender, Klima), würde den Grünen in die Hände spielen, die sich dann als einzige wahrnehmbare Stimme gegen den reaktionären Diskurs positionierte. Trotz der konzernfreundlichen Politik des Wirtschaftsministers und Kanzlerkandidaten Robert Habek werden die Grünen in aktuellen Wahlumfragen weiterhin als Partei links der SPD angesehen. Es war ein Problem, dass Sahra Wagenknecht als Linksparteimitglied zu diesen Fragen die falschen Antworten gegeben hatte. Es wäre aber ebenso ein Problem, wenn die Partei nun durch die Fokussierung auf soziale Themen keine sichtbare Antwort auch darauf gäbe.

Und drittens steht die Wagenknecht-Partei aktuell in außenpolitischen Fragen als einzige oppositionelle Kraft gegen Aufrüstung oder Waffenlieferungen an die Ukraine und Israel. Frieden ist ein Thema, das auch viele potentielle Wähler der Linken umtreibt. Es wäre kein Kunststück, sich mit einer internationalistischen Position besser als das national-souveränistische BSW in der Außenpolitik zu positionieren.

Die Verengung des Wahlkampfes auf wenige soziale Forderungen könnte somit im schlimmsten Fall eher SPD, Grünen und BSW zugutekommen. Die Schwerpunktsetzung auf die sogenannten Brot- und Butter-Fragen sollte daher nicht dazu führen, dass die Partei zu anderen brisanten Debatten schweigt – schon aus eigenem Interesse. Denn Antimilitarismus, Humanismus und internationale Solidarität gehören zur DNA einer sozialistischen Partei.

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