Mauerfall: Bilder einer alten Welt

Fotos aus Brandenburg vor und nach der Wende

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 5 Min.
Die DDR in Schwarz-Weiß
Die DDR in Schwarz-Weiß

Was sind denn die richtigen, die wahren Bilder einer Stadt oder eines Landes? Sind es die positiven, die gefälligen, die attraktiven? Oder sind es die unschönen, die Bilder von Schmuddelecken und Beispielen des Verfalls? Am Mittwoch wurde im Potsdamer Landtagsschloss die neue Jahresausstellung eröffnet. Präsentiert werden Fotos – unter der Überschrift »Zeitsprung – 35 Jahre nach der Wiedervereinigung«. In Arbeiten von drei Fotografen geht es laut Begleitheft um eine Auseinandersetzung mit der Berliner Mauer, ihren Fall und die Zeit nach der Wende. Die neue Ausstellung löst die Präsentation von Werken Kunstschaffender ab, die zumeist in Brandenburg leben oder gelebt haben. Die Fotos sind durchgängig relativ klein, man hat den Eindruck von Verlorenheit in den weiten Gängen des Landtags.

Der Fotograf Karl-Ludwig Lange aus Westfalen hatte im letzten Zeitabschnitt der DDR die Bezirke Potsdam, Frankfurt (Oder) und Cottbus besucht, die später das Land Brandenburg formten. Die jetzt im Landtag zu besichtigenden Fotos von Lange zeigen Ödnis, geschlossene Geschäfte und Menschen, »die noch einmal lange für ihre alltäglichen Einkäufe anstehen mussten, die sie sich kaum leisten können«, wie es im Begleitheft heißt.

Das natürlich ist eine spezifische Westperspektive, denn die alltäglichen Einkäufe der DDR-Bürger setzten im Allgemeinen kein langes Anstehen voraus. Das musste man nur dann, wenn es irgendwo in einem Laden plötzlich Mangelware gab, die alle haben wollten. Und sich einen alltäglichen Einkauf nicht leisten zu können, das erlebten die Menschen nicht vor der Wende, wo Grundnahrungsmittel subventioniert und damit spottbillig waren, sondern danach.

Weiter heißt es: »Der allgegenwärtige Verfall zeigt sich in Form von Ödnis und bröckelndem Putz an den Fassaden der Häuser.« Es fehlen auch die »russischen« Soldaten nicht (die als sowjetische Soldaten richtig bezeichnet wären), die in Neuruppin »meist misstrauisch in die Kamera des Fotografen schauen«, wie erklärt wird.

»Die Mauer wurde für mich zu einem magischen Ort, einem armorphen ›Wesen‹.«

Hildegard Ochse
Fotografin

Die 1997 verstorbene Hildegard Ochse, deren Sohn im Übrigen Kurator der Landtagsausstellung ist, unternahm nach 1990 ihre Wanderung durch die Mark Brandenburg. »Dabei entstand eine Bilderserie, die eindrucksvoll die bedrückende Stimmung der Menschen in dieser Übergangszeit dokumentiert.« Die aus dem westdeutschen Bad Salzuflen stammende Ochse porträtierte mit Vorliebe Kinder, von denen es vielleicht ungewollt komisch heißt: »Sie trugen noch ihre geliebten und in der DDR produzierten Stonewashed-Jeans im Karottenschnitt und mit Bundfalte.« Und weiter: »Im Gegensatz zu ihren Eltern machen sie sich noch keine Gedanken über ihre Zukunft, und wenn überhaupt, dann nur um ihr Taschengeld.«

Das Thema der Fotografin ist außerdem die Berliner Mauer. Zu den abgebildeten Überresten sagte sie: »Die Mauer wurde für mich zu einem magischen Ort, einem armorphen ›Wesen‹.« Die ersten Kontakte mit dem Berliner Umland in der Umbruchzeit hatten für die Westdeutsche etwas sehr Rührendes, Altmodisches. »Etwas, was mich an meine Kindheit erinnert, als man noch lange Strümpfe trug, die mit Gummibändern am Leibchen gehalten wurden.«

Kathrin Ollroge bringt nach solchen Schwarz-Weiß-Fotografien Farbe ins Spiel. Sie ist die mit Abstand die Jüngste und die einzige Ostdeutsche unter den drei Künstlern. Sie kam 1969 in Potsdam zu Welt und nutzte als ausgebildete Facharbeiterin für Schreibtechnik nach der Wende die Möglichkeit, in England Fotografie zu studieren. Ollroge ist Mieterin im Potsdamer Kunst- und Kreativhaus »Rechenzentrum«. Ab 2014 zog sie durch die märkischen Lande und bereichert die Landtagsausstellung mit Porträtaufnahmen. Auf diese Weise entsteht eine Klammer. Denn die Generation, die zur Zeit der Aufnahmen von Ochse noch in der Kindheit steckte, ist 25 Jahre später erwachsen geworden.

Ollroges Farbfotos sind zum Teil mit »Gedankenprotokollen« versehen, die eine Zeit des endlosen Umbruchs abbilden: »Ich möchte hier nicht mehr weg. Können ja nicht alle abhauen.« – »Wir hatten eine Top-Kindheit, hatten alles.« – »Meine Tochter ist auch gleich nach der Wende weg. Sie hat zwar in Schwedt gelernt, wurde dann aber nicht übernommen.«

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Bei der Ausstellungseröffnung sagte Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD): »Die Bilder geben dreieinhalb Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung einen lebendigen Eindruck damals wie heute, von Veränderung und von Bleibendem.« Anhand von Stimmungsbildern und persönlichen Biografien gebe die Ausstellung »Einblicke in die Geschichte«.

Versichert wird, dass die im Parlament zu besichtigenden Motive brandenburgische sind. Detaillierte Angaben zu Ort und Motiv sucht der Betrachter indessen vergeblich. »Die Bilder selbst sind wichtig, nicht die Bildunterschrift«, erklärt Kurator Ochse.

Bieten die gezeigten Fotos fernab der Wertungen im Begleitheft solchen Menschen, die in den vergangenen 35 Jahren in Brandenburg gelebt haben, die Möglichkeit, sich dort wiederzufinden? Wer eigene Erlebnisse im Kopf hat, kann sie mithilfe der ausgestellten Fotos neu zusammensetzen. Die Frage aber wäre, was diese Ausstellung Menschen sagt, die sie nicht mit eigenen Erfahrungen abgleichen können. Die DDR war ein leistungsfähiger Industriestaat. Es wurden damals Betriebe und Neubaugebiete in Gegenden gesetzt, die ab 1990 unter Deindustrialisierung, Wegzug und Verfall zu leiden hatten.

Um auf die eingangs gestellten Fragen zurückzukommen: Einen realistischen Einblick hätte man, wenn sowohl die attraktiven als auch die weniger »vorzeigbaren« Seiten eines Landes in einer Ausstellung vereint wären. Erst dann könnte man sich ein halbwegs wahrheitsgetreues Bild machen.

»ZeitSprung – 35 Jahre nach der Wiedervereinigung«, Landtag Brandenburg, Potsdam, Alter Markt 1; vom 27. Januar bis 19. Dezember; Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 8 bis 18 Uhr; Eintritt frei.

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