Film »Universal Language«: Lost in Winnipeg

Regisseur Matthew Rankin zaubert in »Universal Language« eine bizarre Welt in einem ausgedachten kanadischen Ort, in dem alle Persisch sprechen

  • Gabriele Summen
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Bildsprache in »Universal Language« verweist nicht besonders subtil auf Wes Anderson.
Die Bildsprache in »Universal Language« verweist nicht besonders subtil auf Wes Anderson.

Wir sind für immer verloren in dieser Welt». Ein unfähiger Lehrer im kanadischen Winnipeg zwingt seine Schüler*innen diesen Satz laut vorzulesen, bevor er die ganze Klasse in die Besenkammer sperrt.

Matthew Rankin tritt mit seinem zweiten Langfilm «Universal Language», der sich der universell verständlichen Sprache des Humors bedient, gewissermaßen den Gegenbeweis zu dem eingangs zitierten Satz an. Schließlich eint uns Menschen letztlich mehr, als uns trennt, sodass wir uns zuweilen gut aufgehoben fühlen können in einer Welt, deren Absurdität wir doch größtenteils selbst generieren.

Mit sichtbarem Vergnügen entführt Rankin die Zuschauer*innen in ein fiktives Winnipeg, das bereits von dem kanadischen Autorenfilmer Guy Maddin in der Pseudo-Dokumentation «My Winnipeg» ähnlich bizarr in Szene gesetzt wurde.

Matthew Rankin bezeichnet seinen Film als «autobiografische Halluzination».

Zu Beginn des surrealen Szenarios, das von Kamerafrau Isabelle Stachtchenk auf 16 Millimeter und häufig in großartigen Tableaus eingefangen wird, setzten die Schülerinnen Negin (Rojina Esmaeili) und Nazgol (Saba Vahedyousefi) alles daran, einen eingefrorenen 500-Rial-Geldschein aus dem Eis zu befreien. Sie wollen damit ihrem Mitschüler Omid eine neue Brille kaufen, die ihm einer der vielen albernen Truthähne, die durch diesen Film stolzieren, gestohlen hat.

Dieser monetäre MacGuffin setzt die episodenhaft erzählte Komödie, die sich immer wieder in Nebenhandlungen zu verlieren scheint, in Gang: In dem vermeintlich von brutalistischen Betonklötzen dominierten Winnipeg, in dem alle ganz selbstverständlich Farsi sprechen, bevorzugt Tee trinken und persische Musik ertönt, führt Massoud (Pirouz Nemati), auf den die Kinder später treffen, Tourist*innen durch die verschneite Stadt.

Der Fremdenführer, der ein wenig an Borat erinnert, zeigt den verfrorenen Urlauber*innen völlig nichtssagende Plätze, zum Beispiel einen defekten Brunnen in einem Einkaufszentrum, ein gewöhnliches Mietshaus in dem niemand Berühmtes wohnt und eine vergammelte Aktentasche auf einer Bank, die jemand dort einmal vor Jahren zurückgelassen hat. Auch ein Kino, das nur noch eindimensionale Filme zeigt, da die 3D-Streifen, die früher gezeigt wurden, zu aufregend für das Publikum waren, steht auf seinem Tourplan. Rankins nicht immer subtilen Humor muss man mögen.

Der Regisseur, der 2019 mit der noch absurderen Fake-Biografie «Twentieth Century» über einen ehemaligen Premierminister debütierte, bezeichnet seinen Film als «autobiografische Halluzination», da viele Szenen von Ereignissen aus seinem eigenen Leben inspiriert wurden. Deshalb nimmt sich der experimentelle Filmemacher wohl auch die Freiheit heraus, die Einwohner von Winnipeg Persisch sprechen zu lassen.

Bereits in jungen Jahren verbrachte er einige Zeit im Iran, um vom iranischen Kino zu lernen. Die von poetischem Realismus geprägten Filme eines Jafar Panahi («White Balloon») und Abbas Kiarostami («Close-Up») haben sichtlich bei dieser menschlichen Komödie Pate gestanden. Auch seinen großen Vorbildern, den Marx-Brothers, widmet der Regisseur einige Szenen. Nach eigener Aussage verkleidete er sich als Achtjähriger selbst geradezu zwanghaft als Groucho Marx und musste deshalb diverse Therapien über sich ergehen lassen.

In einer an Trostlosigkeit kaum zu übertreffenden, aber auch recht langatmigen Szene, die stark an den schwermütigen Humor eines Roy Andersson («Über die Unendlichkeit») erinnert, spielt der Regisseur den fiktiven Matthew Rankin, der seinen Job in einem Ministerium in Québec kündigt. Er reißt alle Zelte hinter sich ab, um endlich seine alte Mutter in Winnipeg aufzusuchen. Sein Bus hat allerdings eine Panne, und so macht er sich zu Fuß durch den Schnee auf die Suche nach seiner Mutter, die aber nicht mehr in ihrem alten Zuhause wohnt.

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Auf der nun folgenden Odyssee wird er einiges über die Instabilität von Identität, aber auch die Verbundenheit aller und die Güte mancher Menschen lernen. Ein Apotheker mit schlimmen Augenringen, der ebenfalls einem Roy-Andersson-Film entstiegen scheint, erinnert ihn beim Kauf von Schlaftabletten mit ausdrucksloser Miene daran, dass das Leben lebenswert ist.

Auch die übertrieben arrangierten Räumlichkeiten eines Wes Anderson haben Rankin ganz offensichtlich inspiriert: In einer Szene sucht der kleine Omid seinen Vater auf, der einen herrlich absurd ausgestatteten Laden für Kleenex-Tücher betreibt. Seine Mutter arbeitet als Totengräberin und ist praktischerweise in der Lage, den Trauernden auf dem Friedhof stets frische Kleenextücher anzubieten.

Gegen Ende führt Rankin all diese merkwürdigen Handlungsfäden gekonnt zusammen. Kanadas Einreichung für die diesjährigen Oscars ist sicher nicht jedermanns Sache, der Humor stellenweise gewöhnungsbedürftig, doch wer sich auf dieses atemberaubend fotografierte Kabinettstückchen einlässt, wird sich für 90 Minuten weniger verloren in der Welt fühlen. Hilfsbereitschaft und Empathie, Humor und Poesie und nicht zuletzt der Zauber des Kinos können schließlich auch über nationale Grenzen hinaus verstanden werden.

«Universal Language»: Kanada 2024, Regie: Matthew Rankin. Mit: Rojina Esmaeili, Danielle Fichaud, Sobhan Javadi. 89 Minuten, Start: 23.1.

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