Nach Aschaffenburg: Einsperren, abschieben, Grenzen schließen

Nach der Bluttat von Aschaffenburg gibt es einen rassistischen Überbietungswettbewerb

Am Tatort in Aschaffenburg wird um die Opfer getrauert.
Am Tatort in Aschaffenburg wird um die Opfer getrauert.

Aschaffenburgs sozialdemokratischer Oberbürgermeister Jürgen Herzing versucht am Tag nach der Gewalttat, bei der in seiner Stadt ein zweijähriger Junge und ein 41 Jahre alter Mann starben, die richtigen Worte zu finden. Als langjähriger Feuerwehrmann habe er schon viele schlimme Dinge gesehen und erlebt. »Aber ich kann mich nicht entsinnen, dass mich eine Tat so berührt hat«, so Herzing. Er fühle sich, als ob sein eigenes Kind oder sein Bruder gestorben oder verletzt worden sei. »Das ist, glaube ich, bei vielen anderen auch so«, vermutet der Oberbürgermeister.

Die Tat sei schrecklich, aber man dürfe trotz Wut, Trauer und »Rachegedanken« keine »Spirale der Gewalt und des Hasses in Gang setzen«, warnt der Sozialdemokrat. Im Hinblick auf Taten wie die von Magdeburg, den Messerangriff von Solingen, bei dem im vergangenen Sommer drei Menschen starben, und einen Messerangriff in Würzburg vor einigen Jahren spricht Jürgen Herzing von »Paralellen«. Womit er meint, dass die Täter keine Deutschen waren. Gleichzeitig warnt er auch: »Wir können und dürfen die Tat eines Einzelnen niemals einer gesamten Bevölkerungsgruppe anrechnen.«

Ein Appell, der zu spät kommt. Am Donnerstagvormittag tritt nämlich auch der Kanzlerkandidat von CDU und CSU, Friedrich Merz, vor die Kameras und erklärt, welche Schlüsse er aus der Tat von Aschaffenburg zieht: »Ich werde im Fall meiner Wahl zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland am ersten Tag meiner Amtszeit das Bundesinnenministerium im Wege der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers anweisen, die deutschen Staatsgrenzen zu allen unseren Nachbarn dauerhaft zu kontrollieren und ausnahmslos alle Versuche der illegalen Einreise zurückzuweisen.« Merz will damit ein »faktisches Einreiseverbot« für alle Menschen ohne die für die Einreise notwendigen Dokumente erreichen. Aber damit nicht genug.

Der konservative Kanzlerkandidat kündigt auch an, die Plätze für die Abschiebehaft massiv auszubauen. Dafür soll der Bund »alle verfügbaren Liegenschaften zur Verfügung stellen, wie etwa leerstehende Kasernen und weitere Gebäude, Containerbauten auf abgeschlossenen Grundstücken«. Es sei »inakzeptabel«, dass es nur 750 Plätze in Abschiebehaft gebe, während 42 000 Menschen »vollziehbar ausreisepflichtig« seien und 180 000 Menschen nur wegen einer Duldung nicht abgeschoben würden. Eine zeitliche Befristung für die Abschiebehaft soll es unter Merz nicht mehr geben. Der christdemokratische Kanzlerkandidat spricht von einer »Tätergruppe, die offenbar in großer Zahl in Deutschland frei herumläuft«. Wen er damit genau meint, grenzt Merz nicht ein. Was er stattdessen klarmacht: »Kompromisse sind zu diesem Thema nicht mehr möglich.« Wer mit Merz regieren will, soll sich also einer migrant*innenfeindlichen Agenda unterordnen.

Merz’ CSU-Kollege, der bayerische Innenminister Joachim Herrmann, beeilte sich nach der Tat, die Schuld dem Bund zuzuschieben. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) habe versäumt, der örtlichen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass es sich bei dem Mann aus Afghanistan um einen Dublin-Fall handelt. Für eine Abschiebung nach Bulgarien sei dann zu wenig Zeit gewesen. Nachdem der 28-jährige im Dezember erklärt hatte, freiwillig auszureisen, habe das BAMF das Asylverfahren beendet und den Mann zur Ausreise aufgefordert, mehr sei nicht passiert. Für den bayerischen Innenminister zu wenig Einsatz.

Nancy Faeser, sozialdemokratische Bundesinnenministerin, sagte am Donnerstagnachmittag bei einem Statement, die bayerischen Behörden sollten erklären, »warum der Täter noch auf freiem Fuß war«. Er soll schon drei Gewalttaten begangen haben.

Asylpolitisch will sich Faeser keine Vorwürfe machen. »Wir haben Gesetze massiv verschärft«, sagt die Sozialdemokratin und reklamiert eine verlängerte Abschiebehaft, Waffenverbote im öffentlichen Raum und den Abschiebeflug nach Afghanistan im August 2024 als Erfolge ihrer Politik. Außerdem verwieß Faeser auf vorliegende Gesetzentwürfe, für die sie seit dem Ampel-Aus keine Mehrheit mehr hat, etwa ein neues Bundespolizeigesetz und die Einführung biometrischer Überwachung. Im Hinblick auf die Vorschläge von Friedrich Merz sprach Faeser von »Populismus« und stellte in Frage, ob sie mit dem Europarecht konform sind.

Der sonst wortreiche Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck veröffentlichte zu Aschaffenburg eine Grafik in den sozialen Medien. Darin fordert er die bayerischen Behörden zur Aufklärung der Tat auf und stellt fest: »Der mutmaßliche Täter war offenbar vollziehbar ausreisepflichtig. Er hätte sich nicht in Deutschland aufhalten dürfen.« Die Grüne-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge forderte eine »Zeitenwende in der Sicherheitspolitik«.

Bei der AfD nutzt man die Tat von Aschaffenburg für ein vergiftetes Angebot an die CDU. Alice Weidel fordert die Christdemokraten auf, im Bundestag nächste Woche Farbe zu bekennen und über die Schließung von Grenzen und Zurückweisungen abzustimmen. »Es darf keine Brandmauertoten mehr geben!«, so die Kanzlerkandidatin der extrem rechten Partei.

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