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Angelika Tepper: Eine militante rote Ostdeutsche

Angelika Tepper ist Gemeindevertreterin der Linken im brandenburgischen Blankenfelde-Mahlow

  • Andrea Ries
  • Lesedauer: 7 Min.
»Alles, was die Volksseele zum Kochen bringt«: Angelika Tepper in der Gemeindeversammlung
»Alles, was die Volksseele zum Kochen bringt«: Angelika Tepper in der Gemeindeversammlung

Fett prangt auf dem schwarzen T-Shirt: »Katzen Ja – AfD Nein!« Angelika Tepper sagt: »Das ziehe ich morgen in der Gemeindevertretungssitzung an, um die zu ärgern!« Alles passt zusammen: das T-Shirt, die 70-Jährige, die es tragen will, und ihre Wohnung. Teppers Haare sind rot gefärbt, rot ist ihr Strickkleid und rot ist ihr knalliger Lippenstift.

Tepper steht inmitten eines wilden Dekorations- und Erinnerungsdurcheinanders. Was rot ist, steht ganz vorne im Regal. Die 70-Jährige präsentiert Artikel von nunmehr 14 Bundesparteitagen der Linken, die sie besucht hat, darunter ein »Ultrasozial«-Schal und »Klassenmampf«-Brotdosen. Das Foto eines kleinen Kaktus im roten Topf mit Aufschrift »die Widerständigen«, ihr bisher liebstes Geschenk, sucht sie mir auf dem Smartphone raus. Der Kaktus ist mittlerweile leider eingegangen.

Auch ein rotes Sofa steht in Teppers kleiner Mietwohnung im Berliner Vorort Blankenfelde-Mahlow. Rund 30 000 Einwohner zählt die Gemeinde. Hier hat sich Angelika Tepper erst 2019 und dann auch bei der Kommunalwahl 2024 in die Gemeindevertretung wählen lassen. Dort diskutiert und beratschlagt sie über Fluglärm, Verkehrsanbindung, Kulturförderung und Kitaplätze. Mit ihrer Adresse im Wohnpark, von einigen Alteingesessenen »Ghetto« genannt, sieht sie sich unter den anderen Gemeindevertreter*innen als Ausnahme: »Die anderen haben doch überall Häuschen!« Selbstgerechte Politik aus dem Reihenhaus ärgert die überzeugte Sozialistin. Bei Entscheidungen über Flugrouten, Baustellen und Oberleitungen muss auch sie selbst zurückstecken können, wenn unterm Strich ein besseres Leben für alle dabei herauskommt. Dabei sind ihr die Themen wichtiger als irgendeine Mitgliedschaft. »Wichtig ist, wer an unserer Seite steht!«

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Angelika Tepper schenkt Kaffee aus einer roten Verdi-Thermoskanne in rote Tassen ein. Beschriftete Ordner im Regal erzählen die Geschichte von beruflichen Stationen im öffentlichen Dienst sowie vom Engagement in Gewerkschaft und Partei. Im Sozialamt, Jugendamt oder Jobcenter nahm sie ihren Job zum Wohl der Leute stets ernst, auch wenn eine »großfressige Personalrätin« den Vorgesetzten nicht immer so bequem war. Als Gewerkschafterin war der Streik ihr liebstes Mittel. Seit sie nicht mehr arbeiten geht, fällt diese Protestform weg. Also ab in die Lokalpolitik!

Tepper mag die Dinge greifbar: Wo sie lebt, da will sie wirken. Aus dem Unmittelbaren zieht sie das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. In der Kommunalpolitik fängt das schon bei Fragen an, ob die Betreiber des Bistros um die Ecke die Tische auf die Straße stellen dürfen. Tepper hat ein gutes Wort eingelegt. Man kennt und grüßt sie. Das gegenseitige Helfen kennt sie aus ihrer früheren Nachbarschaft Marzahn-Hellersdorf. Aus Liebe zur Tochter, in deren Nähe sie sein wollte, zog Tepper nach Mahlow.

