Serie »Severance« führt wieder in Lohnarbeitshölle

Auch in der zweiten Staffel der Serie »Severance« sind Menschen zu Arbeitssklaven degradiert

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 3 Min.
Marc Scout (Adam Scott) hat den Super-Hack gefunden: Arbeits- und Privatleben müssen gekoppelt sein, sonst gibt es keine Rebellion.
Marc Scout (Adam Scott) hat den Super-Hack gefunden: Arbeits- und Privatleben müssen gekoppelt sein, sonst gibt es keine Rebellion.

Als Marc Scout (Adam Scott) nach einer Pause von mehreren Tagen, Wochen oder Monaten (so genau weiß er gar nicht, wie lange er weg war) zurück in sein Büro kommt, erinnert er sich an nichts von alldem, was ihm zuvor passiert ist.

In der Apple-TV+-Serie »Severance« weiß einfach kein Angestellter, was während seiner Freizeit passiert. Dabei hatte Marc in einer spektakulären Aktion herausgefunden, dass seine verstorbene Ehefrau Gemma (Dichen Lachman) eventuell doch noch am Leben ist und irgendwo in den Kellerschächten seines Arbeitgebers Lumon Industries festgehalten wird. Aber nach einem neurochirurgischen Eingriff, dem sich alle Teilnehmer des titelgebenden »Severance«-Programms unterziehen müssen, ist das Arbeitsbewusstsein der Angestellten dieser Firma streng getrennt von ihrem Freizeitbewusstsein.

Der sogenannte »Innie« weiß nichts von dem, was er nach seiner Arbeitszeit als »Outie« tut. Die Büroangestellten gehen hier zu 100 Prozent in ihrer Hingabe an die Arbeit auf. Was ihr Freizeit-Ich für Wünsche, Bedürfnisse und Ängste hat, wissen sie gar nicht, und das belastet sie auch nicht während der Arbeit. »Severance«, eine eigenwillige Mischung aus Science-Fiction, Gesellschaftsdrama und Horror, inszeniert so konsequent wie keine andere filmische Erzählung die Entfremdung, Atomisierung und Zurichtung des Individuums durch kapitalistische Lohnarbeit.

Die zweite Staffel von »Severance« setzt genau dort an, wo Staffel eins mit einem spannungsgeladenen Cliffhanger endete und Marc Scout durch einen Hack sein Arbeits- und Freizeitbewusstsein miteinander koppeln konnte. Aber dieser revolutionäre Moment der Erkenntnis währte nur kurz, und so kehren Marc Scout und seine Kolleg*innen zurück in ihre Lohnarbeits-Amnesie. Sie sitzen weiterhin an Schreibtischen in ihren vintageartigen Büroräumen im riesigen Betonblock der Firma Lumon, irgendwo gelegen in einer Industriegegend mit gigantischem Autoparkplatz, und lassen auf altbackenen Computerbildschirmen aus den 70er Jahren Zahlenkolonnen in kleine digitale Kästchen plumpsen.

Makrodaten-Verfeinerung nennt sich diese sinnfrei wirkende Tätigkeit in einer radikal künstlichen Umgebung. Die erste Staffel dieser Serie, für die unter anderem Schauspieler Ben Stiller als einer der Regisseure verantwortlich zeichnet, wurde vor zwei Jahren von Kritikern in den Himmel gelobt und mit Preisen regelrecht überhäuft. Dabei hat die kammerspielartige Arthouse-Serie auch in der zweiten Staffel durchaus ihre Längen und ist keine ganz einfache Kost.

»Severance« inszeniert so konsequent wie keine andere filmische Erzählung die Entfremdung, Atomisierung und Zurichtung des Individuums durch kapitalistische Lohnarbeit.

In Staffel zwei befinden sich die Mitarbeiter auch plötzlich einmal in einer verschneiten Berglandschaft, wo sie, ohne gefragt oder informiert zu werden, einen zweitägigen workshopartigen Exkurs machen. Von einem Moment auf den anderen finden sie sich inmitten einer gigantischen Eisfläche wieder und begegnen dort einer Art Dämon wie aus einem Horrorfilm, bis ihnen ihr Vorgesetzter Seth Milchick (Tramell Tillman) abends am Lagerfeuer aus der Geschichte des Firmengründers Kier Eagan vorliest, der wie eine religiöse Heilsfigur verehrt wird.

Hatte sich Staffel eins noch strikt an die stylische Bürowelt gehalten und die Figuren immer wieder durch die langen und engen, weiß leuchtenden Flure von Lumon Industries geschickt, bricht die neue Staffel dieses Korsett etwas mehr auf. Die Mitarbeiter verfolgen weiter ihre subversiven Strategien, um die sie einengende Ordnung auszuhöhlen. Wobei der Arbeitgeber Lumon ihre Widerstände geschickt aufnimmt und in sein Ordnungsregime einbaut.

Marc und seine Kollegin Helly (Britt Lower), die eigentlich zur Führungsetage des Unternehmens gehört, was sie aber selbst nicht immer weiß, lassen sich weiter auf ihre Affäre ein. Und Irvin (John Turturro) sucht verzweifelt nach seinem Liebhaber, dem in Rente gegangenen Burt (Christopher Walken). Dabei werden die Grenzen zwischen Arbeits- und Freizeit-Ich immer durchlässiger. Das nimmt im Lauf der Staffel ziemlich Fahrt auf und steuert natürlich auf eine erneute Eskalation zu.

Verfügbar auf Apple TV+

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