Lehrkräfteloch Ostberlin

Anhaltender Lehrermangel: Ostberlin besonders betroffen

Heute Ausfall, morgen Ausfall: Lehrermangel plagt Berliner Schulen weiter
Heute Ausfall, morgen Ausfall: Lehrermangel plagt Berliner Schulen weiter

Berlin kämpft weiter mit Lehrermangel. Mindestens 332 Stellen (in Vollzeitäquivalenten) konnten im vergangenen Jahr nicht neu besetzt werden. Dies geht aus der Antwort des Senats auf eine Anfrage der Linke-Abgeordneten Franziska Brychcy hervor. Brychcy hält selbst diese Zahlen noch für geschönt. Die Schulverwaltung hatte im vergangenen Jahr für den Profilbereich II zugewiesene Stunden, die eigentlich für spezielle Förderprogramme gedacht waren, in die Abdeckung der Stundentafel umgeschichtet und die Lehrverpflichtung für Referendare erhöht. Ohne die statistischen Effekte dieser Maßnahmen und bei Berücksichtigung, dass aktuell 352 Lehrkräftestellen von anderen Professionen besetzt sind, läge die Unterrichtsversorgung nun nicht bei den von der Senatsverwaltung angegebenen 99 Prozent, sondern bei 95,5 Prozent, will die Linke-Bildungspolitikerin berechnet haben – mithin kaum höher als noch vor einem Jahr.

Auffällig ist vor allem, wie unterschiedlich sich der Lehrkräftemangel über Bezirke und Schulformen verteilt. Während es in manchen Westbezirken wie Charlottenburg-Wilmersdorf und Spandau und an Gymnasien stadtweit sogar einen kleinen rechnerischen Überschuss an Lehrkräften gibt, konzentriert sich der Mangel in den drei Ostbezirken Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg und Treptow-Köpenick. Mehr als 80 Prozent der offenen Stellen finden sich an Schulen in diesen drei Bezirken. Stadtweit prekär ist die Lage an Grundschulen und Sekundarschulen. An Sekundarschulen in Marzahn-Hellersdorf wird eine Unterrichtsversorgung von gerade mal 90 Prozent erreicht – zehn Prozent des Unterrichts können also mit den vorhandenen Mitteln nicht abgedeckt werden, Krankheitsfälle und andere außerordentliche Ausfälle noch nicht einberechnet.

Insgesamt liegt laut der Aufstellung der Senatsverwaltung die Unterrichtsversorgung an 157 der 662 Berliner Schulen unter 96 Prozent, davon an 46 Schulen sogar unter 90 Prozent. »Für die einzelnen Schulen kann das noch weiter nach unten gehen«, sagt Linke-Bildungspolitikerin Franziska Brychcy im Gespräch mit »nd«. »An manchen Schulen sind ganze Fachbereiche nicht arbeitsfähig.« Dies betreffe vor allem die Naturwissenschaften.

Der Mangel ist nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ: Nur eine Minderheit der neu eingestellten Lehrkräfte ist voll ausgebildet, wie aus der Antwort auf eine weitere Anfrage der Linke-Politikerin hervorgeht. 1310 der etwa 3000 im vergangenen Jahr eingestellten Lehrkräfte sind demnach sogenannte Seiteneinsteiger, die ohne größere pädagogische Fortbildungen an die Schulen kommen und häufig auch kein Schulfach studiert haben. Dazu kommen 400 Quereinsteiger, die ein zweijähriges Aufbaustudium absolviert haben oder parallel zum Unterricht absolvieren.

»Die am besten ausgebildeten Lehrkräfte sollten an die Schulen mit dem größten Mangel«

Franziska Brychcy Linke

Um künftig eine fairere Verteilung zu erreichen, setzt Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) auf einen Trick bei der Zuteilung, wie der »Tagesspiegel« berichtet. Demnach will Günther-Wünsch berlinweit drei Prozent der für Lehrkräfte vorgesehenen Stellen auf andere Berufsgruppen umschreiben. Dies können etwa Sozialarbeiter oder technische Assistenten an den Schulen sein.

Weil die Stellen für Lehrkräfte ohnehin nicht besetzt werden können, muss diese Änderung, anders als es auf den ersten Blick wirkt, nicht unbedingt eine Reduzierung der Gesamtzahl von Lehrern in Berlin bedeuten. Ausschlaggebend für die Entscheidung ist wohl eher die Hoffnung auf einen indirekten Effekt: Weil die Umwidmung pauschal für alle Schulen gilt, schafft sie eine künstliche Knappheit von offenen Stellen an gut ausgestatteten Schulen. Lehramtsabsolventen könnten so gezwungen werden, sich vermehrt an Mangelschulen zu bewerben. Ein ähnliches System, bei dem die Regelausstattung auf 96 Prozent für alle Schulen begrenzt wurde, hatte bereits unter Rot-Grün-Rot existiert, wurde allerdings von Günther-Wünsch kurz nach ihrem Amtseintritt wieder eingezogen.

»Multiprofessionelle Teams sollten zusätzlich zur Ausstattung hinzukommen und nicht von Lehrkräftestellen abgezogen werden«, sagt Linke-Abgeordnete Brychcy. Sie befürwortet einen Abschied von solchen indirekten Steuerungsmodellen und stattdessen eine »zentrale Steuerung«. Dies würde bedeuten, dass sich Lehrkräfte künftig direkt beim Land Berlin bewerben und dann auf eine Schule verteilt würden. »Die am besten ausgebildeten Lehrkräfte sollten an die Schulen mit dem größten Mangel«, sagt Brychcy.

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