Verdi und Verkehrsverband VDV wollen Verkehrsknoten lösen

Gewerkschaft und Verkehrsverband ziehen an einem Strang für gemeinsames ÖPNV-Leitbild

  • Moritz Aschemeyer
  • Lesedauer: 4 Min.
Für die nächsten zehn Jahre braucht es enorme Investitionen im öffentlichen Nahverkehr.
Für die nächsten zehn Jahre braucht es enorme Investitionen im öffentlichen Nahverkehr.

Von der derzeitig anlaufenden Tarifrunde bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) war am Montag im Verdi-Gewerkschaftshaus wenig zu spüren. Während auf lokaler Ebene potenziell konfliktreiche Wochen zwischen der Dienstleistungsgewerkschaft und dem größten Nahverkehrsunternehmen Europas ins Haus stehen, zeigte man sich in der Verdi-Führungsebene betont einig mit dem Verband der Verkehrsunternehmen (VDV). Dort ist auch die BVG Mitglied. Gemeinsam haben die Verbände ein Positionspapier erarbeitet, welches ein Zielbild für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) in Deutschland bis 2035 umreißt.

Der VDV-Vorsitzende Ingo Wortmann begründete diese auf den ersten Blick ungewöhnliche Allianz von Gewerkschaft und Unternehmensverband mit dem Ernst der Lage: Es geht um nicht weniger als die »Existenz des ÖPNV«. Der ÖPNV könne einen Beitrag zur Lösung der Klimaproblematik und zur öffentlichen Daseinsvorsorge leisten, sagte er. Dafür brauche es allerdings stabile finanzielle Rahmenbedingungen, die notwendige Investitionen und die steigenden Betriebskosten abdeckten. Mit dem Positionspapier will man daher nicht nur Forderungen an die Politik formulieren, sondern auch etwas bieten, »damit wir gemeinsam am Ziel ankommen«, erklärte Wortmann.

Hälfte von ÖPNV abgekoppelt

»Wir gucken mit großer Sorge auf die Situation insbesondere des kommunalen ÖPNV«, befand die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Christine Behle. Aufgrund der finanziellen Notlage und des Fachkräftemangels sei vielerorts der Betrieb kaum noch aufrechtzuerhalten. Dabei steige das Verkehrsaufkommen in den Metropolen weiter, während notwendige Investitionen in die Infrastruktur im ländlichen Bereich zurückgestellt werden. Behle stellte die Aufgabe des ÖPNV heraus, »gleichberechtigte Teilhabe am öffentlichen Leben« zu ermöglichen. Das Deutschlandticket habe hierbei zwar den Zugang erleichtert, allerdings sei die »Hälfte des Landes vom ÖPNV abgekoppelt«, wodurch viele das Angebot nicht nutzen könnten.

Um dem avisierten Zielbild zu entsprechen, wird im Papier für ein »Deutschlandangebot« für einen »leistungsstarken ÖPNV in Ballungsräumen und ein verlässliches Grundangebot in ländlichen Räumen« geworben. Hierzu sollen bundesweite »verbindliche Standards bei Angebot, Infrastruktur und Betrieb« geschaffen werden. Bisher wird der ÖPNV auf Ebene der Länder und Kommunen koordiniert. Den Kund*innen erscheinen die Angebots- und Verbundstrukturen oftmals wie ein Flickenteppich.

Um das Angebot attraktiver zu machen, will man verstärkt auf künstliche Intelligenz und Digitalisierung setzen, zudem soll im Fahrbetrieb und in der Instandhaltung vermehrt automatisiert werden. Die Schritte seien jedoch kein Selbstzweck. Vielmehr sollte die Entlastung der Beschäftigten im Mittelpunkt stehen sowie die mit Automatisierung verbundene Transformation der Berufsbilder durch Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten begleitet werden. Um Mitarbeiter*innen zu werben und zu binden, seien gute Arbeitsbedingungen unerlässlich – hierfür wiederum eine tarifliche Vergütung. »Der ÖPNV muss auch am Arbeitsmarkt als Gewinner aus der Transformation des Verkehrssektors hervorgehen«, sagte Behle dazu.

Enorme Investitionsbedarfe

Die Investitionsbedarfe sind enorm, wie das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung im Sommer gemeinsam mit dem arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) berechnet hat. Demnach müssen in den nächsten zehn Jahren 127 Milliarden Euro in Verkehrswege und ÖPNV investiert werden. Davon knapp 60 Milliarden Euro, um das Schienennetz zu modernisieren und zu erweitern, weitere gut 28 Milliarden, um den Öffentlichen Personennahverkehr auszubauen.

Finanziert werden soll das durch eine stärkere Beteiligung von Bund und Ländern. »Die Kommunen als schwächstes Glied der Kette sind nicht in der Lage, dies zu stemmen«, so Christine Behle. Einerseits sollen die Zuschussfinanzierung des ÖPNV, welche unter anderem im Regionalisierungsgesetz (RegG) und das Gemeindefinanzierungsgesetz (GVFG) geregelt sind, reformiert werden, um kommunale Investitionen und Betriebskosten zu finanzieren. Wortmann vom VDV erklärte etwa, die Förderungsfähigkeit der Grunderneuerung von Verkehrswegen im GVFG entfristen zu wollen. Diese ist aktuell bis 2030 begrenzt. Gleichermaßen sollte das Regionalisierungsgesetz »höher dotiert« werden.

Einhellig werben Gewerkschaft und Unternehmensverband zudem für eine Reform der Schuldenbremse, um Investitionen in Infrastruktur und Mobilitätsbetrieb voranzutreiben. Möglich ist das etwa durch die Einführung einer goldenen Regel. Dadurch würden produktive Investitionen von der Verfassungsregelung ausgenommen. Auch die Idee eines Infrastrukturfonds begrüßten die beiden Funktionär*innen am Montag. Im Papier wird zudem eine Debatte über die Abschaffung klimaschädlicher Subventionen angeregt. »Der ÖPNV ist Garant für soziale Teilhabe, gelebten Klimaschutz und ein essenzieller Bestandteil einer stabilen Daseinsvorsorge in einer demokratischen Gesellschaft«, betonten Behle und Wortmann.

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