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BVB entlässt Trainer Şahin: Das Ende der Nostalgie
Auch die Dortmunder Vereinslegende scheitert daran, der Borussia aus ihrer Sinnkrise zu helfen
Viel zu diskutieren gab es anscheinend nicht mehr. Eigentlich wollten die BVB-Verantwortlichen die 1:2-Niederlage in der Champions League gegen den zuvor noch sieglosen FC Bologna erst einmal sacken lassen. »Wir werden morgen nach Hause fahren, dann werden wir uns alle in Ruhe zusammensetzen (…) und besprechen, was das Beste für Borussia Dortmund ist«, erklärte Sportgeschäftsführer Lars Ricken nach dem nächsten erschreckend schwachen Auftritt der Borussia am Dienstagabend im Stadio Renato Dall’Ara.
Doch dieses Treffen brauchte es nicht mehr. Bereits am Mittwochmorgen stand die Trennung von Nuri Şahin fest. Nach vier Niederlagen in Folge seit dem Restart aus der Winterpause wurde die Vereinsikone vor die Tür gesetzt. Das Märchen vom kleinen Jungen aus Lüdenscheid, der als Zwölfjähriger ins Dortmunder Fußballinternat wechselte, mit 16 Jahren im BVB-Trikot zum damals jüngsten Bundesligaspieler der Geschichte aufstieg, der 2011 unter Jürgen Klopp Deutscher Meister wurde, um dann nach dem Karriereende auf die Trainerbank des Westfalenstadions zurückzukehren, ist vorbei – ohne Happy End nach ziemlich genau einem Jahr.
Inkonstanz und unerklärliche Leistungsausfälle
Şahin ist vor allem an der Inkonstanz seiner Mannschaft gescheitert, die gerade auswärts teilweise unerklärliche Nichtleistungen zeigte, wie etwa beim 1:5 in Stuttgart, gegen Union Berlin und zuletzt beim 2:4 gegen Holstein Kiel. Auch der Auftritt in Bologna am Dienstag passte in die Reihe schauriger Gastspiele. Sogar ein schmeichelhafter Elfmeter, den BVB-Stürmer Serhou Guirassy in der 15. Minute gerade so an Bolognas Torhüter vorbeischippte, verhalf den Schwarz-Gelben nicht zu mehr Selbstvertrauen. Stattdessen analysierte Sportchef Ricken nach dem Spiel: »Man hat gemerkt nach dem 1:0, dass schon eine gewisse Verunsicherung da ist« – eine Floskel, die normalerweise nach frühen Rückständen herhalten muss. Doch der BVB lässt sich aktuell auch von einer eigenen Führung verunsichern.
Entsprechend einfach machten es die Dortmunder den Italienern in der zweiten Hälfte. Zwei lange Bälle reichten, um die Borussen-Abwehr auszuhebeln und das Spiel in kürzester Zeit zu drehen. Gerade einmal 21 Sekunden vergingen, da lag der Ball nach dem Wiederanpfiff nach dem 1:1-Ausgleich in der 71. Minute schon wieder im Tor von Keeper Gregor Kobel. Am Ende war die 1:2-Niederlage bei einem Torschussverhältnis von 17:3 für Bologna noch schmeichelhaft. Ein Fakt, der TV-Experte und BVB-Berater Matthias Sammer zu dem Urteil veranlasste: »Leider kann diese Mannschaft nicht verteidigen, aber sie kann auch nicht angreifen.«
»Leider kann diese Mannschaft nicht verteidigen, aber sie kann auch nicht angreifen.«
Matthias Sammer
TV-Experte und BVB-Berater
Spätestens nach dieser Aussage des ehemaligen BVB-Spielers und Meistertrainers von 2002, der als einer der engsten Vertrauten von Klub-Boss Hans-Joachim Watzke gilt, stand Şahins Schicksal so gut wie fest. Dabei hatte vor zwölf Monaten alles noch so vielversprechend angefangen: Im Januar 2024 installierten die Borussia-Bosse Şahin zunächst als Ko-Trainer. Nach einer schwachen Hinrunde gelang unter ihm und Ex-Coach Edin Terzić dann sogar noch der sensationelle Einzug ins Champions-League-Finale. Danach wirkte es nur folgerichtig, dass der ehemalige Mittelfeldregisseur nach dem einvernehmlichen Ausscheiden von Terzić im Sommer zum neuen Cheftrainer ernannt wurde.
Utopische Aufgabe für einen jungen Trainer
Şahins Auftrag war dabei genauso klar wie utopisch. Nach den Abgängen von Mats Hummels und Marco Reus, den letzten Überbleibseln aus erfolgreicheren BVB-Tagen, sollte er das neue Bindeglied werden zwischen der glorreichen Vergangenheit des Vereins und der ambitionierten Gegenwart – und er sollte die verjüngte Dortmunder Mannschaft weiterentwickeln, hin zu dominantem Ballbesitzfußball. Inzwischen ist klar, dass der Kader für diese Anforderungen völlig falsch zusammengestellt ist. Keeper Kobel ist kein mitspielender Torhüter. Im Abwehrzentrum und bei den Außenverteidigern fehlt es nach vielen Verletzungen schlicht an Personal. Und im Mittelfeld fühlt sich nur Nationalspieler Pascal Groß mit langen Ballbesitzphasen wohl.
Auch für einen erfahrenen Trainer wäre es mit diesem BVB-Kader schwer geworden, den Umbruch in dieser Saison geräuschlos über die Bühne zu bringen. Für Şahin, der vor seinem Engagement in Dortmund lediglich zwei Jahre beim türkischen Erstligisten Antalyaspor als Chefcoach gearbeitet hatte, war die Aufgabe zu diesem Zeitpunkt seiner Trainerkarriere schlichtweg zu groß. Auch die Entscheidungsträger der Borussia um Sportdirektor Sebastian Kehl, Sportgeschäftsführer Ricken und Klub-Boss Watzke sollten sich deswegen fragen, ob sie dem 36-jährigen Türken überhaupt eine faire Chance gegeben haben, damit das Märchen von der Vereinsikone an der Seitenlinie gelingen kann.
Der ewige Traum vom Klopp-Gefühl
Tatsächlich scheint die Dortmunder Chefetage immer noch dem Traum hinterherzujagen, irgendwie das Gefühl der so erfolgreichen Klopp-Jahre zurückholen zu können – inklusive der Überzeugung, dass der richtige Trainer (mit Stallgeruch und/oder Klopp-Verbindung) auch ein qualitativ unterlegenes BVB-Team wieder zu Titeln führen kann. Denn der Kader der Borussia ist in den vergangenen Jahren immer schwächer geworden. Weltklassespieler wie Erling Haaland oder Jude Bellingham konnten das noch kaschieren. Aktuell befindet sich aber kein Fußballer von diesem Format in den Dortmunder Reihen.
Deswegen dürfte auch der nächste Borussia-Trainer vor der unlösbaren Aufgabe stehen, die Sehnsucht nach den Jubeljahren mit der unangenehmen Wahrheit in Einklang zu bringen, dass dieses Team an vielen Stellen nicht gut genug ist, um in Bundesliga und Champions League ganz vorne mitzuspielen. Beim Heimspiel gegen Werder Bremen am kommenden Samstag wird zunächst U19-Coach Mike Tullberg interimsweise übernehmen. Danach müssen die Dortmunder Entscheider beweisen, ob sie sich von der eigenen Nostalgie befreien können oder ob ihnen noch einmal so ein Coup gelingt wie 2008 bei der Verpflichtung eines gewissen zukünftigen Welttrainers vom FSV Mainz.
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