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Berlin: Westend-Rebellen sagen Adler den Kampf an

In der Angerburger Allee in Berlin-Charlottenburg organisieren sich seit einem Jahr Mieter gegen die Adler Group

Linke-Politiker Niklas Schenker berichtet den Mieter*innen von seinen Erfahrungen mit der Adler Group.
Linke-Politiker Niklas Schenker berichtet den Mieter*innen von seinen Erfahrungen mit der Adler Group.

Die Bilder gleichen sich: Vor rund einem Jahr fand in einem Saal einer Senioreneinrichtung in Charlottenburg eine Mieter*innenversammlung für die rund 800 Bewohner*innen der Angerburger Allee 35–55 statt. Mehr als 100 Mieter*innen kamen zusammen, angesichts von Heizkostennachforderungen über bis zu 6000 Euro. Am Dienstagabend, dieses Mal im Hermann-Stöhr-Haus der evangelischen Friedensgemeinde Charlottenburg, war der Saal wieder brechend voll. Auch wenn die Nachzahlungen dieses Jahr nicht so extrem sind, die Probleme mit dem Vermieter Adler Group bestehen noch immer.

In der Mieterschaft hat sich einiges getan. Seit einem Jahr sind die Westend-Rebellen in der Anlage aktiv. Die Mieter*inneninitiative versucht nach Kräften, Dinge zum Besseren zu wenden. Aber das ist nicht einfach. Als größtes Problem sieht Lea Thieme, die die Rebellen nach der Versammlung vergangenes Jahr mitgegründet hat, dass Adler nicht erreichbar ist. »Man muss mehrere Mails schreiben, damit sie überhaupt reagieren«, so Thieme im Gespräch mit »nd«. Auch zur Versammlung am Dienstag habe man Adler eingeladen. Als Thieme auf der Versammlung davon berichtet und dass der Vermieter wie erwartet abgesagt hat, bricht kurz Gelächter aus. Adler ist nicht nur für die Initiative nicht zu erreichen. Verschiedene Mieter*innen sagen, es gebe auf Briefe oder Mails keine Reaktion.

Parlamentarier*innen stehen vor dem gleichen Problem. Anders als Adler sind mehrere Berliner Abgeordnete der Einladung der Initiative gefolgt. Niklas Schenker, wohnungspolitischer Sprecher der Linksfraktion, und Katrin Schmidberger, die die gleiche Aufgabe für die Grünen übernimmt, berichten unisono, dass sie parteiübergreifend mehrfach vergeblich versucht hätten, die Adler Group ins Abgeordnetenhaus zu bekommen.

Das Unternehmen sieht das anders: »Unsere Kolleginnen und Kollegen sind regelmäßig vor Ort erreichbar und stehen für Fragen zur Verfügung«, teilt eine Sprecherin auf eine nd-Anfrage mit. Auch gebe es eine Service-Hotline, die dauerhaft erreichbar sei. »Kann die Anfrage nicht sofort erledigt werden, wird sie in Form eines Tickets erfasst, den zuständigen Kolleginnen und Kollegen zugestellt und dann abgearbeitet.«

Um den Vermieter zum Reagieren zu zwingen, hat die Initiative einen Plan, den sie auf der Versammlung vorstellt: einen »Heizkostenstreik«, den kollektiven Widerspruch gegen die Nebenkostenabrechnung inklusive Ausübung des Zurückbehaltungsrechts. Das heißt, dass die Nachzahlung der Nebenkosten so lange zurückgehalten wird, bis eine vollständige Belegeinsicht erfolgt ist. Beim in der Anlage praktizierten komplizierten Wärme-Contracting ein umfangreiches Unterfangen.