Hinter Angelika Tepper baumelt Karl Marx als Hampelmann. Gregor Gysi und sogar den CDU-Politiker Wolfgang Schäuble besaß sie mal im ähnlichen Format. »Die sind runtergefallen!« Tepper lacht vergnügt. Sie beschreibt sich augenzwinkernd als »militante« Ostdeutsche. Zu einem platt nostalgischen »Früher war alles besser!« lässt sie sich jedoch nicht verleiten. In der DDR geboren und aufgewachsen, ist Tepper stolz, zwei Gesellschaftsordnungen erlebt zu haben. »Wir können vergleichen!« Dass der Vorwurf spärlich aufgearbeiteter SED-Vergangenheit immer wieder Bündnisse behindert, ärgert sie. Tepper will weder die DDR zurück noch sich diesen Schuh anziehen. »Ich habe mich immer engagiert eingesetzt! Wofür will man mich denn bestrafen?«

Die Tochter wohnt mit ihrer Familie ganz nah in einem Haus mit Garten. Politisch seien die anders drauf, aber darüber wird in der Familie nicht gestritten. Das ist sowieso ein Prinzip von Angelika Tepper: »Ich missioniere nicht!« Im Wahlkampf steht sie lieber am Infostand auf dem Bahnhofsvorplatz, statt an Haustüren zu klingeln. Zwischen roten Luftballons ist die rote Dame schon von Weitem zu erkennen. Einmal angesprochen, erzählt sie umso enthusiastischer von ihren Ideen und Ansichten.

Doch ums Klinkenputzen kommt sie nicht herum. Die Leute schauen selten hinter Jägerzaun und Buchsbaumhecke hervor. Vor allem für eine Linke machen viele die Tür gar nicht erst auf. »Die Leute wollen ja mit uns nicht mehr so viel zu tun haben.« Angelika Tepper lässt die Schultern hängen. »Erschließt sich mir nicht. Die müssen doch begreifen, dass wir’s gut mit ihnen meinen!«

Die 70-Jährige streichelt ihre schwarze Katze, die es sich auf ihrem Schoß gemütlich gemacht hat, und pafft an ihrer E-Zigarette. Dass sie auf ihre Gesundheit achten muss, hat sie seit dem Tod ihres Mannes schnell einsehen müssen. Trotz schmerzender Gelenke verteilte sie im Kommunalwahlkampf vergangenes Jahr noch 6000 Flyer und hängte 50 Plakate auf. Übrig gebliebene Flyer und Kabelbinder liegen noch im Flur. Die Arbeit verteilt sich auf nur wenigen Schultern. Ein paar junge Mitglieder sind zum Ortsverband gestoßen. Einer hat sich bereit erklärt, bei der Kommunalwahl anzutreten. Ohne diesen neuen Schwung hätte Tepper sich nicht noch mal nominieren lassen. Sie will vor der nächsten Kommunalwahl 2029 aufhören.

»Früher wurde ich auch mal weggetragen!«

Angelika Tepper

Teppers Zukunftspläne: Politik mit Spaß an der Sache, auf Demonstrationen gehen wie früher. Aber das Gefühl von vielen Menschen auf einmal, die gemeinsam etwas bewegen wollen, »das stellt sich heute ja gar nicht mehr her«. Nur die großen Mobilisierungen gegen rassistische Abschiebepläne Anfang 2024 waren da ein Lichtblick für Tepper. Im Februar gab es eine solche Demonstration im Dorfkern von Mahlow. Ein Bündnis aus Parteien, Kirche, Musikschule und Tennisverein mobilisierte unter dem Motto »Gemeinsam für Demokratie«. Da konnte Tepper zu Fuß hin und hat die »Omas gegen Rechts« aus dem angrenzenden Berliner Ortsteil Lichtenrade kennengelernt.

