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Gaza-Krieg: Zwischen Verbitterung und Hoffnung

Die Menschen im Gazastreifen haben alles verloren und kehren dorthin zurück, wo vor dem Krieg ihre Wohnungen lagen

  • Lesedauer: 4 Min.
Menschen gehen an den Trümmern von Häusern in Rafah vorbei, einen Tag, nachdem eine Waffenruhe im Krieg zwischen Israel und der Hamas in Kraft getreten ist.
Menschen gehen an den Trümmern von Häusern in Rafah vorbei, einen Tag, nachdem eine Waffenruhe im Krieg zwischen Israel und der Hamas in Kraft getreten ist.

Gaza. Am zweiten Tag der Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas hat Ägypten rund 220 weitere Lastwagen mit Hilfsgütern in den Gazastreifen geschickt. Darunter seien zehn Lastwagen mit Treibstoff, sagte ein Vertreter des Ägyptischen Roten Halbmonds. Wie am Vortag kamen die Güter über den von Israel kontrollierten Grenzübergang Kerem Schalom in das abgeriegelte Küstengebiet. In Nähe des ägyptischen Grenzübergangs Rafah stehen dem Ägyptischen Roten Halbmond zufolge mehr als 3000 Lkw bereit, um Hilfsgüter nach Gaza zu bringen. UN-Nothilfekoordinator Tom Fletcher schrieb bei X in der Nacht, am Sonntag seien mehr als 630 Lkw mit Hilfsgütern nach Gaza eingefahren. Fast die Hälfte dieser Güter sei für den nördlichen Teil bestimmt. Wegen der Kämpfe dort seien bislang fast überhaupt keine Hilfsgüter in das Gebiet gekommen.

Nach Angaben des UN-Nothilfebüros Ocha sind 90 Prozent der rund 2,1 Millionen Menschen im Gazastreifen Binnenflüchtlinge. Nach anderen UN-Angaben wurden während des Kriegs rund zwei Drittel aller Gebäude zerstört oder beschädigt. Bis zum Beginn der Waffenruhe sind im Gazastreifen nach Angaben der dortigen Gesundheitsbehörde rund 47 000 Menschen getötet worden. Eine Unterscheidung in Zivilisten und Kämpfer wird dabei nicht vorgenommen. Die medizinische Fachzeitschrift »The Lancet« geht von einer weitaus höheren Zahl von Getöteten aus. Nach einer Studie vom 9. Januar sind allein zwischen dem 7. Oktober 2023 und dem 30. Juni 2024 im Gazastreifen schätzungsweise 64 260 Menschen getötet worden. Auf der Grundlage der Ergebnisse der Studie hätte das Gesundheitsministerium in Gaza die Sterblichkeitsrate im selben Berichtszeitraum um 41 Prozent zu niedrig angegeben.

Abdullah Abdel Aal hat in diesem Krieg 40 Angehörige verloren. Ihn lassen die martialischen Szenen uniformierter Hamas-Anhänger bei der Freilassung der ersten drei israelischen Geiseln daher eher kalt. »Ich bin obdachlos, ohne Leben oder Zukunft«, sagt der sechsfache Vater der Deutschen Presse-Agentur. »Ich weiß nicht, wofür wir diesen Preis zahlen müssen.« Er empfindet die Behauptungen der Hamas, einen Sieg über Israel errungen zu haben, als zynisch.

Überall Zerstörung

Der Hamas gibt er ebenso die Schuld an seiner Lage wie Israel. »Sie haben meine Heimat in einen Trümmerhaufen verwandelt, voll Schmerz und Leid, das niemals aufhören wird – selbst wenn der Krieg endet«, sagt er. Derzeit lebt Aal mit seiner Familie in einem Zelt in einem Flüchtlingslager in Chan Junis. Vor dem Krieg hat er als Händler gearbeitet. Jetzt ist er von Hilfslieferungen abhängig.

Viele Menschen im südlichen Gazastreifen brachen gleich nach Inkrafttreten der Waffenruhe auf, um etwa in Rafah in Augenschein zu nehmen, was von ihren Häusern und ihrer Stadt übrig geblieben ist. Aal, der weiß, dass sein Haus zerstört wurde, hat keine Pläne aufzubrechen. »Warum sollte ich zurückgehen?«, fragt er verbittert. »Alles ist zerstört. Überall ist der Geruch des Todes. Was sollte ich anderes finden außer Unterdrückung und Schmerz?«

Halima Abu Nasr dagegen ist voller Ungeduld und voller Hoffnung. Die 50 Jahre alte Frau kann es kaum erwarten, wieder in Beit Hanun im Norden des Gazastreifens zu sein. Sie will einfach wieder zu Hause sein, ganz egal, wie es dort aussieht. Notfalls wolle sie ihr Zelt zwischen den Trümmern aufbauen, sagt sie. »Israel wollte uns vertreiben, und die Hamas hat uns nicht beschützt«, fügt sie hinzu. Doch es sei immer noch ihr Zuhause. Ans Auswandern denkt die Mutter von sieben Kindern auch trotz all der Zerstörung um sie herum nicht.

Sehnsucht nach dauerhaftem Frieden

»Es ist eine sehr schwierige Lage«, räumt sie ein. »Wir wissen nicht, was aus uns wird und ob die Vereinbarung (über die Feuerpause) hält oder nicht.« Und doch hofft sie, dass das Leid, dass sie und die Menschen in Gaza in den vergangenen Monaten erfahren haben, nun endet: »Ich wünsche mir, dass wir einen dauerhaften und echten Frieden erreichen.«

Auch Samir Ghattas aus Gaza City ist vor allem froh, dass die Waffen nun schweigen – hoffentlich nicht nur für die Dauer der Feuerpause. Er träumt schon jetzt von einem schnellstmöglichen Wiederaufbau und von Stabilität. Trotz aller Zerstörungen, trotz aller Erschöpfung will er die Hoffnung auf Normalität nicht aufgeben – auch wenn es vorerst eine Normalität in einer Trümmerlandschaft ist. Agenturen/nd

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