Der Vorschlag erfährt auf der Versammlung gemischte Reaktionen. Ein Mieter stellt die Frage, ob das wirklich etwas bringe und ob es nicht besser sei, den Widerspruch individuell und juristisch begleitet durchzusetzen. Valentina, die in der Initiative aktiv ist, entgegnet: »Wenn wir das einzeln machen, kann Adler das ignorieren.« Schützenhilfe bekommt sie von Johannes Schorling, von Kiezprojekt e. V., die die Westend-Rebellen unterstützen: »Das ist eine Sprache, die sie verstehen: wenn es ans Geld geht.«

Das Konzept hat an anderer Stelle schon funktioniert. Die Mieterinitiative Mariendorf-Ost hat in ihrer Anlage 600 Mieter*innen zusammengebracht, die so kollektiv die überhöhten Heizkostennachzahlungen des Vermieters Vonovia für das Jahr 2022 abgewehrt haben. Eine vollständige Belegeinsicht ist dort bis heute nicht erfolgt. Schorling sagt, die Erfahrung zeige, dass diese Art von Widerspruch effektiver sei, betont aber auch: »Das ist kein Spaziergang.« Die Überzeugungsarbeit trägt Früchte. Am Ende der Versammlung tragen sich zahlreiche Mieter*innen in eine Liste ein, um über den kollektiven Widerspruch informiert zu bleiben.

Die Widerstände und Skepsis, mit der Mieter*innen auf Vorschläge der Initiative reagieren, sind eine Herausforderung, sagt Thieme von den Westend-Rebellen. Dabei ist im vergangenen Jahres schon einiges passiert: Nicht nur hat die Initiative eine komplette Belegeinsicht für die Nebenkostenabrechnung 2022 gemacht, sondern auch Kontakte geknüpft, zu Politiker*innen wie auch zu anderen Initiativen. »Das ist die Arbeit, die im Hintergrund läuft, um handlungsfähig zu werden«, erklärt Thieme. Sie hofft, dass sich in Zukunft mehr Mieter*innen der Initiative anschließen. Einerseits um die Kerngruppe zu stabilisieren, andererseits um mehrere Themen gleichzeitig bearbeiten zu können.

Themen gibt es viele. Nicht nur hohe Nebenkosten, auch der Zustand der Anlage macht den Mieter*innen zu schaffen. Immer wieder fallen Aufzüge aus, berichtet Thieme. Und das in dem Kiez, in dem berlinweit die meisten Senior*innen leben sollen. Im vergangenen Jahr war zudem bekannt geworden, dass in mehreren Gebäuden der Anlage das Trinkwasser von Legionellen befallen war. Inzwischen sei die Konzentration nach Vermieter-Angaben wieder auf ein unbedenkliches Maß gesunken.

»Das ist eine Sprache, die sie verstehen: wenn es ans Geld geht.«

Johannes Schorling Kiezprojekt

Der Umgang mit den betroffenen Mieter*innen sei sehr unterschiedlich gewesen, so Thieme. »Ein Teil hat Mietminderungen bekommen, andere nicht, und wieder andere mussten klagen.« Das zuständige Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf führt wegen des seit Jahren wiederholt auftretenden Befalls mit den gefährlichen Keimen ein Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen die Adler Group. Die zuständigen Ämter zum Handeln zu bewegen, das ist auch der Weg, den der SPD-Abgeordnete Mathias Schulz vorschlägt, der auf der Versammlung anwesend ist: »Am Ende geht es darum, dass die Ämter tätig werden.« Er rät den Mieter*innen, neben der Organisierung in der Initiative auch die zuständigen Abgeordneten anzuschreiben.

Adler teilt »nd« mit, dass unter anderem alle Rohrleitungen instand gesetzt worden und sogenannte Rückspülfilter in allen Häusern erneuert worden seien. »Von der technischen Seite her ist damit alles getan, um zukünftigen Legionellenbefall zu verhindern«, so das Unternehmen. Generell werde jeder bekannte Mangel erfasst und entsprechend in Auftrag gegeben. Das könne aber eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen, insbesondere wenn externe Fachfirmen beauftragt oder Ersatzteile beschafft werden müssten.

Auf Adler verlassen will sich die Initiative nicht. Ein weiteres Problem, den Müll im Kiez, wollen sie ganz direkt selber angehen. Mit Unterstützung der BSR will die Initiative einen »Frühjahrsputz« organisieren. Bis dahin will Adler auch ein Mieterbüro in der Anlage einrichten. Der Konzern kündigte der Initiative an, dass dieses ab Februar bereitstehe.

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