Vergeblich kramt Tepper im Schlafzimmerschrank nach alten Transparenten. Einiges hat sie beim Umzug dann doch aussortiert. Sie wird nostalgisch. »Früher wurde ich auch mal weggetragen!« Heute sind ihr die Leute zu brav geworden. Immerhin kleben sich junge Leute auf die Straße oder schmeißen Farbe aufs Brandenburger Tor. Findet sie super, solange niemand zu Schaden kommt. »Alles, was die Volksseele kochen lässt, ist gut!«

Aus der Ortsgruppe der Linken konnte sie bisher nicht mal jemanden überzeugen, am 1. Mai mit zum Protest nach Berlin zu kommen. Was für Tepper schon anstrengend ist, ist für die 80- bis 90-Jährigen zu beschwerlich. Die sehen sich eher bei Vorträgen bei Kaffee und Kuchen bei der Volkssolidarität. Das sei »Unterhaltung für die eigene Blase«, meint Tepper.

Tepper beschreibt sich als »eine zum Pferdestehlen« und beugt sich verschwörerisch vor, um ihre Lebensstrategie zu verraten: Zuerst auffallen. Anfeindungen und Widerstand muss man aushalten! Das konnte sie immer gut. Unter denen, die sie dann so nehmen, wie sie ist, hat sie ihre besten Mitstreitenden gefunden, auch wenn die eher in Potsdam oder Berlin leben.

Grundsätzlich kommen die Alteingesessenen und Zugezogenen in Blankenfelde-Mahlow gut miteinander aus. So war das hier schon vor der Wende. Berliner kaufen sich vor den Toren der Metropole ein Häuschen. Wer arbeitet, ist häufig nur zum Schlafen da. Wer sich engagiert, trifft immer auf die gleichen paar Leute. Zur Pokalübergabe den Kaninchenzüchterverein zu besuchen, ist lokalpolitische Selbstverständlichkeit. Tepper hat schnell entschieden, diese Ehre den Parteimitgliedern zu überlassen, die dort Vereinsmitglied sind. Sie ist die mit dem Netzwerk über Blankenfelde-Mahlow hinaus.

Vor Jahren brachte Tepper als Zugezogene neuen Schwung in den Ortsverband der Linken. Den erhofft sie sich nun von den Neumitgliedern. Doch bei aller Zuversicht und investierter Energie fiel das Ergebnis der Kommunalwahl 2024 dann doch sehr mau aus. Nur noch 4,8 Prozent erzielten die Sozialisten in der Gemeinde, weniger als die Hälfte von 2019. Im September flogen die Linken dann auch noch aus dem Landtag und die AfD legte weiter zu.

Den Rechtsextremismus der 90er erlebte Angelika Tepper noch in Berlin. In Mahlow erinnert ein Denkmal an der Landstraße an den schwarzen britischen Bauarbeiter Noël Martin, der dort 1996 Opfer eines rassistischen Anschlags wurde und in der Folge bis zu seinem Tod 2020 schwerstbehindert war. Am Gedenken nimmt Tepper jedes Jahr teil. Dass sie sich heute gezwungen sieht, in der Gemeindevertretung mit grobschlächtigen Rechten zu diskutieren, ärgert sie. Die Linksfraktion hat derweil die Einsetzung einer Gleichstellungsbeauftragten erwirkt.

Doch mit zwei von 32 Sitzen in der Gemeindevertretung bekommt die Fraktion nicht viel bewegt. Es fehlt an Mehrheiten. Auf die gemäßigte Art hat es Tepper eine Weile probiert. Damit ist sie nun durch. Ihr widerständiges Ich bricht wieder hervor. Sie hält dagegen. In roter Hose und mit Anti-AfD-Shirt sitzt Angelika Tepper schließlich in der Gemeindeversammlung. Die AfD-Fraktion kocht. Es gibt einen Rüffel von der Versammlungsleitung. Bei Wiederholung gibt’s Hausverbot. Tepper strahlt. Alles, was die Volksseele zum Kochen bringt – Ziel erreicht!

Andrea Ries ist wie Angelika Tepper Mitglied in der Linken im Ortsverband Blankenfelde-Mahlow.

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