Asylpolitik: Nur Brot, Bett und Seife ist nicht human

Brandenburgs Landtag lehnt von der AfD vorgeschlagene Privatisierung von Abschiebungen ab

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
Der SPD-Abgeordnete Uwe Adler: Bett, Brot und Seife sind zu wenig.
Der SPD-Abgeordnete Uwe Adler: Bett, Brot und Seife sind zu wenig.

»Es ist unfassbar, wenn Menschen auf einem Markt oder auf offener Straße Opfer von Angriffen werden«, sagt Brandenburgs Landtagspräsidentin Ulrike Liedkte (SPD) am Donnerstag zur Eröffnung der Parlamentssitzung. »Es ist umso erschütternder, wenn diese Opfer Kinder sind.«

Am Mittwoch hat ein afghanischer Flüchtling, der schon mindestens drei Mal gewalttätig aufgefallen war, in einem Park im bayerischen Aschaffenburg eine Kindergruppe angegriffen. Er hat einen zweijährigen Jungen erstochen. Auch ein 41-Jähriger, der zu Hilfe eilte, wurde tödlich verletzt.

»Es fehlen einem die Worte«, sagt Ulrike Liedkte – und spricht weiter. Sie sagt, dass die Bürger zu Recht Schutz vor solchen Übergriffen erwarten – und auch, »dass wir Politiker konsequent handeln«. Dann legen die Abgeordneten eine Schweigeminute für die Opfer von Aschaffenburg ein.

Für die Landtagssitzung am Donnerstag durfte die AfD-Fraktion das Thema der Aktuellen Stunde bestimmen. Sie wollte darüber reden, wie Brandenburg die Zahl der Abschiebungen erhöhen könne. Als die AfD auf diese Idee verfiel, konnte sie nicht wissen, was sich am Mittwoch in Aschaffenburg ereignen würde. Aber es passt in ihr Konzept. Schon am Dienstag hatte die Abgeordnete Lena Kotré (AfD) gesagt: »Die Massenzuwanderung ebbt nicht ab.« Sie schlug die Privatisierung von Abschiebungen vor. Einzelne Prozesse wie die Unterbringung der Menschen in Abschiebezentren, die Ermittlung von Untergetauchten, das Beschaffen von Pässen und die Abflüge könnten von Firmen erledigt werden, meinte Kotré. Sie wünschte sich einen Wettbewerb. Wer es am billigsten anbietet, bekäme den Zuschlag. Private würden es effizienter und kostengünstiger bewerkstelligen als der Staat.

»Es ist unfassbar, wenn Menschen auf einem Markt oder auf offener Straße Opfer von Angriffen werden. Es ist umso erschütternder, wenn diese Opfer Kinder sind.«

Ulrike Liedtke Landtagspräsidentin

Innenministerin Katrin Lange (SPD) nennt so etwas am Donnerstag im Landtag eine »fixe Idee aus dem Inventar des Neoliberalismus«. Bei Abschiebungen handele es sich um eine Kernaufgabe des Staates, die nicht privatisiert werden könne. Es komme in Brandenburg überhaupt nicht infrage. In der anschließenden Abstimmung fällt dieses Ansinnen der AfD bei den anderen Fraktionen dann auch durch.

Ministerin Lange sagte weiterhin, der Verbleib von Straftätern in Deutschland sei der Bevölkerung nicht zuzumuten. Sie sei es leid, dass sich Gewalttaten wie die in Aschaffenburg alle paar Wochen ereignen. Ende 2024 lebten Lange zufolge »4331 vollziehbar Ausreisepflichtige« in Brandenburg. Im vergangenen Jahr seien 722 Flüchtlinge freiwillig gegangen. Das seien rund 200 mehr als 2023. Außerdem seien 233 Flüchtlinge abgeschoben worden. Ja, das reiche nicht aus, aber man müsse die steigenden Zahlen zur Kenntnis nehmen, findet die Ministerin.

»Wer hier kein Beiberecht hat, hat Deutschland zu verlassen«, sagt BSW-Fraktionschef Niels-Olaf Lüders. Bevor Lüders in den Landtag eingezog, war er als Rechtsanwalt mit dem Spezialgebiet Asylrecht tätig und half jungen Männern, die in Deutschland bleiben wollten. Der 58-Jährige hat einen kleinen Sohn, und es fällt ihm schwer, angesichts der Bluttat von Aschaffenburg seine Emotionen unter Kontrolle zu halten, wie er sagt. Die »rassistischen und völkischen Untertöne«, die er vernimmt, behindern seiner Meinung nach allerdings eine sachliche Lösung des Problems eher, als dass sie eine Lösung fördern. »Und dabei ist der Nachholbedarf riesig.«

2023 habe die Bundesrepublik in 74 622 Fällen Staaten ersucht, in denen Flüchtlinge zuerst den Boden der EU betreten haben, diese Menschen wieder zu übernehmen. Nur in 5053 Fällen sei es tatsächlich dazu gekommen. Der Schlüssel liege nicht bei den Abschiebungen, meint Lüders. »Es kann doch nicht sein, dass nach wie vor so viele Menschen nach Deutschland strömen, die nicht schutzbedürftig sind«, sagt er. Es brauche eine wirksame Einreisesperre. Das BSW rede nicht nur, es werde liefern.

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Die Abschiebungen seien bisher nicht zufriedenstellend geregelt, bedauert der CDU-Abgeordnete Rainer Genilke. Eine Privatisierung werde nicht helfen, solange viermal mehr Flüchtlinge ankommen, als pro Jahr abgeschoben werden können. Genilkes Lösungsvorschlag: sofortiger faktischer Aufnahmestopp und Zurückweisung an der Grenze, freiwillige Aufnahmeprogramme beenden, Ausreisezentren einrichten, Bezahlkarte mit nur wenig Bargeld für Asylbewerber flächendeckend. Den neuen Schutzstatus, der vor Todesstrafe und Folter bei einer Abschiebung bewahren soll, stellt Genilke infrage. Damit seien Abschiebungen schon fast gar nicht mehr möglich. Man solle nicht immer neue Gründe finden, warum es nicht geht. Die alte Genfer Flüchtlingskonvention müsse reichen.

Die SPD-Abgeordnete Elske Hildebrandt hat harte und herzlose Worte mitgeschrieben, die in der Debatte fallen, und kann es kaum fassen. Abgesehen von ihrem kurzen Eingreifen hält nur ihr Fraktionskollege Uwe Adler dagegen. Die harten Formulierungen der AfD stellen die Menschenwürde infrage, sagt Adler. Flüchtlingen nur Brot, Bett und Seife zu gönnen, wäre ein Verstoß gegen Artikel 1 des Grundgesetzes. Jeder habe Anspruch auf eine humane Behandlung. Adler wirft der AfD vor, die »rechtsstaatlich organisierte Demokratie« abzulehnen und Wut und Ängste in der Bevölkerung zu fördern.

Dennis Hohloch (AfD) nennt Adler daraufhin einen »geistigen Tiefflieger« und unterstellt ihm, hier nur »Krokodilstränen« um die Opfer von Aschaffenburg zu weinen. Vorfälle wie dort seien mittlerweile alltäglich. Die Sprache der AfD sei nicht scharf, sondern angemessen. Scharf sei das Messer des Täters gewesen, das er in den Leib des Kindes bohrte. Außerdem wird Adler von der AfD daran erinnert, wer die Idee »Brot, Bett und Seife« im August 2024 ins Spiel brachte. Es war kurz vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).

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