- Kultur
- »Heimweh wonach«
Wera Herzberg inzenierte ihre jüdische Familiengeschichte
Der Dialog der Tochter mit der Mutter, die den Holocaust überlebt hat, ist kein unbeschwerter, oft sehr kontroverser, aber wichtiger, aufklärende
Die Berliner Großmutter wurde 1943 in Auschwitz ermordet, die Mutter war 1938 eine der nach England geretteten Jugendlichen, wo sie Mitglied der dort erstmals gegründeten FDJ und der illegalen KPD wurde. Der jungen Frau, 17, ist es nicht gelungen, ihre Mutter zu sich nach England zu holen, sie vor den deutschen Judenmördern zu retten – eine Tragödie, die die Tochter bis zum eigenen Tod quälte.
Sie hat noch im Exil geheiratet, einen Mann, der ebenfalls dank »Kindertransport« die Shoah überlebte. Mit ihm und ihrem ersten gemeinsamen Kind kehrt sie nach dem Krieg nach Deutschland zurück, nach Ostberlin, wird Mitglied der SED und Staatsanwältin im jungen Staat DDR. Dessen Untergang 1989/90 lässt sie nicht unberührt. In Momenten innerer Erregung ertönt auf der Bühne eine Bratsche. Mendelssohn und Schubert, aber auch DDR-Kinderlieder sind zu hören.
Wera Herzberg inszenierte 1991 die »Iphigenie« von Goethe an der Volksbühne, deren göttlicher Auftrag es war, die Schrecken einer Familientragödie zu befrieden. Jetzt setzt sie sich als Autorin und Regisseurin mit der dramatischen Geschichte ihrer eigenen Familie auseinander. Ihr Stück »Heimweh wonach« ist angelehnt an Mascha Kaleko: »Das Weh war geblieben, das Heim war fort. Wera Herzberg zeigt den Schmerz, den Verlust, das Gefühl, nirgendwo zu Hause zu sein. Schicksale unserer wunden Vergangenheit und Gegenwart. Die Tochter bekennt: «Das Jüdische fehlte mir.»
Wera Herzberg, 1949, im Jahr der Gründung der DDR als zweites Kind der Shoah-Überlebenden geboren, bereichert Familienglück, das jedoch nicht ewig währt. Die Mutter, überzeugte Kommunistin und Staatsbeamtete, erkennt sehr wohl die Unterdrückung des selbstständigen Denkens und das Abtöten von Initiativen in diesem Staat. Sie bekämpft die Erstarrung und Verhärtung der Verhältnisse und gerät zu dem System, dem sie dient, in Widerspruch. Als ihre bis dahin auf politischem Verständnis und solidarischer Nähe beruhende Ehe zerbricht, wird die Mutter selbst hart und im Alltag oft zur Familientyrannin.
Der Dialog der Tochter mit der Mutter zeichnet sich durch Aufrichtigkeit aus, gerade in jenen Momenten, wenn das Kind bestimmte Situationen kritisch wahrnimmt. «Die Leute haben so misstrauisch geguckt», bemerkt sie, wenn ihrer Mutter, der Staatsanwältin, beim Fleischer oder Gemüsehändler extra Pakete über den Ladentisch gereicht wurden. Die Mutter selbst sieht diese als verdiente Privilegien an. Auch die Haltung zu Sinn und Unsinn schulischer Bildung trennt die beiden. Die Mutter, eingeschult in der Weimarer Republik, hatte die seinerzeitige humanistische Bildungsreform erlebt, liebte ihre Schule, konnte sie aber wegen Geldmangels der Eltern nicht länger besuchen. Die Tochter hasste ihre Schule, die sie zwingen wollte, ein sozialistisches Vorbild zu sein und Gehorsam verlangte.
Dass die Erzählung bis zum Ende lebendig und spannend bleibt, liegt an der klaren Aufrichtigkeit des Erzählten. Die Autorin nutzt Briefe und Tonbänder, authentische Dokumente. Glaubhaft wird die Begeisterung der Mutter für den Kommunismus vermittelt, deren begeisterte Hoffnung, dass nun, nach dem millionenfachen Mord an den Juden, der ihr die Mutter nahm, und dem furchtbaren Krieg, eine humane und von Ausbeutung, Armut und Ungerechtigkeit befreite Welt entsteht. Auch ihre Tochter wird erfasst vom Enthusiasmus der Revolutionslieder. Die Mutter zitiert inbrünstig Brecht: Kommunismus sei «das Einfache, das schwer zu machen ist». Die Tochter ändert den Satz um in: «Das Schwere, das einfach nicht zu machen ist.» Der Glaube übertrug sich nicht von der Mutter auf die Tochter.
Premiere. Der Saal ist voll besetzt, es herrscht eine angestrengt lauschende Aufmerksamkeit. Der Schlussbeifall ist anhaltend und beglückend. Wegen aufrichtiger Aufklärung.
«Heimweh wonach», Heimathafen Neukölln; weitere Termine: 21./22.1., 13./14.2. und 7./8.3., jeweils 19 Uhr; 18,50 €, erm. 15 €.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.