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NS-Vergangenheit: Globke hängt immer noch im Kanzleramt

Im Amtssitz von Olaf Scholz hängt ein Gemälde vom Autor der Nürnberger Rassengesetze – ist das diese deutsche Erinnerungskultur?

Der Nazi-Jurist Hans Globke blieb und bleinbt in der BRD unbehelligt
Der Nazi-Jurist Hans Globke blieb und bleinbt in der BRD unbehelligt

Im Bundestag rief Bundeskanzler Olaf Scholz: »Antisemitismus ist in Deutschland fehl am Platz.« Er versprach eine »klare Kante«, und zum Zeitpunkt der Rede im Herbst 2023 wurden fast alle propalästinensischen Demonstrationen verboten. Doch im eigenen Amtssitz scheint dieser Satz nicht zu gelten. Denn im Bundeskanzleramt hängt ein Porträt des Nazi-Kriegsverbrechers Hans Globke.

Das Gemälde ist nicht etwa in einem staubigen Putzschrank übersehen worden. Globke war zwischen 1953 und 1963 Chef des Kanzleramts, und Porträts von allen ehemaligen Chefs hängen an einer Wand. Wo genau? Das Kanzleramt antwortet nur allgemein: »in einem Flur im Verwaltungsbereich.« Wie sieht das Bild aus? Keine Antwort.

Statt die Verehrung eines antisemitischen Schreibtischtäters zu beenden, wurde »kontrovers diskutiert« und 2020 entschieden, das Bild um ein Schild zu ergänzen, damit Betrachter:innen »die politische Biografie Globkes selbstständig« bewerten können, so ein Regierungssprecher. Der kritische Text endet mit dem Satz: »Die Gesetzgebung, an der Hans Globke mitwirkte, bildete eine Grundlage für die Verfolgung, Deportation und Ermordung der deutschen und europäischen Juden sowie der Sinti und Roma.«

Das Schild informiert richtig, dass Globke »Mitverfasser des ersten Kommentars zu den Nürnberger Rassengesetzen von 1935« war — doch das gibt nur einen kleinen Teil von Globkes Verbrechen wieder. Bereits 1932, als Beamter im preußischen Innenministerium, gab er eine Verordnung heraus, die Namensänderungen jüdischer Menschen erschwerte — ihre »blutmäßige Abstammung« sollte nicht verschleiert werden können. Später wirkte er unter dem Nazi-Innenminister Wilhelm Frick an der Gleichschaltung Preußens mit. Es gibt Hinweise, dass Globke für die Deportation von Zehntausenden Jüd*innen aus Griechenland verantwortlich war. Kurz: Er war ein Mitverantwortlicher des Holocausts.

Laut Regierungssprecher sei eine »Wertung« Globkes mit dem Bild nicht verbunden. Ein eigentümliches Verständnis eines Porträts. Nach dieser Logik könnte auch ein Bild des ehemaligen Kanzlers Adolf Hitler daneben hängen — ohne Wertung, natürlich, damit sich alle ein eigenes Urteil bilden könnten.

Straflosigkeit

Für seine Verbrechen wurde Globke nie zur Rechenschaft gezogen. Nach dem Krieg setzte er seine Karriere als Beamter fort und wurde 1953 zum Chef des Kanzleramts ernannt, wo er als »rechte braune Hand« von Konrad Adenauer und heimlicher Strippenzieher in der CDU galt. Sein Chef rechtfertigte das mit den Worten: »Man schüttet kein dreckiges Wasser aus, wenn man kein reines hat!« Globke half wiederum zahlreichen Altnazis in der Bundesrepublik. Gegenüber »nd« erzählt der Historiker und Jurist Klaus Bästlein, dass Globke »maßgeblich an der Renazifizierung der Bonner Ministerialbürokratie beteiligt« gewesen sei.

Ermittlungen gegen Globke wurden 1960 in Frankfurt aufgenommen, doch unter Druck von Adenauer wieder eingestellt. Westdeutsche Geheimdienste wussten seit 1952, dass sich der Kriegsverbrecher Adolf Eichmann in Argentinien aufhielt. Ob Globke persönlich den Massenmörder deckte, konnte bisher nicht geklärt werden. Fest steht, dass Eichmann belastende Aussagen über Globke gemacht hatte, die auf Betreiben der Bundesregierung und der CIA unterdrückt wurden.

Globke setzte sich für das Wiedergutmachungsabkommen mit Israel ein. Wie der Autor Pankaj Mishra schreibt, wurde er so zu einem Symbol für die deutsch-israelischen Beziehungen: »moralische Absolution« für die Täter*innen im Austausch für »Geld und Waffen«.

Prozess

Wegen der Straflosigkeit, sowohl in der Bundesrepublik als auch in Israel, übernahm die DDR nach dem Weltrechtsprinzip die Verfolgung. In einem zweiwöchigen Prozess vor dem Obersten Gericht im Sommer 1963 wurde Hans Globke in Abwesenheit zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe verurteilt.

Bästlein wertete den Prozess für sein 2018 erschienenes Buch Der Fall Globke aus und kam zu dem Schluss, dass das Verfahren zwar »zu propagandistischen Zwecken durchgeführt und rechtsstaatswidrig vorbereitet« wurde, jedoch zu einem Urteil kam, das »juristisch einwandfrei« war und »sich auf internationales Recht« stützte. Vorwürfe des »Schauprozesses« und der »Propaganda« werden oft erhoben – doch die Beweise sind trotzdem eindeutig.

Das »nd« bezeichnete Globke damals als »millionenfacher intellektueller Judenmörder«. Wenige Tage vor dem Prozessbeginn zitierte die Zeitung Arbeiter*innen der Leuna-Werke: »Uns ist es einfach unverständlich, wie ein solch blutbefleckter Mensch heute noch in einem Staat in Amt und Würden sitzen kann.«

Bis heute bleibt es unverständlich: Gegen propalästinensische Aktivist*innen werden Vorwürfe des Antisemitismus schnell erhoben, selbst wenn sie jüdisch sind. Bei konservativen deutschen Antisemit*innen herrscht dagegen erstaunliche Milde – bei Hans Globke, Heinrich Lummers oder Heinrich von Treitschke heißt es, man sollte die Figur nicht auf ihren Hass gegen Jüd*innen reduzieren. Bästlein ist da deutlich: »Globke war nie ein Demokrat oder Anhänger der Werteordnung des Grundgesetzes.«

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